Lustige Läufer leben länger - oder zumindest besser. Ulrich Knoll
abwechselnd joggend und langsam gehend, und vertrollte mich dann aus dem Stadion.
War das nun gut oder schlecht gewesen? Richtig gut sicher nicht, ganz schlecht auch nicht, aber zufrieden mit mir und der Welt war ich nicht. Ich musste das Laufen sozusagen buchstäblich langsamer angehen, um länger durchzuhalten. Das war klar und das würde ich das nächste Mal versuchen. Auf keinen Fall durfte ich der Versuchung anheimfallen, für die Tribüne schneller zu laufen.
Zwei Tage später war ich morgens wieder auf dem Sportplatz, noch etwas eher als beim ersten Mal, damit ja keiner zuschauen konnte. Der Platzwart kratzte wieder irgendwo herum, sonst ließ sich niemand blicken und ich war mit der Situation zufrieden. Ich drehte mehrere wirklich langsame Runden auf der Aschenbahn und war halbwegs mit mir im Reinen. Dann ging es wieder ab nach Hause unter die Dusche.
Das wiederholte ich mehrere Tage, bis es mir gelang, zehn Runden langsames Laufen ohne Gehpause zu absolvieren. Ich war ein bisschen stolz auf mich und wurde unbefangener und selbstsicherer. Wenn ich wieder einmal etwas später auf dem Sportplatz einlief, saßen die üblichen Morgenalkoholiker schon vor der Sportgaststätte hinter ihren Bieren. Aber mittlerweile hatten sie sich an mich gewöhnt und unterließen ihre doofen Zurufe. Sie ließen den armen Irren da unten einfach kommentarlos um den Platz herumlaufen. Mich störten sie inzwischen nicht mehr.
Ich beschloss, beim Laufen doch ab und zu einmal auf die Uhr zu schauen und stellte hocherfreut fest, dass ich mittlerweile die Runde unter zwei Minuten schaffte. Mir war in Erinnerung, dass Sportplatzrunden unter zwei Minuten schon als recht ordentliche Leistung galten. Es war natürlich ein Unterschied, ob das nur ein- oder zweimal gelang oder mehrere Runden lang.
Ein Doktor Cooper in den USA hatte sich irgendwann einmal über Laufen und Laufzeiten Gedanken gemacht und einen Test entwickelt, eben den so genannten Coopertest, bei dem man in zwölf Minuten so viele Runden wie möglich laufen sollte. Mit diesem dämlichen Geschwindigkeitstest konnte man angeblich die Fitness des Läufers feststellen und damit hatte man uns in der Schule immer wieder sinnlos traktieren wollen. Der Coopertest war zu jener Zeit äußerst modern und in meinen Augen eine hanebüchene Frechheit, denn trainiert hatten wir dafür nie. Wie das eben so üblich war im unsäglichen Sportunterricht in diesem Land, damals und meist heute noch: Irgendwann gab es Tests oder Bundesjugendspiele und vorbereitet waren diese nie. Es ging und geht den Sportlehrern immer nur um etwas Messbares für fragwürdige Noten.
Egal. Knapp zwei Minuten für die Runde und das mehrere Runden lang, das fand ich recht ordentlich für einen Anfänger.
Zwischenzeitlich war eine Sportlergruppe am Platz eingetroffen, offensichtlich irgendeine Jugendmannschaft des Vereins. Ich war gerade mit meinem Lauf fertig, rubbelte mich mit dem Handtuch etwas ab und gesellte mich quasi als älterer Laufkollege zu den Jugendlichen dazu. Plötzlich hörte ich den Sporttrainer zu seinen Jungs sagen:
„Also Leute, aufgepasst. Wir fangen erst mal mit ein paar Runden an. Langsam, wie immer. Dann steigern wir und die letzten drei Runden laufen wir volle Kanne. Die stoppen wir dann auch. Ihr wisst, dass auf diesem komischen Platz drei Runden gut 1000 Meter entsprechen, denn die Aschenbahn um den diesen Platz ist ja seltsamerweise nur circa 340 Meter lang. Also, wie gesagt, drei Runden sind ein bisschen mehr als 1000 Meter, damit also zweieinhalb Runden eines normalen Platzes. Ist das klar?“
Die Jungs schauten gelangweilt. Sie wussten Bescheid. 340 Meter hatte der Trainer gesagt? Mir dämmerte, was mit meiner Leistung nicht stimmte. Ich war keine normale 400-Meter-Runde in unter zwei Minuten gelaufen, sondern jeweils nur circa 340 Meter! Mist, dachte ich, so toll war das nun auch wieder nicht. Ich redete mir meine Leistung etwas schön, denn auf einer vorsintflutlichen Aschenbahn zu laufen war ja wohl anstrengender als auf einer modernen Tartanbahn, die höheres Tempo ermöglichte.
Doch meine Leistung würde ich steigern müssen. Mein Ehrgeiz war geweckt und ich verdrängte in den nächsten Tagen, dass es mir im Grunde gar nicht darum gehen sollte, schnelle Runden hinzulegen, sondern um kontinuierliches Laufen längerer Strecken. So drehte ich also beharrlich meine Runden auf dem Platz. Die Stammtischbrüder grüßten mich inzwischen freundlich und wir wechselten ein paar Worte. Für den alten Platzwart war ich Luft.
Mein Einstieg in dieses regelmäßige Läuferleben endete eine Woche später abrupt. Ich bemerkte beim Rundenlaufen aus der Ferne, wie der Platzwart mit etwas auf eine Mülltonne einschlug, konnte aber zunächst nicht genau erkennen, was er da trieb. Beim Vorbeilaufen in der nächsten Runde sah ich, dass er ein lebendiges kleines Kaninchen in der Hand hatte, es ungeniert auf der Mülltonne erschlug und dann hineinwarf. Ich war entsetzt. Das durfte doch nicht wahr sein. So ein Idiot, so ein brutaler Tierschänder. Ich steuerte auf ihn zu und fragte dümmlich, was er da treibe. Er hatte gerade wieder ein Kaninchen in der Hand, schaute mich misstrauisch an und knurrte:
„Was geht dich das an? Lauf deine Runden und halt die Klappe. Die Viecher graben mir den ganzen Platz um. Die mach ich jetzt alle.“
„Das tun Sie nicht“, schrie ich.
„Das werde ich mir von dir Rotzlöffel sagen lassen“, brüllte er und zertrümmerte wieder den Schädel eines Kaninchens. Ich packte ihn am Kragen und zerrte ihn von der Mülltonne weg. Er löste sich aus meinem Griff, ging wutentbrannt auf mich los und plärrte:
„Hau ab, du Pfeife. Du hast hier überhaupt nichts zu suchen. Bist du überhaupt Vereinsmitglied? Schau, dass du verschwindest und lass dich nie mehr blicken, sonst hau ich dir auch noch den Schädel ein.“
Das wollte ich nicht riskieren und so trat ich grummelnd und auf ihn fluchend den Rückzug an. Ich kramte mein ganzes Beleidigungsrepertoire zusammen und deckte ihn damit ein. Nachlaufen konnte er mir nicht, dazu war er zu alt und ich inzwischen zu schnell. Die Stammtischbrüder vor dem Vereinsheim waren begeistert.
Mir war klar, dass ich nichts gegen diesen Barbaren ausrichten konnte. Für mich war das schade, denn damit endeten meine Laufversuche auf diesem Sportplatz. Ich habe ihn nie mehr betreten.
Die Idee des Laufens auf einem Sportplatz wollte ich dennoch nicht aufgeben, sie erschien mir recht praktisch. Ich suchte mir also einen anderen Platz, der während der Woche morgens ebenfalls meist verwaist war, zumindest solange keine Schulklassen des Wegs kamen. Der neue Sportplatz war wesentlich moderner und hatte eine richtige, tatsächlich genau 400 Meter lange Tartanbahn. Ich fragte den Platzwart, ob es ihn störe, wenn ich in der Früh ein paar Runden laufe und schenkte ihm eine Flasche Rotwein, worauf er keinerlei Einwände hatte.
Auf diesem Platz lief alles wie am Schnürchen. Ich drehte auf der Tartanbahn meine Runden, zunehmend ein paar mehr, zunehmend ein wenig schneller und nach zwei weiteren Wochen war ich in der Lage, zehn Runden in einem anständigen Tempo zu laufen, wenngleich noch nicht durchgehend unter jeweils zwei Minuten. Doch bis zu dieser Schallgrenze war es nicht mehr weit, das spürte ich.
So lief ich und lief ich, manchmal jeden Tag, manchmal alle zwei Tage, mal vormittags, mal nachmittags, wie es meine Arbeit gerade ermöglichte, und war mit mir zufrieden. Ab und zu war ich schon früh um sechs Uhr auf dem Platz, der zu dieser Zeit noch nicht geöffnet war. Doch ich kannte in Absprache mit dem Platzwart und der Dreingabe einer weiteren Flasche Rotwein ein Hintertürchen und so konnte ich völlig ungestört meine Runden drehen.
Es war ein richtig gutes Gefühl, frühmorgens zu laufen, dann zu duschen und anschließend zu arbeiten. Ich spürte, dass der Kopf durch das Laufen frei wurde. Selbst die Routine und Monotonie der einsamen Platzrunden, die manch einer vielleicht als äußerst langweilig empfunden hätte, störte mich nicht im Geringsten. Während ich trabte, checkte ich ab und zu die Zwischenzeiten, fixierte zum Zeitvertreib Zwischenziele, zum Beispiel einen markanten Baum an der Gegengeraden oder das Tor an der Kopfseite und zählte die Runden. Es gab sozusagen immer etwas zu tun. Den simplen mentalen Trick, eine längere Strecke in überschaubare Zwischenschritte zu teilen, behielt ich auch später beim Laufen bei.
So ging das einige Wochen. Ich war mit mir und meiner kleinen Welt des Laufens zufrieden. Die Frage war, wie es weitergehen sollte, denn natürlich konnte ich nicht für alle Zeiten um einen Sportplatz herum laufen, irgendwann musste der Zeitpunkt des Absprungs ins freie Gelände kommen. Aufgeben jedoch wollte ich die Sportplatzrunden nicht völlig, lieferten sie mir doch Parameter meiner