THE BOYS OF SUMMER. Richard Cox H.
jetzt gab es sogar schon einen dritten Teil. Darth Vader hatte sich schließlich als Lukes Vater herausgestellt, und Prinzessin Leia war seine Schwester. Die ganze Welt schien den Verstand verloren zu haben.
Die Veränderungen, die sein Körper durchgemacht hatte, waren allerdings noch seltsamer. Sein Körper hatte Muskeln angesetzt und über Nacht Schamhaare bekommen, und alles in seiner Welt war jetzt neun Zoll niedriger, als er erwartet hatte. Das Tollste war: Wenn er sprach, dann klang es so, als ob er einen Frosch im Hals hätte. Dr. Robbins war sich nicht sicher, ob das ein Zeichen für die Pubertät war oder ob es einfach daran lag, dass er in den vergangenen vier Jahren so gut wie gar nicht gesprochen hatte.
Sein Arzt war sich offenbar vieler Dinge nicht sehr sicher. Zum Beispiel wusste er nicht, warum Todd so lange geschlafen hatte. Anscheinend blieben nicht sehr viele Menschen länger als einige Wochen in einem solchen Zustand, und schon gar nicht Monate. Der offizielle Titel seiner Diagnose lautete Katatone Schizophrenie. Seine Mutter mochte das zweite Wort nicht besonders, denn es klang ein wenig so, als ob er verrückt wäre. Der Arzt war sich auch nicht sicher, welche langfristigen Folgen die Verletzung und der Schlaf für Todd haben würden, und er konnte einen Rückfall in diesen katatonen Zustand nicht ausschließen. Das war letzten Endes nur eine andere Art zu erklären, dass er jederzeit wieder in die weiße Leere eintauchen könnte.
Eine weitere Sache, die sein Arzt überhaupt nicht verstand, waren Todds Träume. Dr. Robbins akzeptierte zwar, dass Todd Träume gehabt hatte, aber er wollte ihm einfach nicht glauben, dass diese Episoden irgendetwas mit der realen Welt um ihn herum zu tun gehabt haben sollten. Als Todd ihm erklärte, dass er in seinen Träumen Dinge gesehen hatte, die er vorher überhaupt nicht gekannt hatte, und die auch kein anderer kannte, lächelte der alte Mann nur auf eine so leutselige und herablassende Art und Weise, dass Todd ihm am liebsten eine reingehauen hätte.
Man machte sich auch einige Sorgen, was seine Bildung betraf. Vor Kurzem hatten sich seine Eltern mit einem Berater vom Schulbezirk unterhalten, um zu entscheiden, in welche Klasse man ihn jetzt unterbringen sollte. Sein Vater weigerte sich, ihn wieder in die vierte Klasse zu setzen, doch seine Mutter fürchtete, dass er hinter den anderen Schülern seines Jahrgangs so weit zurückgeblieben war, dass er die Schule hassen und deshalb letzten Endes total versagen würde. Sie schien irgendwie zu glauben, dass jede Art von Schule sein ganzes Leben ruinieren würde. Deshalb wollte sie ihn am liebsten zu Hause unterrichten. Aber Todds vierjähriger Schlaf hatte ihn mit einer Einsamkeit erfüllt, die so intensiv war, dass er sich keinen weiteren Tag vorstellen konnte, den er ausschließlich mit seinem Vater und seiner Mutter verbrachte.
Heute war das erste Mal, dass man ihm erlaubt hatte, allein vor die Tür zu gehen. Bisher hatte er erst einige Male im Hinterhof verbracht und dort ein wenig Football mit seinem Vater gespielt oder auf der hinteren Veranda mit seinen Eltern zu Abend gegessen. So wie ihn seine Mutter dabei anschaute, fühlte er sich wie ein Insekt, das unter einem Mikroskop betrachtet wurde, und jedes Mal, wenn sie seinem Vater etwas zuflüsterte, wollte er schreien: »Ich sitze genau vor dir, Mom! Und ich weiß, dass du über mich redest!« Gestern Abend hatten ihn seine Eltern auf einen Spaziergang durch die Nachbarschaft mitgenommen. Sie gingen rüber zur Shady Lane und um den Craigmont herum und dann wieder nach Hause. Sein Vater erklärte ihm, dass er in nächster Zeit nicht über diese Schleife, die die zwei Straßen machten, hinausgehen sollte. Er bezeichnete diese beiden Straßen als Perimeter … als die äußerste Grenze. Er betonte das Wort so, als ob Todd noch neun Jahre alt wäre und nicht wüsste, was dieser Ausdruck bedeutete.
An diesem Morgen war seine Mutter in sein Zimmer gekommen und hatte mit aufgesetzter Fröhlichkeit in der Stimme geflötet: »Aufstehen, Schlafmütze.« Dann hatte sie ihm erklärt, dass heute der erste Tag vom Rest seines Lebens wäre. Sie könnte es gar nicht erwarten, dass er sich nach draußen wagte, und sie erzählte ihm von zwei Jungs, von denen sie glaubte, dass sie auf der Shady Lane wohnten. Aber Todd war nicht dumm. Er konnte die Unsicherheit in ihrer Stimme hören, und das machte seine eigene Angst nur noch stärker.
Es war aber so, dass er überhaupt keine Angst haben musste. Erst gestern hatte Todd gesehen, wie es draußen aussah. Häuser, Bäume und Straßen, so wie in jedem anderen Viertel der Stadt auch. Aber als er sich an diesem Morgen der Tür näherte, brachte er es nicht über sich, sie zu öffnen, und wenn er jetzt schon ein schlechtes Gefühl dabei hatte, selbstständig nach draußen zu gehen, dann machte es seine Mutter, die ihn vom Wohnzimmer aus beobachtete, nur noch viel schlimmer. Es war schon verstörend genug, eine so banale Handlung nicht durchführen zu können, aber es war noch viel schlimmer, wenn jemand ihn dabei beobachtete. Es gab ein bestimmtes Wort für dieses Gefühl, eines das er gelernt hatte, während er schlief: inkompetent. Ein schreckliches Wort für ein schreckliches Gefühl.
Nach seinem fehlgeschlagenen Versuch zog er sich in sein Zimmer zurück, und einige Minuten später stand seine Mutter auf der Schwelle, um ihm mitzuteilen, dass sie jetzt zum Supermarkt gehen würde, um einige Lebensmittel einzukaufen.
»Willst du, dass ich hierbleibe, bis du zurückkommst?«
»Nein, überhaupt nicht!«, erwiderte sie. »Ich hoffe, du amüsierst dich gut. Denk an die Jungs, von denen ich dir erzählt habe. Tu aber bitte nichts Verrücktes. Der Arzt hat zwar gesagt, dass dein Kopf in Ordnung ist, aber ich möchte trotzdem nicht, dass du dich noch einmal verletzt.«
Sie umarmte ihn und ging fort. Das war jetzt zehn bis fünfzehn Minuten her, aber er saß immer noch da, mit seinem Casio und seinem Radio, das nicht funktionierte. Er drehte den Senderknopf immer langsamer hin und her, und schließlich fand er einen Sender, der gerade den sanften Rhythmus von Billy Jean spielte. Aber da waren einfach zu viel statisches Rauschen und unangenehme Störgeräusche, so als würde man eine Radiostation vom Mars empfangen. Deshalb schaltete er das Radio aus.
Nun saß er da in der Stille.
Schließlich stand er wieder auf und ging aus dem Zimmer. Die Vordertür war nur wenige Meter entfernt, und schon bald stand er davor. Seine Hand lag auf dem schweren Messinggriff. Alles, was er nun tun musste, war, dieses dämliche Ding zu drehen. Drehen und ziehen. Aber er konnte es nicht.
Er hatte Angst, dass er auf der anderen Seite der Tür nichts anderes finden würde, als die weiße Leere, die er immer gesehen hatte, als er noch geschlafen hatte, und dass diese ganze Episode des Wachseins auch nur ein weiterer Traum wäre.
Der Türgriff fühlte sich warm und lebendig an, so als wollte er vor seiner Berührung zurückschrecken. Aber das tat er natürlich nicht. Er drehte ihn jetzt millimeterweise. Der Griff quietschte leicht und der Riegel löste sich mit einem weichen Klicken.
Todd schloss die Augen, zog die Tür zurück und fühlte eine Welle von Hitze durch seinen Körper strömen.
Das Viertel draußen war immer noch da.
Er ging vorsichtig auf die vordere Veranda und schloss die Tür hinter sich. Der Himmel war klar und fast weiß vor Hitze. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße stand ein großes Haus, weiß mit grauem Dach, und überall um ihn herum hörte er das Zirpen von Zikaden, die sich in den Bäumen verbargen. Die Klimaanlagen kämpften brummend gegen die Hitze und die Feuchtigkeit an.
Doch Todd stand nur da und wartete darauf, dass dieser Traum enden würde, denn es erschien ihm unwahrscheinlich, dass er wirklich wach war.
Aber die Welt existierte immer noch. Ein roter Honda Accord näherte sich jetzt der Ecke und bog dann nach links ab. Einen Augenblick dachte er daran, dem Fahrer zuzuwinken, ließ es dann aber bleiben.
Da er absolut nichts zu tun hatte, machte er sich in Richtung Shady Lane auf, und fragte sich, ob er den Jungs wohl begegnen würde, von denen ihm seine Mutter erzählt hatte. Er erwartete eigentlich nicht wirklich, jemanden zu sehen, und er war sich auch gar nicht ganz sicher, was er tun sollte, falls er jemanden sah. Er schlenderte die Straße hinunter, vorbei an großen Ziegelhäusern und großen Rasenflächen mit bräunlich-grünem Gras, und hatte das Gefühl, dass er schon einmal hier gewesen war. Nicht erst gestern, sondern irgendwann davor, und zwar mehrmals. Vielleicht war er schon hundert Mal durch diese Gegend gelaufen, oder noch öfter.
Schließlich erreichte Todd die Shady Lane. Er erwartete eigentlich