Lustige Läufer leben länger - oder zumindest besser. Ulrich Knoll

Lustige Läufer leben länger - oder zumindest besser - Ulrich Knoll


Скачать книгу
schien sie sich mit Laufschuhen auszukennen. Viel anderes hatte der kleine Laden im Gegensatz zu heutigen auf das Laufen spezialisierten Sportshops auch nicht zu bieten. Lediglich ein paar Laufshirts und Shorts hingen an den Wänden, ein Karton mit Energieriegeln lag auf dem Tresen.

      „Hallo, ich möchte gerne ein paar Laufschuhe kaufen“, sagte ich brav.

      „Hallo, ja, prima. Haben Sie da an etwas Spezielles gedacht?“, fragte die freundliche Frau.

      „Also, nicht wirklich. Halt so zum Laufen.“

      „Welche Strecken laufen Sie denn so?

      „Äh, tja, eigentlich laufe ich noch gar nicht. Ich wollte mit dem Laufen erst anfangen.“

      „Prima, gute Idee. Laufen ist Klasse. Macht echt Spaß.“

      Dieser kleine Motivationsschub freute und bestärkte mich.

      „Na, zeigen Sie mir mal, was Sie so für Laufschuhe im Angebot haben“, sagte ich.

      „Sind Sie ein Normalläufer, ein Pronierer oder ein Supinierer?“

      „Äh, wie bitte?“

      „Na, laufen Sie normal oder nach innen oder nach außen?“

      „Ein Orthopäde hat mir mal gesagt, ich habe Senk-, Knick- und Spreizfuß. Oder so ähnlich.“

      „Tja, die Orthopäden. Als ich es mal im Kreuz hatte, hat mir einer geraten, mich möglichst wenig zu bewegen, mich hinzulegen und nicht zu laufen. So ein Trottel. Seit ich laufe, sind alle meine Rückenprobleme weg.“

      „Das ist ja fein. Und was nehmen wir jetzt?“

      „Laufen Sie mal geradeaus in den Laden hinein.“

      Ich lief geradeaus in den Laden hinein. Sie stand hinter mir und beobachtete meine Füße.

      „Ganz klarer Fall von Pronierer. Starker Pronierer, würde ich sagen.“

      „Was war das noch mal?“

      „Sie laufen extrem nach innen. Sie brauchen Laufschuhe mit einer Art Fußbrücke.“

      „Und so was haben Sie?“

      „Klar. Viele Läufer laufen nach innen. Da gibt es hervorragende Laufschuhe. Schauen Sie mal.“

      Ich probierte ein paar recht schick aussehende Laufschuhe eines japanischen Herstellers an, mit denen ich angeblich nicht mehr nach innen laufen würde. Sie passten gut, schienen mir aber vorne an den Zehen zu groß.

      Ich lief ein bisschen im Laden herum.

      „Nicht schlecht. Aber die sind vorne mindestens ein bis zwei Zentimeter zu lang.“

      „Wenn Sie erst mal lange Strecken laufen, werden Sie dafür dankbar sein. Laufschuhe dürfen nicht zu knapp sitzen. Sonst gibt es Blutblasen.“

      „So so. Was heißt denn ‚lange Strecken‘‘ für Sie?“

      „Na so fünfzehn, zwanzig Kilometer oder mehr.“

      „Sie sind lustig. Ich muss erst mal einen Kilometer schaffen.“

      „Das werden Sie nach kurzer Zeit. Mit diesen Schuhen laufen Sie wie auf Wolken, versprochen.“

      Ich wollte die gute Frau nicht enttäuschen, zahlte einen meinem Empfinden nach erstaunlich hohen Preis für diese Wunderschuhe, klemmte den Schuhkarton unter die Arme und spazierte davon. Zuhause lief ich mit meinen neuen Laufschuhen in der Wohnung herum. Sie trugen sich wirklich sehr komfortabel.

      Jetzt gab es endgültig keine Ausrede mehr.

       Runden auf dem Sportplatz und zunehmende Freude beim Laufen im Gelände

      Los ging es morgens an einem sonnigen Spätfrühlingstag. Ich zog es vor, meine ersten Laufversuche nicht abends mit einer Laufgruppe zu absolvieren, um mich als Anfänger nicht zu blamieren und weil ich den anderen Läufern kein Klotz am Bein sein wollte. Zwar hatte man mir erzählt, dass jeder, wirklich jeder, in der Gruppe mitlaufen könne, dass es Gruppen mit unterschiedlichen Niveaus gebe, also welche für Anfänger, Fortgeschrittene und Schnelle, aber beim ersten Mal wollte ich lieber eigenbrötlerisch allein sein.

      Doch wohin? Raus ins Grüne fahren und dann vom geparkten Auto weglaufen wollte ich nicht, denn wer weiß, vielleicht übernahm ich mich und konnte dann schauen, wie ich wieder zurückkam. Am simpelsten erschien mir die, Idee einen geeigneten Sportplatz zu finden. Dort konnte ich einfach Runden laufen und notfalls zwischendurch mal ein paar Meter gehen. Das Auto wäre als Zufluchtsort vor dem Tor geparkt und ich könnte jederzeit abbrechen. Ich überlegte und erinnerte mich an einen etwas heruntergekommenen Sportplatz in meiner Heimatstadt, auf dem wir als Schüler früher gelegentlich Sportunterricht hatten, zumindest hätten haben sollen, denn meistens fiel er aus oder wir machten nur Blödsinn. Ab und zu hatten einige Freunde und ich dort in der Freizeit Fußball gespielt. Das war die Idee, dort konnte ich laufen. Es würde kaum jemand auf dem Sportplatz sein, denn es waren gerade Pfingstferien. Somit würde ich meine Ruhe haben.

      An jenem herrlichen Morgen betrat ich also den Platz, ging am alten, barackenähnlichen Sportheim vorbei und ein paar Stufen hinab zur Laufbahn. Hervorragend! Es war niemand da, keine Jugendlichen, keine Zuschauer, die mich veralbern konnten, noch keine Vereinsmitglieder beim Frühschoppen vor der Sportgaststätte. Nur ein alter, grummeliger Platzwart schlich herum, aber dem war ich egal. Er ging seinen Aufgaben nach und kratzte irgendwo mit einem Rechen in einer Ecke des Platzes herum.

      Also Junge, rief ich mir in Erinnerung, mach langsam, ganz langsam. So begann ich äußerst gemächlich auf der Aschenbahn zu traben. Ich konzentrierte mich darauf, wirklich keinen Deut zu schnell zu laufen, denn, das wusste ich ja inzwischen, das war der Kapitalfehler vieler Anfänger. Erst mal die Längsseite des Spielfeldes entlang, dann die erste Kurve, dann hinter dem Tor vorbei, dann die Gegengerade und am anderen Tor vorbei wieder auf die Ausgangsgerade, die sonst als 50-Meter- oder 75-Meter-Bahn genutzt wurde. Das ging ziemlich problemlos. Ich schwitzte nicht, ich schnaufte nicht. Also weiter, zweite und dritte Runde. Unmerklich schien ich etwas an Tempo zugelegt zu haben, denn schon auf der Gegengeraden der dritten Runde fiel mir das Laufen etwas schwerer. Dummerweise hatten sich in der Zwischenzeit ein paar Vereinsmitglieder oder sonstige Trunkenbolde mit ihren Bieren vor das Vereinsheim gesetzt. Da sie bereits die Weltpolitik geklärt und nichts Sonstiges zu bereden hatten, schauten sie zu mir herüber. Jetzt nur nicht schwächeln, dachte ich mir und lief zügig weiter. Zu zügig, viel zu zügig. Als ich wieder am Vereinsheim vorbeikam, riefen die Stammtischbrüder aufmunternd oder eher spöttisch „hepp, hepp, hepp“. Das empfand ich als lästig, aber ich ignorierte die Zuschauer souverän, tat, als ob ich nichts hörte, und lief weiter. Das wurde leider immer schwieriger. Eigentlich konnte ich nicht mehr so richtig, doch ich durfte mir jetzt keine Schwäche anmerken lassen und lief. Inzwischen schnaufte und transpirierte ich schon bedenklich. Das konnte nicht gesund sein. Die Stammtischbrüder beobachteten mich, hoben die Gläser, prosteten sich zu und feixten. Sie riefen „schneller, schneller, hopp, hopp, hopp“ und warteten offensichtlich auf meinen bevorstehenden Kollaps. Blödmänner! Ich war nun ziemlich außer Atem und musste mir dringend etwas einfallen lassen, um aus dieser Nummer unauffällig herauszukommen und diesen Deppen vor dem Vereinsheim keine Munition für weitere Schadenfreude zu liefern.

      Inzwischen wusste ich gar nicht mehr, ob ich schon fünf oder sechs Runden getrabt war, was ich im Grunde als keine zu schlechte Leistung für einen Anfänger empfand. Ich beschloss in meiner zunehmenden Atemlosigkeit, die Gegengerade einfach langsam zu gehen. Damit meine Erschöpfung nicht so auffiel, ruderte und wedelte ich ein bisschen mit den Armen und machte allerhand seltsame gymnastische Bewegungen, damit gar nicht der Verdacht aufkommen konnte, dass ich nicht mehr konnte. Mit hochrotem Kopf gerierte ich mich als Allroundsportler, der mal lief, mal ging, mal Gymnastik betrieb. Kurz: Ich machte aus der Not eine Tugend.

      Zum Glück wurde den Saufköpfen vor dem Vereinsheim das Zuschauen


Скачать книгу