Feldstudien auf der Hundewiese. Marc Bekoff
Geruchsareal nur 11 cm2 groß sein. Je größer das Areal, desto größer die Möglichkeit, auch schwache Gerüche wahrzunehmen.”73 Abgesehen vom Messen des Geruchsschleimhautareals haben Forscher auch die Anzahl olfaktorischer Rezeptorzellen unterschiedlicher Rassen bestimmt: Bloodhounds haben mit rund 300 Millionen die meisten Rezeptorzellen. Aus diesem Grund haben Bloodhounds auch die beste Nase aller Rassen – eine Nase, die zwischen zehn und hundert Millionen Mal empfindlicher ist als unsere. Deutsche Schäferhunde haben immer noch 220 Millionen olfaktorische Rezeptorzellen, Foxterrier 147 Millionen und Dackel 125 Millionen.
Die beste Nase: Hund versus Mensch
Wie viel wichtiger ist die Nase für den Hund als für den Menschen?
Die folgenden Vergleiche verdeutlichen den Unterschied:
• Das Rhinencephalon (Riechhirn) des Hundes ist fast sieben Mal größer als das des Menschen.
• Die Riechschleimhaut eines Hundes misst zwischen 67 und 200 Quadratzentimeter, während jene des Menschen nur zwischen drei und zehn Quadratzentimeter groß ist.
• Hunde können zwischen 125 und 300 Millionen olfaktorische Zellen haben. Menschen besitzen fünf Millionen.
• Jede olfaktorische Zelle des Hundes ist mit 100 bis 150 olfaktorischen Haaren besetzt. Menschen haben sechs bis acht olfaktorische Haare pro Zelle.
• Hunde können manche Stoffe bis zu einer Verdünnung von einem part per trillion riechen. Die niedrigste vom Menschen wahrnehmbare Verdünnung liegt bei einem part per billion.
Dr. Rosell schreibt:
„Atmet ein Hund ein, zieht die Luft aus der Nähe ins Nasenloch und er weiß, in welches Nasenloch der Geruch gelangt. Die Nasenlöcher der Hunde sind mehr als nur eine einfache Öffnung. Sie haben eine flügelähnliche Klappe, die sich vor dem Luftstrom öffnet und dahinter wieder schließt. Diese Klappe bestimmt die Richtung des Luftstroms in der Nase und aus der Nase heraus. Wenn der Hund einatmet, entstehen Öffnungen oberhalb und seitlich dieser Klappe. Beim Ausatmen schließen sich diese und die Luft fließt aus anderen Öffnungen seitlich unterhalb der Klappe heraus, und zwar so, dass der Hund das Einsammeln neuer Gerüche steigern kann. So fließt die warme, ausgeatmete Luft nach hinten und weg vom Geruch, an dem die Hunde schnuppern, wodurch verhindert wird, dass der Geruch mit der ausgeatmeten Luft vermischt wird. Weil die Luft warm ist, werden die Geruchsstoffe aufgewärmt und gehen leichter in eine Gasform über, was das Geruchssammeln verstärkt. Indem sie die Nase nah am Boden halten und rasch einatmen, können Hunde die schwereren, nicht flüchtigen Geruchsstoffe vom Boden hochblasen, in die Luft wirbeln und einatmen. “74
Ganz klar: Die Hundenase ist ein Kunstwerk, eine raffinierte Anpassung an die Umwelt, ein Meisterstück der Evolution – und dabei doch ganz ohne Ziel und Plan entstanden! Erzählt mir jemand, dass er sich wünschte, die Nase eines Hundes zu haben, rate ich ihm, sich das nochmal zu überlegen: Ich bin froh, einiges über das faszinierende Sinnesorgan zu wissen, doch nicht einmal ich möchte all jene Dinge riechen können, deren Duft unsere Hunde betört.
Die Welt aus dem Blickwinkel des Hundes
Zweifellos haben Hunde einen feinen und hoch entwickelten Geruchssinn. Sie haben außerdem ein Paar guter Augen, die ebenfalls wichtig sind, um sich in ihrem sozialen Umfeld zurechtzufinden. Sicher bin ich nicht der Einzige, der schon einmal im Blickduell gegen einen Hund verloren und als Erster weggeschaut hat. Hunde sind übrigens nicht die einzigen Tiere, die dem Menschen in die Augen sehen: Mit wilden Kojoten, Schwarzbären und Pumas rund um mein Berghaus habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht.
John Bradshaw und Nicola Rooney schreiben: „Hunde sind visuelle Universalisten und können sich in den verschiedensten Lichtverhältnissen zurechtfinden. Sie sind Dichromaten – das heißt, sie können nicht zwischen grün und grau bzw. gelb und orange unterscheiden, und rot erscheint für sie schwarz. Es gibt kaum Hinweise darauf, dass Farben eine Rolle in der visuellen Kommunikation der Hunde spielen. Das Sehvermögen variiert von Rasse zu Rasse. Greyhounds wird nachgesagt, von allen Hunden am besten zu sehen – jedoch wurde dies bis heute nicht eindeutig nachgewiesen.”75
Die Nahsicht des Menschen ist besser als jene der Hunde: Sie verlassen sich oft auf eine Kombination aus Gerüchen und Geräuschen, um sich mit Dingen in unmittelbarer Nähe auseinanderzusetzen. Bewegungsreize werden besser wahrgenommen als stationäre Reize. Dem kommt zum Beispiel im Lesen des Schwanzwedelns eines Artgenossen (mit dem ich mich in Kapitel sieben beschäftige) Bedeutung zu. Wir wissen auch, dass Hunde Tiere auf Basis eines Bildes von deren Kopf unterscheiden können. Immer wieder erzählt mir jemand, dass sein Hund Artgenossen aus großer Distanz „lesen” könne: Er wisse schon aus der Ferne, ob diese ihm freundlich gesinnt und an einem Spiel interessiert sind oder ob sie keinen Kontakt wollen. Allerdings ist die Sehschärfe der Hunde der unseren weit unterlegen: Was wir aus über zwanzig Meter Entfernung sehen können, erkennen sie erst aus sechs Metern Entfernung. Sie sollten Brillen tragen! Darum fasziniert es mich jedes Mal wieder, wenn ein Hund einen anderen aus großer Distanz erkennen kann. In der Besprechung einer Studie von Dominique Autier-Dérian und ihren Kollegen sagt C. Claiborne Ray: „Mit Größenunterschieden vom winzigen Malteser bis zum riesigen Bernhardiner und unzähligen Varianten von Fell, Schnauze, Rute und Körperbau ist es schwer zu glauben, dass tatsächlich alle Hunde ein und derselben Art angehören. Und doch erkennen Hunde einander problemlos gegenseitig – selbst dann, wenn sie nicht auf Hinweise wie Geruch, Bewegungsmuster und Bellen, Jaulen oder Winseln zurückgreifen können.”76
Viele Hundehalter berichten, dass ihre Vierbeiner bei ersten Begegnungen Artgenossen derselben Rasse bevorzugen und dass Hunde derselben Rasse einander anders behandeln als Hunde verschiedener Rassen. Hat dies wie das Erkennen verwandter Tiere unter Nagern mit dem Geruch zu tun? Hunde wissen zwar, wie sie selbst riechen, aber nicht unbedingt, wie sie aussehen – oder vielleicht doch? Studien, die in den 1960er Jahren an Vögeln durchgeführt wurden, lassen vermuten, dass ihnen die eigene Farbe aufgrund ihres Spiegelbildes in Wasserflächen bewusst werden könnte.
Wir wissen auch, dass Hunde nicht farbenblind sind, aber ein geringeres Farbspektrum wahrnehmen können als wir: Hunde sehen eine Bandbreite an Farben, die jener eines rot-grün-blinden Menschen entspricht. Andererseits können Hunde nachts besser sehen als wir. Es wird angenommen, dass sie sich in fünf Mal schwächerem Licht als wir zurechtfinden.
Hundeohren: Der Gehörsinn unserer Vierbeiner
Von langen Schlappohren bis kurzen Stehohren können die Ohren der Hunde die unterschiedlichsten Formen und Größen haben. Unabhängig davon hören sie Dinge, die uns Menschen verborgen bleiben. Zudem sind Hundeohren beweglich und können in verschiedene Richtungen gedreht werden, was dem Vierbeiner erlaubt, genauer zu bestimmen, woher ein bestimmtes Geräusch kommt. Je nach Rasse und Alter sind Hunde in der Lage, Frequenzen von bis zu vierzig- bis sechzigtausend Hertz zu hören (ein Hertz entspricht einem Zyklus pro Sekunde). Menschen hingegen hören Geräusche von bis zu zwölf- bis zwanzigtausend Hertz. Das Geräusch einer Hundepfeife bewegt sich in der Regel in einem Frequenzbereich zwischen dreiundzwanzig- und vierundfünfzigtausend Hertz. Hunde besitzen mehr als achtzehn Muskeln, um die flexible Ohrmuschel zu bewegen. Im Allgemeinen ist der Frequenzbereich, in dem Hunde hören können, etwa doppelt so groß wie der des Menschen und sie können Geräusche aus vier Mal so großer Entfernung wie wir wahrnehmen: Was ein Hund aus zwanzig Metern Entfernung hört, hört ein Mensch erst aus fünf Metern Entfernung.77 Der Gehörsinn der Hunde ist natürlich an jene Laute angepasst, welche sie selber von sich geben: John Bradshaw und Nicola Rooney berichten, dass Studien zufolge wilde Caniden zwölf und Hunde zehn verschiedene Geräusche produzieren. Bis heute herrscht allerdings keine Einigkeit, wie viele Laute Hunde tatsächlich von sich geben: Manche Wissenschaftler zählen verschiedene Geräusche zur selben Kategorie, während andere eine feinere Einteilung vornehmen.
Geschmack, Geruch und das Potpourri der Sinneseindrücke
Dieses Kapitel konzentriert sich vor allem auf Nase, Ohren und Augen der Hunde: die wichtigsten Sinne der Caniden und zugleich jene, über die wir am meisten wissen. Über den Geschmacks- und Tastsinn unserer Vierbeiner wissen wir vergleichsweise wenig.
Der