THE BOYS OF SUMMER. Richard Cox H.

THE BOYS OF SUMMER - Richard Cox H.


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aber das wäre nicht so schlimm, weil sie sowieso kaum daheim sein würde. Sie würde sich in Buchhandlungen aufhalten und im Central Park, in kleinen Cafés, wo sie echte Literatur lesen konnte, ohne dass die Leute den Kopf schüttelten. Wo jemand ein Gespräch über Bücher mit ihr führen wollte, die nicht gleich mit einem Flugzeugunglück oder einen Tornado auf der ersten oder zweiten Seite anfingen.

      Wie aufs Stichwort sagte Stuart nun: »Nächste Woche jährt sich also zum dreißigsten Mal der Schreckliche Dienstag. Ich kann gar nicht glauben, dass es schon so lange her ist.«

      Der Schreckliche Dienstag war der Name, den man dem massiven Tornado gegeben hatte, der 1979 zwanzigtausend Menschen in Wichita Falls obdachlos gemacht hatte. Er war eine ihrer frühesten und zugleich schrecklichsten Erinnerungen.

      »Das stimmt«, sagte sie. »Ich denke, das wird eine tolle Erinnerungsfeier. Vielleicht gibt es ja sogar eine Parade.«

      Stuart schien diese Bemerkungen nicht für allzu witzig zu halten.

      »Hat er euer Haus auch getroffen?«, fragte er jetzt.

      »Er hat uns um zwei Blocks verfehlt. Aber mein Vater war ein Sturmjäger. Er sah den Tornado, als er unsere Stadt noch gar nicht erreicht hatte. Sein Wagen wurde dabei zerstört und er wäre fast gestorben.«

      »Mist!«, sagte Stuart. »Ein Sturmjäger in den Siebzigern. Ich wusste gar nicht, dass es die damals auch schon gab.«

      »Ja, er war so begeistert, dass er sich einen neuen Job suchte, bei dem er nicht ständig im Büro sein musste. Ich weiß nicht, wie er das noch weiter machen konnte, nach dem, was uns damals passiert war, aber er ist einfach davon besessen gewesen. War deine Familie auch davon betroffen?«

      »Nein, wir wohnten damals in der Nähe der Luftwaffenbasis. Wir waren also etwas weg vom Schuss. Gott sei Dank.«

      Ihr fiel nun nichts mehr ein, was sie noch über den Tornado sagen sollte, und Stuart anscheinend auch nicht, denn für einige Augenblicke saßen sie nur da und starrten sich an.

      »Sollen wir noch woanders hingehen?«, frage er schließlich.

      »Ich glaube nicht, dass ich noch einen Bissen mehr von diesem Salat verkraften kann.« Ihr Magen machte mittlerweile so wütende Geräusche, dass sie sich fragte, ob Stuart sie auch hören konnte.

      »Aus irgendeinem Grund bin ich heute Abend nicht sehr hungrig.«

      Ein weiterer Moment des Schweigens verging, und obwohl die Chemie zwischen ihnen irgendwie nicht stimmte, kam es Alicia so vor, als ob etwas Unglaubliches unmittelbar bevorstehen würde. Sie war sich nur nicht sicher, was genau es war. Aber es war immer ein fester Bestandteil ihres Erwachsenendaseins gewesen, dass irgendwann etwas geschehen würde, das ihr Leben für immer in eine andere Richtung lenken würde. Vielleicht war einer der Gründe, warum sie Brandon so geliebt hatte, der, dass seine Arbeit am Teilchenbeschleuniger so exotisch gewirkt hatte … als würde sie eines Tages die Welt verändern. Aber jetzt war er weg, und sie war immer noch da, und Alicia fragte sich, ob sie schon immer falsch gelegen hatte, und ob nichts in ihrem Leben sich jemals ändern würde. Jeder Tag in Wichita Falls war wie der Tag zuvor. Dieselben Leute trugen dieselben Klamotten und aßen in denselben Restaurants. Wenn die Definition von Wahnsinn darin bestand, von einem unveränderlichen Verhalten ein anderes Ergebnis zu erwarten, dann war es wohl langsam an der Zeit, dass man sie wegsperrte. Vielleicht hatte man sie ja auch schon weggesperrt. Vielleicht wurde sie in diesem Augenblick von der anderen Seite eines Einwegspiegels beobachtet, den sie bisher für ihr Leben gehalten hatte.

      Stuart musste offenbar gerade allen Mut aufbringen, um sie etwas zu fragen.

      »Ich habe gehört, dass es eine neue Band gibt, die bei Toby‘s spielt«, sagte er schließlich. »Sie spielen viele Sachen aus den Achtzigern. Sollen ziemlich gut sein.«

      »Tatsächlich?«

      »Ja, hast du nicht mal gesagt, dass du das Zeug aus den Achtzigern magst?«

      »Ich glaube nicht, dass wir je darüber gesprochen haben«, antwortete Alicia.

      »Gehen wir ein wenig rüber? Wir könnten doch einen oder zwei Drinks nehmen und sehen, ob die Band gut ist.«

      »Ich schätze es sehr, dass du mich fragst, aber ich glaube, ich mache für heute besser Schluss. Es klingt vielleicht ein wenig lahm, aber ich fühle mich nicht so gut.«

      »Oh«, sagte Stuart nur.

      Sie fühlte sich ein wenig schuldig, weil sie ihm so eine Abfuhr erteilte, aber in ihrem Verdauungstrakt bereitete sich offenbar gerade ein Sturm vor.

      »Du siehst tatsächlich ein wenig blass aus«, sagte Stuart. »Ich kann dich zur Apotheke fahren und dir etwas besorgen.«

      Das Apartment musste ja noch nicht einmal direkt in Manhattan sein. Sie könnte ja ebenso gut in Brooklyn wohnen, wo die Mieten billiger waren. Wenn man etwas wirklich wollte, dann gab es immer eine Möglichkeit.

      »Alicia?«

      »Es geht schon. Es ist vielleicht besser, wenn ich sofort heimfahre.«

      »Sicher«, sagte Stuart. »Okay.«

      Auf dem Parkplatz ging es ihr noch schlechter, und der Lärm war fast unerträglich. Das Chili‘s befand sich auf dem Kemp Boulevard, wo die Jugendlichen jedes Wochenende Kleinlaster organisierten und die Straße mit extrem lauten Auspuffrohren und ebenso ohrenbetäubenden Lautsprecheranlagen unsicher machten. Der Verkehr kam kaum weiter, während die Jugendlichen herumgrölten und sich gegenseitig anmachten. Normalerweise amüsierte es Alicia, diese uralten Balzrituale zu beobachten, denn während ihrer Zeit auf der Highschool hatte sie ja auch nichts anderes gemacht. Aber im Augenblick war ihr zu schlecht dazu. Sie schwitzte und zitterte, und sie hatte das Gefühl, dass jemand in ihrem Magen chemische Versuche anstellte. Sie dachte daran, wie lächerlich sie jetzt aussehen und dass Stuart sie wohl für eine verweichlichte Zicke halten musste. Doch ihr war gerade gleichzeitig nach Weinen und Lachen zumute.

      Stuart, der neben ihr ging, schien das Ganze aber irgendwie falsch aufzufassen.

      »Was ist denn so komisch?«

      »Nichts«, sagte sie.

      »Was denn? Ich etwa?«

      »Nein, natürlich nicht.«

      »Tut mir leid. Ich dachte nur, dass wir heute Abend gemeinsam etwas unternehmen könnten.«

      »Ich habe dir doch gesagt, dass es mir nicht gut geht.«

      Alicia hielt neben ihrem Wagen an.

      »Das ist meiner«, sagte sie. »Vielen Dank für das Abendessen.«

      Ihr Magen revoltierte bereits. Die Nachtluft war so unangenehm feucht und warm. Stuart nahm ihre Hand.

      »War schön, mit dir zusammen zu sein«, sagte er.

      »Ja, es hat mir auch Spaß gemacht.«

      »Würdest du demnächst noch mal mit mir ausgehen?«

      Alicia wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Doch sie konnte es einfach nicht über sich bringen, ihm gleich hier auf dem Parkplatz sämtliche Illusionen zu rauben.

      »Ruf mich an«, entgegnete sie deshalb, »dann reden wir noch einmal darüber, okay?«

      »Okay.«

      Er stand nur da und konnte sich wohl nicht entscheiden, ob er sie küssen sollte oder nicht. Alicia beugte sich stattdessen vor und berührte seine Wange.

      »Es tut mir leid, dass es mir gerade nicht gut geht. Ruf mich bald an, okay?«

      »Okay.«

      Im Rückspiegel konnte Alicia sich jetzt so sehen, wie sie nur Augenblicke zuvor Stuart gesehen hatte. Ihre Stirn war feucht und es klebten einige Haarsträhnen an ihr. Ihr Gesicht war blass und ein wenig aufgedunsen, ihre Augen blutunterlaufen. Sie hatte ihre Haare einige Monate lang einfach wachsen lassen, aber es war immer noch in diesem erbärmlichen Zwischenstadium, in dem sie überhaupt nichts damit anfangen konnte.


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