THE BOYS OF SUMMER. Richard Cox H.
hast du nichts mehr zu verlieren. Du lebst sowieso nur noch ein paar Wochen.«
»Wieso meinst du, dass ich bald sterbe?«
»Na, nun komm schon! Deine Augen sind gelb, weil deine Leber total im Eimer ist. Du trinkst viel zu viel und du nimmst zu viel Meth. Ich wäre überrascht, wenn du in einem Monat noch leben würdest.«
»Gelbe Augen bedeuten doch nicht gleich, dass ich sterben muss.«
»Mit deiner Haut ist es dasselbe. In letzter Zeit wird dir doch auch häufig schlecht, oder?«
Bob bemerkte, dass er die Fleischgabel immer noch in seiner rechten Hand hielt. Sie zitterte leicht, während er sie hoch über der Brust seines Vaters hielt. Es stimmte, dass er sich in den letzten beiden Wochen dreimal übergeben hatte und dass er sich seit mehr als einem Monat allgemein sehr schlecht fühlte. Selbst Sherilyn hatte sich an diesem Nachmittag darüber beklagt, dass er ziemlich seltsam roch.
»Du hast also überhaupt nichts zu verlieren, und dein Vater hat alles zu gewinnen. Lässt du es zu, dass er immer die besseren Karten hat? Lässt du ihn wirklich einfach so davonkommen?«
Am Boden wurden Kenny Steeles Augen nun wieder lebendig. Er schaute nervös auf Bob und dann auf die Fleischgabel.
»Warte mal«, sagte er jetzt. »Du warst doch einer der Freunde meines Sohnes. Der Football-Spieler.«
»Halt die Schnauze«, rief Bob. »Ich war niemals ein Football-Spieler! Jedenfalls kein richtiger.«
»Mach es einfach«, drängte ihn Todd. »Bring ihn um. Er respektiert dich nicht, und du bist lange tot, bevor sie dir den Prozess machen.«
»Warte!«, rief sein Vater jetzt. »Du bist Bobby Steele. Ich kenne deinen Vater! Er kommt ständig hier rein, und ich weiß, dass er seinen Sohn liebt. Bitte!«
»Wovon redet der eigentlich?«, stöhnte Bob. Er sah seinen Vater absichtlich nicht an. Er wollte die Angst nicht sehen, die sich jetzt zweifellos in seinem Gesicht spiegelte. »Warum erzählt er so einen Mist?«
»Er ist verzweifelt«, erklärte Todd. »Er würde alles erzählen, um mit heiler Haut hier raus zu kommen, aber dann geht er direkt zur Polizei. Also wird er erneut gewinnen, und du bist wieder der Dumme. So wie immer.«
»Bitte, Bobby«, rief sein Vater. »Du und mein Sohn, ihr seid zusammen aufgewachsen. Du bist ein guter Junge. Das weiß ich.«
»Er glaubt, er sei etwas Besseres als du, Bobby. Das wird er immer glauben.«
»Bitte«, schrie Kenny Steele.
»Bring ihn um!«
Schließlich ließ Bob die Gabel mit aller Kraft niederfahren, um die Stimme endlich zum Schweigen zu bringen. Sein rechter Arm (sein Wurfarm) schwang in einem weiten Bogen und die beiden Silberzinken stießen tief in Kennys Brust. Der Mund des alten Mannes öffnete sich unwillkürlich, aber statt eines Schreis kam nur Blut hervor und er stammelte etwas Unverständliches. Bob stieß sich von ihm ab und fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden.
Die verspätete Rache kam nach neunundzwanzig Jahren etwas verspätet, aber er hatte dennoch ein befriedigendes Gefühl. Jetzt brauchte er allerdings dringend eine Atempause.
Neben ihm auf dem Boden gab Kenny Steele gurgelnde Geräusche von sich. Er ergriff die Gabel, die in seiner Brust steckte, doch sie schien sich nicht zu bewegen. Sein blaues Hemd war mit Blut verschmiert, und Blut sammelte sich auch in seinem Mund und tröpfelte an seinen Wangen hinunter.
Die Barbecue-Grube war immer noch offen. Es war ein etwa drei Meter großer, auf der Spitze stehender Zylinder mit einem Durchmesser von ungefähr zwei Metern. Auf dem Boden brannte ein Feuer. Da sich niemand darum kümmerte und alle Türen offen waren, war das Feuer darin immer stärker geworden. Es brannte mittlerweile entlang des Zylinderrands und erinnerte Bob an den Abend vor fünfundzwanzig Jahren, als sie das gesamte Restaurant abgefackelt hatten.
Es erinnerte ihn auch daran, dass Todd Willis in der Barbecue-Grube geblieben war.
»Todd«, sagte er. »Es gibt da etwas, was ich dich fragen muss. Ich meine über die Nacht, als wir dieses Haus niedergebrannt haben. Irgendetwas hast du mir damals gesagt, an das ich mich aber nicht mehr erinnern kann.«
Neben ihm auf dem Boden öffnete sich der Mund seines Vaters, als ob er etwas sagen wollte, aber stattdessen erklang nur ein Röcheln. Er hustete noch etwas Blut, dann hörte er auf zu atmen. Das war also erledigt.
Vielleicht hätte ihm das Ganze leidtun sollen, aber stattdessen fragte sich Bob, wo die Silberschnalle hergekommen war. Er hatte noch nie zuvor gesehen, dass sein Vater etwas mit einem Monogramm getragen hatte.
Mit den Initialen stimmte außerdem etwas nicht. Statt KS sahen sie plötzlich aus wie FC.
Bob fragte sich wieder, wie es möglich war, dass sein Vater im letzten Monat so fett geworden war. Sein ganzes Leben lang war er stark und schlank gewesen. Jetzt sah er aus wie irgend so ein Prolet mit einem Bierbauch.
»Todd«, sagte Bob. »Kannst du mal rüberkommen und dir meinen Vater ansehen? Irgendwas stimmt nicht mit ihm.«
Wieder kam keine Antwort von Todd.
Doch Bob konnte nicht ewig hier sitzenbleiben. Er hatte etwas Schreckliches getan, und jetzt musste er sich überlegen, wie er unerkannt davonkommen könnte. Sein Laster stand schon seit geraumer Zeit auf dem Parkplatz des Restaurants. Inzwischen musste er doch jemandem aufgefallen sein.
Mit einiger Willenskraft richtete er seinen Blick von der Brust seines Vaters auf dessen Gesicht.
Aber das war gar nicht Kenny Steele, der da auf dem Boden lag! Es war Fred Clark, der Besitzer des Restaurants und Vater von David Clark, Bobbys Freund aus der Kindheit, der heute ein Internet-Milliardär war.
Er vermutete, dass er das insgeheim vielleicht schon die ganze Zeit über gewusst hatte. Es hätte für jeden offensichtlich sein müssen, der die Situation beobachtet hatte. Aber Bob hatte es trotzdem getan. Er hatte einen Mann umgebracht, der gar nicht sein Vater war.
Irgendwie war das überhaupt nicht überraschend. Irgendwie war dieses Ergebnis schon vor langer Zeit festgelegt worden.
In der Nacht, als das Restaurant niederbrannte und sie noch Kinder waren, hatte Bob etwas erfahren, an das er sich jetzt nicht mehr so richtig erinnern konnte. Woran er sich allerdings noch gut erinnern konnte, war, dass mit der Welt etwas nicht stimmte, und an diesem Ort war etwas ganz besonders falsch. Sein Vater war nicht in dieser Barbecue-Grube, und Bob war sich auch nicht mehr ganz sicher, ob er noch hier war, oder ob er es jemals gewesen war.
I will never forget these nights. I wonder if it was a dream …
Bob stand auf. Er verließ den Grillplatz und ging zurück zu seinem Wagen. Er holte den Benzinkanister von der Ladefläche und die Schachtel Streichhölzer vom Vordersitz. Als er den Grillplatz wieder erreichte, steckte er die Streichholzschachtel in seine Gesäßtasche und schraubte den Deckel des Kanisters auf. Mit weit ausholenden Bewegungen, als wäre er ein Maler, der Farbe auf eine Leinwand streicht, begann er, Benzin über dem Boden zu verteilen. Er schüttete eine große Menge über die Leiche von Fred Clark und dann gegen die Wände des Gebäudes. Die Tür war nicht verschlossen, also kippte er auch Benzin in den Geschirrspülraum, die Küche und den Essraum. Seine Füße waren inzwischen ebenfalls mit Benzin getränkt und eine Menge war auch auf seiner Kleidung. Trotzdem griff er in seine Tasche und holte die Streichholzschachtel heraus.
Das war es also. Sobald sich das Streichholz entzündete und das Feuer brannte, wäre alles vorbei. All seine Fehler und sein gesamtes Versagen würden durch diese Tat ausgelöscht werden. Alles, was er zu tun hatte, war, seine Rolle zu spielen.
Bob öffnete die Schachtel und entnahm ihr ein einzelnes Streichholz. Er hielt das Streichholz und fragte sich, ob er wirklich den Mut haben würde, diese ganze Sache durchzuziehen.
I can tell you my love for you will still be strong after the Boys of Summer have gone …
Er brachte den Mut