THE BOYS OF SUMMER. Richard Cox H.
öfter daran, es sich wieder etwas heller zu färben, so wie es früher einmal gewesen war.
Der Verkehr auf dem Kemp Boulevard bewegte sich kaum vorwärts, und Alicia hatte das Gefühl, dass sie heute in diesem Wagen sterben oder zumindest den Salat aus dem Seitenfenster kotzen würde.
Dies war die Existenz, mit der sie sich abgefunden hatte, während sie darauf wartete, dass das Schicksal ihr etwas Besseres bescheren würde.
Während ihrer Jahre als Teenager hatte sie darauf gehofft, dass sie eines Tages ein wunderbares Leben führen würde, und dass sie heiraten und vielleicht Ärztin werden würde. Aber als sie die Stadt verlassen hatte, um für Texas A&M zu arbeiten, war sie fast unmittelbar von unerklärlichen Depressionen erfasst worden, die sie nur durch Alkohol hatte lindern können. Irgendwie ergab es keinen Sinn, dass sich das College als so belastend erwiesen hatte, denn sie hatte Jahre lang darauf gewartet, endlich ihrem heißen und staubigen Heimatort zu entkommen. Aber jede Nacht hatte sie wach gelegen, weil sie dieses ständig nagende Gefühl nicht loswerden konnte, dass sie irgendetwas unerledigt gelassen hatte, und dass da etwas Riesiges und Unwirkliches war, das sie die ganze Zeit beobachtete, und das auf sie wartete. Die einzige Möglichkeit, diese Gedanken zu verdrängen, war ein Drink oder zwei oder besser gleich zehn gewesen, und in diesem Zustand hatte sie natürlich nichts mit Elektronenhüllen und Atomgewichten anfangen können. Zusammen mit der Chemie hatte Alicia schließlich alle Hoffnungen auf ein Medizinstudium aufgegeben und in ihrem zweiten Semester war sie zu Blocker gewechselt und hatte Betriebswissenschaft studiert. Hier war sie mit Studenten zusammengekommen, die auf der Suche nach einem leichten Abschluss waren und geil auf eine Karriere in der Welt der Marktdurchdringung, der Kernkompetenzen und der Kundenbetreuung. Ihre Depressionen waren daraufhin noch stärker geworden.
Nach ihrem Abschluss hatte sie nur ein Angebot von der American Heart Association in San Antonio bekommen. Sie hatte es dankbar angenommen und sich auf den unvermeidbaren Umzug vorbereitet. Doch einen Tag bevor sie fahren wollte, klingelte plötzlich das Telefon, und Alicia erfuhr, dass bei ihrer Mutter Multiple Sklerose diagnostiziert worden war. Ihr Vater, ein regionaler Verkaufsleiter, der jeden Monat zwei Wochen unterwegs war, bat Alicia mit gebrochener Stimme, für einige Zeit nach Hause zu kommen. Er sagte nicht genau, was er mit einige Zeit meinte, aber das musste er auch nicht – bis zu seiner Pensionierung waren es noch zehn bis fünfzehn Jahre.
Danach hatte Alicia Tage lang geweint. Sie hatte mit ihrer Mutter und ihrem Vater geweint, aber auch allein. Doch es war schon seltsam: Nachdem sie den ersten Schock über die Diagnose überwunden hatte, waren die Depressionen plötzlich wie weggeblasen gewesen. Vielleicht lag es daran, dass sie jetzt endlich den eigentlichen Sinn ihres Lebens herausgefunden hatte – die Pflege ihrer Mutter. Aber eine Stimme tief in ihrem Inneren flüsterte, dass der eigentliche Grund, dass es ihr jetzt besser ging, der war, dass sie nach Wichita Falls zurückkehrte, und dass hier etwas auf sie wartete. Irgendetwas hier brauchte sie.
Als sie schließlich aus dem Stau auf dem Kemp Boulevard herauskam, beruhigte sich ihr Magen allmählich wieder. Sie stand an der Kreuzung Southwest Parkway, als sie in ihrem Rückspiegel ein rotes Flackern bemerkte. Zuerst dachte sie, dass eine Polizeistreife hinter ihr war, aber als die Lichter näherkamen, sah sie, dass es ein Wagen der Feuerwehr war. Er raste an ihr vorbei, als die Ampel gerade auf grün umschaltete, und als der Wagen in sicherer Entfernung vor ihr war, fuhr sie weiter in dieselbe Richtung. Da ihre Straße nur wenige Blocks entfernt war, schaute sie natürlich, ob die Feuerwehr in diese Richtung fuhr.
Sie fuhr in diese Richtung.
Doch es gab viele Häuser in ihrer Straße. Dutzende. Man konnte leicht das Schlimmste befürchten, aber wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass es ihr eigenes Haus war? Sie konnte das Feuer bereits in ihrem Wagen riechen, selbst mit hochgekurbelten Fenstern – ein rauchiger und irgendwie chemischer Geruch.
Als sie sich ihrer Straße näherte, begannen ihre Handflächen plötzlich zu schwitzen. Jede Sekunde würde sie es genau wissen. Ihr Haus war das Dritte auf der linken Seite.
Doch schon bevor sie die Kurve nahm, konnte Alicia sehen, dass ihr Haus ein flammendes Inferno war.
Vor dem Haus standen zwei Wagen der Feuerwehr. Von einem wurde bereits Wasser auf das Dach gespritzt. Alicia konnte nicht verstehen, warum sie den Wasserstrahl auf das Dach richteten, wenn die Flammen doch aus den vorderen Fenstern schossen. Ihre Wertgegenstände befanden sich doch nicht auf dem Dach! Sie waren in den Zimmern, in dem die Flammen nun immer stärker wüteten. Sie hielt den Wagen an und ging auf einen der Feuerwehrmänner zu.
»Oh, mein Gott!«, schrie sie. »Oh, mein Gott!«
Der Feuerwehrmann sah sie gelangweilt und gleichzeitig entschlossen an. »Bitte, Sie müssen zurückbleiben. Bleiben Sie auf der anderen Seite der Straße.«
»Aber das ist mein Haus!«
»Das tut mir sehr leid. Wissen Sie, ob noch jemand darin ist? Vielleicht ein Haustier?«
Alicia weinte nicht gern in Gegenwart anderer Leute, die sie nicht kannte, aber jetzt war sie einfach, nicht in der Lage, sich zu beherrschen. Flammen schlugen aus einem klaffenden Loch im Dach. Schwarze Rauchwolken erhoben sich über den Flammen. Die Hitze war schier unerträglich, und das Schlimmste war, dass sie niemanden hatte, den sie anrufen konnte. Es gab niemanden, der ihr helfen würde. Ihr Vater war die ganze Woche unterwegs, und wen sollte sie sonst fragen?
»Nein, ich lebe allein.«
Auf der ganzen Straße beobachteten die Nachbarn das Spektakel von ihren Veranden und Vordergärten aus. Nachbarn, die sie kaum kannte. Fast alle (einschließlich sie selbst) verbrachten den größten Teil ihrer Zeit im Haus, und wenn sie mal draußen waren, dann nur, um den Rasen zu mähen oder den Hund Gassi zu führen. An einem typischen Tag sah sie nicht einmal viele Kinder hier. Es war ganz anders als in ihrer eigenen Kindheit, in der sie die Hälfte ihrer Zeit in den Häusern von Freunden verbracht oder die Nachbarschaft auf ihrem Fahrrad erkundet hatte. Damals hatte anscheinend jeder jeden gekannt. Heute hatten die Eltern alle Angst, ihre Kinder auch nur einen Moment lang aus den Augen zu verlieren.
Erinnerungen aus ihrer Kindheit ließen Alicia für einen Augenblick an das Jahr zurückdenken, als sie Jonathan Crane und David Clark kennengelernt hatte. In diesem Sommer war Brandstiftung ein Problem gewesen. Zuerst hatte es ein Haus in ihrer Straße getroffen, und später ein Restaurant, das Davids Vater gehört hatte. Der Junge, der für die Verbrechen verantwortlich gemacht wurde, hieß Thomas oder Todd, und er war mit Jonathan und David befreundet gewesen. Alicia war in jenem Sommer dreizehn Jahre alt gewesen, und es war das erste Mal gewesen, dass sie sich als etwas Besonderes vorgekommen war und das Gefühl gehabt hatte, dass auch das Leben etwas Besonderes mit ihr vorhatte. Aber jetzt war sie achtunddreißig, sie wohnte weniger als drei Meilen von ihren Eltern entfernt, und es gab keinen Grund, warum man ihr Leben nicht als absolut normal bezeichnen könnte.
Eine kleine Explosion in ihrem Haus riss sie jetzt abrupt aus ihrem Traum. Funken sprühten wie ein Feuerwerk aus dem Loch im Dach. Ein Mädchen schrie. Oder war es sie selbst? Sie wusste, dass die Realität des Feuers sie bald einholen würde, und sie würde den Verlust ihres Hauses betrauern und all die Jahre, die sie damit verbracht hatte, den ganzen Kram anzusammeln, der jetzt einfach so darin verbrannte. Doch im Moment konnte sie nichts anderes tun, als hilflos dabei zuzusehen, zu weinen und sich zu fragen, was um alles in der Welt das Feuer verursacht haben könnte.
War dies die unglaubliche Sache, die all die Jahre auf sie gelauert hatte?
War dies der Moment, in dem sich ihr ganzes Leben verändern würde?
Kapitel 8
Es gab Zeiten, wo Adam Altman befürchtete, dass sein Leben nichts weiter als eine Illusion war. Er war jetzt achtunddreißig, aber manchmal hatte er das Gefühl, dass die Stunden und Wochen und Jahre seines Lebens irgendwie unbemerkt an ihm vorbeigekrochen waren. War es nicht erst gestern gewesen, dass er sich im Schrank im Flur verkrochen hatte, um dem tosenden Tornado zu entgehen, oder war das wirklich schon neunundzwanzig Jahre her? Die empirische Antwort und die Realität, die er in seinen