THE BOYS OF SUMMER. Richard Cox H.

THE BOYS OF SUMMER - Richard Cox H.


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sehe schon, wo er das herhat«, sagte Mr. Steele abfällig. »Dieses Weichliche in Ihrem Sohn … ich kann ganz genau sehen, woher …«

      Jetzt packte sein Vater Mr. Steele an der Gurgel. Jonathan konnte kaum glauben, was da gerade passierte. Sein ganzes Leben lang hatte man ihm beigebracht, dass es ein Problem sei, und, keine Lösung, sich zu prügeln. Doch jetzt verstand er plötzlich, dass es manchmal durchaus nötig war, zu kämpfen. Das Gefühl, das er empfand, als er sah, wie sein Vater ihn so entschlossen verteidigte, war genauso mächtig wie der Sturm, der gerade über ihnen tobte. Jonathan hatte ihn nie so sehr geliebt wie in diesem Augenblick.

      Das Gefühl verging jedoch sehr schnell, als Mr. Steele ebenfalls den Hals seines Vaters ergriff, und beide kurz darauf am Boden lagen. Man konnte sehr schnell erkennen, wer gewinnen und wer verlieren würde.

      Jonathan wollte seinem Vater beistehen, aber Mrs. Steele kam ihm zuvor und sprang auf den Rücken ihres Mannes. Michael rollte sich zur Seite. Er keuchte schwer und griff sich an den Hals. Carolyn eilte an seine Seite und versuchte, ihn vom Boden hochzuheben.

      »Jonathan«, rief sie. »Komm her und hilf mir.«

      Aber sein Vater war schon wieder auf den Beinen. Doch er schaute die beiden nicht an, stattdessen blickte er zum Himmel.

      »Wir müssen reingehen, und zwar jetzt sofort!«

      Jonathan schaute ebenfalls nach oben und sah dort Wolken; schwarze Wolken, die sich wild drehten. Sie waren so nahe, dass man das Gefühl hatte, sie berühren zu können. Jenseits davon, nicht sehr weit entfernt, hörte man ein Brüllen.

      »Oh, mein Gott!«, rief Carolyn.

      »Ein Tornado!«, schrie Bobby hinter ihr.

      Das Brüllen wurde immer stärker. Es war grollend und unmissverständlich. Es waren Geräusche wie von einem wilden Tier. Jonathan drehte sich zu seinem Vater um, doch er wusste noch nicht, dass es das letzte Mal sein würde, dass er direkten Augenkontakt mit ihm haben würde.

      »Lauf los, mein Sohn! Lauf schnell rein!«

      »Deine Mutter und ich kommen gleich nach. Lauf schnell rein! Jetzt sofort!«

      Jonathan starrte Bobby und seine Eltern noch einen Moment an. Er wollte wütend sein über das, was geschehen war, denn wenn Bobby nicht so ein Schwachkopf wäre und irgendeine Vorstellung von diesem Sturm gehabt hätte, dann wäre er daheim geblieben, und all das wäre gar nicht erst passiert, aber schließlich hatte ja niemand wissen können, dass ein Tornado genau hierherkommen würde, und es war auch nicht Bobbys Schuld, dass sein Vater eine Schlägerei angefangen hatte.

      Die wirbelnde Masse, die sich ihnen jetzt rasend schnell näherte, war kein Wetterphänomen. Es war ein Albtraum, der irgendwie seinen Weg in die Wirklichkeit gefunden hatte. Es gab keine Hoffnung, dass er an ihnen vorübergehen würde. Dafür war er viel zu groß, und er kam genau auf sie zu.

      »Beeilt euch!«, rief Michael. »Gehen wir rein, bevor es zu spät ist!«

      Sein Vater lief zur Tür und ergriff dabei Jonathans Hand. Zusammen rannten sie durch die Küche in die Vorratskammer.

      »Quetscht euch hier rein«, rief Michael. »Carolyn … Sie auch, Mrs. Steele …«

      Sein Vater drehte sich um und packte auch Bobby und seine Mutter.

      »Ihr beide auch. Mr. Steele und ich gehen ins Gästebadezimmer.«

      »Was?«, schrie Carolyn. »Wir passen hier doch alle rein! Lasst uns hier nicht allein!«

      »Ihr seid nicht allein. Ihr seid doch alle zusammen. Wir gehen nur um die Ecke.«

      »Mike!«

      Die Geräusche, die der Tornado von sich gab, hatten sich verändert. Jetzt klang er wie ein durchdringender Schrei, der sich für Jonathan wie Wasser anhörte, das durch einen gewaltigen Abfluss lief. Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand mehr Angst haben könnte, als er in diesem Augenblick.

      »Gehen wir«, sagte sein Vater zu Mr. Steele. »Wir haben keine Zeit mehr.«

      »Mike, nein! Bitte!«

      Sein Vater schloss die Tür. Das Licht ging nicht an, deshalb standen alle vier in völliger Dunkelheit da. Sie konnten überhaupt nichts sehen. Alles, was sie wahrnahmen, war der Sturm draußen und die durchdringenden und unheimlichen Geräusche des Tornados. Er schien den gesamten Sauerstoff aus der Luft zu ziehen. Bobby und seine Mutter weinten, Jonathan schwieg und versuchte, zu hören, ob sein Vater immer noch da und immer noch am Leben war.

      »Zum Badezimmer geht es hier entlang«, rief Michael nun. »Kommen Sie, wir können …«

      Er wurde vom Lärm zerberstender Fensterscheiben unterbrochen, und ein schweres Gewicht zwang Jonathan auf die Knie. Dann hörte er einen schrecklichen Schrei; den Schrei einer Frau. Er hoffte, dass es nicht seine Mutter war, und er hoffte, dass sein Vater in Sicherheit war. Er tastete seinen eigenen Körper ab und suchte nach Verletzungen oder nach Blut, nach irgendeinem Hinweis, ob er verletzt worden war, aber er konnte nichts finden. Sein Körper schien überhaupt nicht mehr da zu sein. Als er versuchte, nach einem Zeichen dafür zu suchen, was überhaupt passiert war und wo er sich befand, wurde ihm plötzlich klar, dass er nichts sehen konnte. Überall, wo er hinschaute, war nichts.

      Nichts als Weiß.

      Kapitel 4

      Alicia Ulbrecht war erst neun Jahre alt, und es gab viele Dinge, die sie verwirrten. Aber einer Sache war sie sich hundertprozentig sicher: Ihr Daddy konnte sie vor allem beschützen, besonders vor Gewittern. Ihrer Einschätzung nach wusste er mehr über das Wetter als irgendjemand sonst auf der ganzen Welt.

      Das Problem war jedoch, dass ihr Vater jedes Mal, wenn ein Sturm kam, seine Kamera ergriff und mit dem Wagen wegfuhr, um ihn sich aus der Nähe anzusehen. Alicia und ihre Mutter mussten immer daheimbleiben und auf sich selbst aufpassen. Später kam er dann wieder nach Hause und erzählte Geschichten über erstaunliche und schreckliche Dinge, die er gesehen hatte, wie zum Beispiel Bäume und Autos, die wie Spielzeuge herumgewirbelt wurden, und Häuser, die aus ihren Fundamenten herausgerissen worden waren. Manchmal zeigte er ihr sogar Fotos. Es waren Bilder, die ihr jedes Mal einen Schauer über den Rücken trieben. Ihre Lieblings-Tornados waren die, die schlank, dunkel und unheimlich waren und sich gegen den gelben Himmel abzeichneten.

      Doch heute waren die Stürme nicht irgendwo dort draußen. Sie kamen direkt in die Stadt, so nahe, dass der Mann im Fernsehen erklärt hatte, dass eine LEBENSBEDROHENDE GEFAHR FÜR WICHITA FALLS BESTAND. Und ihr Vater war nirgendwo zu finden.

      In ihrem späteren Leben fragte sie sich immer wieder, ob ihre Unfähigkeit, Beziehungen aufrechtzuerhalten, auf das Gefühl des Verlassenseins zurückzuführen war, das sie in diesem Augenblick empfunden hatte. Vielleicht war sie zu der Überzeugung gelangt, dass selbst in Männern mit sehr guten Charaktereigenschaften ein instinktiver Drang zum Nomadentum steckte, der sie dazu zwang, sie irgendwann zu verlassen und sich woanders umzusehen. Dieses Gefühl sollte sich später noch verstärken, als ihre Mutter krank wurde und zu einem Pflegefall wurde. Selbst dann konnte ihr Vater es nicht über sich bringen, mit dem Reisen aufzuhören oder jemanden zu engagieren, der sich um sie kümmerte. Er erwartete einfach von Alicia, dass sie half, und natürlich tat sie das auch. Sie hätte ihm schließlich niemals etwas abschlagen können.

      Im Augenblick war ihre Mutter ziemlich von der Rolle. Sie rannte ständig in den Hof, um nach ihrem Gatten Ausschau zu halten, und kam dann wieder rein, um nach Alicia zu sehen. Es wäre komisch gewesen, ihr dabei zuzuschauen, wenn es draußen nicht so dunkel gewesen wäre, wenn der Wind nicht so geheult hätte und die Tornado-Sirenen nicht wie gigantische Geister gejault hätten.

      »Wo ist er denn nur?«, schrie seine Mutter. »Er sagte, dass er zurückkommen würde, wenn der Sturm zu nahe käme. Wo ist er jetzt nur?«

      Alicia wusste, dass sie und ihre Mutter in die Badewanne steigen und sich mit Matratzen schützen mussten, sobald ein Tornado auf sie zukam, aber da jetzt anscheinend niemand daran dachte, stand sie


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