Das gefälschte Testament und andere Mordfälle aus Mitteldeutschland. Griseldis Wenner

Das gefälschte Testament und andere Mordfälle aus Mitteldeutschland - Griseldis Wenner


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hatte, wollte der vernehmende Kriminalbeamte wissen. Die Hausgehilfin gab an: Einige Wochen ging es, doch dann wurden die Auseinandersetzungen immer heftiger. Der Assessor erklärte, er würde nie, nie und nie seiner Frau die nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch erforderliche Genehmigung für ein Film-Engagement geben! Dann nehme sie eine Stellung als Stenotypistin an, als Sprechstundenhilfe, als Dienstmädchen! Aber sie bliebe nicht abhängig von ihrem Mann. Der Assessor stellte klar, dass auch hierfür, für jede noch so geringe Tätigkeit, seine Genehmigung erforderlich sei. Dann lasse sie sich scheiden, schrie die Frau. Damit sei sie bei dem Assessor auf Granit gestoßen. Der dachte nicht daran, sich scheiden zu lassen. Nicht etwa, weil er noch an der Frau hing, nein, nur aus Furcht, seine Karriere als Richter könne leiden. Keine Frage, der Assessor hätte an diesen Streitigkeiten mindestens die gleiche, wenn nicht mehr Schuld gehabt als seine Frau. Da war zum Beispiel diese belanglose Sache, diese Lappalie mit den nicht weggeräumten Murmeln der kleinen Eva gewesen.

      Der Kommissar horchte auf: Murmeln der kleinen Eva? Nicht weggeräumt?

      Und die Hausgehilfin erzählte: Die kleine Eva hatte einmal oben im Korridor, dicht an der Treppe, mit Murmeln gespielt. Als sie zu Bett gebracht wurde, waren einige Murmeln auf dem Boden verstreut liegengeblieben. Als der Assessor von den oberen Räumen nach unten gehen wollte, war er auf einer dieser Murmeln ausgerutscht und zu Fall gekommen. Er hatte daraufhin entsetzlich herumgebrüllt und über die Sauwirtschaft in seinem Hause geflucht. Dabei nannte er seine Frau eine »alte Schlampe« und hatte ihr sogar eine Ohrfeige gegeben. Also, der Assessor hätte an den Auseinandersetzungen bestimmt einen guten Teil Schuld gehabt, schließlich wären die Murmeln der kleinen Eva ja nicht absichtlich verstreut auf dem Fußboden liegengeblieben.

      »Nicht absichtlich verstreut auf dem Fußboden liegengeblieben«, wiederholte der Beamte nachdenklich.

      Jetzt hatte man genügend Material, um Annemarie Donner und auch Otto Krönert zum Verhör ins Dresdner Polizeipräsidium zu holen, wo sie erst einmal getrennt vernommen wurden. Beide beharrten zunächst auf der alten Erzählung vom »entfernten Vetter«, verwickelten sich aber bald in Widersprüche. Was der eine langsam, zögernd zugab, wurde dem anderen im Nebenzimmer zum Nachweis seiner Unwahrheiten vorgehalten, bis schließlich das ganze Lügengebäude zusammenstürzte und beide ein offenes Geständnis ablegten: Otto Krönert hatte den Assessor erschossen, und Annemarie Donner half ihm bei der Tat und bei der Verwischung der Spuren.

      Wie es dazu kam?

      Als sie sich auf der Filmschule kennenlernten, hatte Annemarie ihrem Geliebten zunächst verschwiegen, dass sie verheiratet war. Erst nach einer Fehlgeburt offenbarte sie Otto Krönert alles und gestand ihm auch, wie sie unter ihrem Ehemann litt. In Krönert flammte augenblicklich der Hass auf gegen den Mann, der seiner Liebe im Weg stand. Dieser Hass vergrößerte sich mit der Zeit, als Annemarie ihm von den entwürdigenden Auseinandersetzungen berichtete. Je aussichtsloser es erschien, dass der Assessor die Frau freigab, desto mehr trieb es die beiden zueinander. Sie phantasierten sich in eine seltsam unwirkliche Atmosphäre hinein und kannten schließlich nur einen Gedanken: Wie wäre alles, wenn Otto Donner nicht existierte?

      Krönert schmiedete die tollsten Pläne. Ein Duell? Der Gerichtsassessor, »alter Herr« eines feudalen Korps, würde den dahergelaufenen Liebhaber seiner Frau ohrfeigen und noch dazu auslachen. Eine Unterredung zu dritt? Dieselben Folgen! Blieb also nur: Otto Donner musste aus dem Wege geräumt werden. Aber wie? Darüber grübelte Krönert Tag und Nacht. Als Annemarie ihm von dem Vorfall mit den Kindermurmeln erzählte, kam ihm die Idee zum Mordplan. Jede Woche ging der Assessor abends zur Übung der Einwohnerwehr, in Uniform, die Waffe an der Seite. Wenn man ihn bei dieser Gelegenheit mit einem Schuss erledigte, brauchte man nur eine zertretene Kindermurmel auf die Treppe zu legen, um vorzutäuschen, dass er ausgerutscht war, wobei seine Pistole losging. Das wäre nichts weiter als ein bedauerlicher Unglücksfall!

      »Aber, der Assessor ist doch mit seiner eigenen Pistole erschossen worden«, warf der Kommissar ein.

      Annemarie hatte am Nachmittag des 11. April die Armeepistole ihres Mannes gegen eine andere, gleichartige ausgetauscht. Unmittelbar nach der Tat wurde die vertauschte Pistole wieder aus der Revolvertasche genommen und die Waffe des Assessors neben die Leiche gelegt. Sie ließ am Nachmittag des Mordtages die Haustür offen, damit Krönert sich im Treppenflur verbergen konnte. Und als der Schuss fiel, lag sie, wie sie in ihrem Geständnis schilderte, fast bewusstlos in dem kleinen Wohnzimmer, zu schwach, die Tat zu wollen, aber auch zu schwach, sie zu verhindern.

      Das zur Zeit der Tat in Deutschland geltende Strafrecht kannte zwei Formen des Tötungsdelikts: Zum einen Mord nach §211 des Strafgesetzbuches, nämlich die vorsätzlich mit Überlegung ausgeführte Tötung eines Menschen. Darauf stand als einzig mögliche Strafe die Todesstrafe. Zum anderen Totschlag nach §212 des Strafgesetzbuches, nämlich die vorsätzlich (ohne Überlegung) ausgeführte Tötung eines Menschen. Darauf stand eine Zuchthausstrafe bis zu fünfzehn Jahren.

      Waren aufgrund dieser Rechtslage bereits erhebliche Zweifel gegeben, ob angesichts der Leidenschaft, die Otto Krönert jede Besinnung geraubt hatte, seine Tat rechtlich als eine »planmäßig unter Abwägung des Für und Wider ausgeführte Tötung«, also als »Mord«, zu beurteilen war, so wuchsen diese Zweifel bei der rechtlichen Qualifizierung der Handlungsweise der Annemarie Donner. Sie hatte ihren Geliebten bei der Begehung des »Mordes« unterstützt. Hatte sie das als »Mittäterin« getan, das heißt, »wollte sie die Tat Krönerts als eigene«, dann musste sie die gleiche Strafe treffen wie ihn. Wollte sie aber »der fremden Tat lediglich Hilfe leisten«, dann war sie nur wegen »Beihilfe« mit Zuchthaus oder Gefängnis zu bestrafen.

      Die Hauptverhandlung gegen beide fand vor dem Schwurgericht beim Landgericht Dresden am 12. und 13. Dezember 1926 statt. Länger als vier Stunden wurde im Beratungszimmer um die Frage gerungen, ob die verschiedenen Tathandlungen Annemarie Donners, wie der Tausch der Pistole und das spätere Hinlegen der Kindermurmel, als ausreichend für die Annahme der Mittäterschaft bei einer »vorsätzlich mit Überlegung« ausgeführten Tötung anzusehen seien – oder ob sie sich nur als »Hilfeleistung einer fremden Tat« darstellen – oder ob angesichts ihrer seelischen Verfassung überhaupt nicht von einem vorsätzlichen Tun gesprochen werden könne.

      Beide Angeklagten wurden wegen Mordes, begangen in Mittäterschaft, zum Tode verurteilt. Die gegen dieses Urteil beim Reichsgericht eingelegte Revision wurde als unbegründet zurückgewiesen. Das sächsische Staatsministerium allerdings machte von seinem Gnadenrecht Gebrauch: Beide wurden zu lebenslänglicher Zuchthaushaft begnadigt. Im Jahre 1945 wurden sie aus dem Zuchthaus Waldheim entlassen.

      Henner Kotte

      Die Affäre Isidor Fisch

      Spuren vom »Verbrechen des Jahrhunderts«

      führen in die Messestadt

      »Seit Lucrezia Borgia bin ich die Frau, die die meisten Menschen umgebracht hat, allerdings mit der Schreibmaschine«, sagte Agatha Christie. Und jeder Krimileser weiß, die Fälle, die Hercule Poirot und Miss Marple lösen, hat sich die Autorin ausgedacht. Beim Aufwaschen kommen ihr die besten Ideen, »denn das ist eine dermaßen stumpfsinnige Angelegenheit, dass man sich Gedanken machen muss«.

      Also ist alles in den Agatha-Christie-Krimis schriftstellerische Phantasie? Nicht ganz, denn die Queen of Crime ließ sich oft von wahren Begebenheiten inspirieren. Bereits ihr erstes Buch »Das fehlende Glied in der Kette« (1920) beruhte auf einem tatsächlichen Giftdiebstahl in einer Apotheke, und belgische Kriegsflüchtlinge gaben das Vorbild ab für Hercule Poirot, den Meisterdetektiv. In »Rächende Geister« flossen wissenschaftliche Kenntnisse und die Erfahrungen ihres Ehemannes, eines Archäologen, ein. Sie besuchte ihn oft bei seinen Grabungen. »Kurz vor Weihnachten des Jahres 1931 fuhr sie im Orientexpress zurück. Der Zug geriet in ein heftiges Unwetter und blieb für zwei Tage stecken. Agatha Christie hatte viel Zeit, sich eine neue Kriminalgeschichte auszudenken.« Für den »Mord im Orientexpress« lieferte ein wahrer Kriminalfall, der die Welt erschüttert hatte, den Anlass. Bei der Veröffentlichung des Kriminalromans war noch kein Täter des Verbrechens überführt. Und bis heute diskutieren die Experten, ob am 3. April 1936 tatsächlich der wirklich Schuldige auf dem elektrischen Stuhl in Trenton/New Jersey starb.

      »Murder


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