Feldstudien auf der Hundewiese. Marc Bekoff
Was auch immer es ist, das die Nase den Hunden verrät – Gerüche können Hunde dermaßen einnehmen, dass sie völlig zu vergessen scheinen, was rund um sie vorgeht und was sie gerade tun. Manchmal begegne ich einem Hund, der dermaßen ins Schnüffeln vertieft ist, dass er mein Auftauchen überhaupt nicht wahrzunehmen scheint. Während ich an diesem Kapitel arbeitete, beobachtete ich einen Hund, der einer Spur von einem Radweg in Boulder folgte, welche geradewegs in einen Bach führte! Ich erinnere mich auch gut an den Tag, als ich den Feldweg zu unserem Haus in den Bergen hochlief und sah, wie Jethros ausgezeichnete Nase meinen Gefährten geradewegs in ein Kaktusfeld führte. Ich schrie, um ihn zu warnen – doch es war bereits zu spät. Gern würde ich sagen, dass er aus dem stacheligen Zusammenstoß lernte – doch leider war dies nicht der Fall. Am nächsten Tag stieß er mit der Nase an derselben Stelle erneut gegen einen Kaktus. Was auch immer es war, dass Jethro so vereinnahmte – es ließ ihn alles andere vergessen. Interessanterweise schenkte keiner seiner Hundefreunde den duftenden Kakteen auch nur die geringste Aufmerksamkeit.
Die Raffinesse der Hundenase wirft die Frage auf, wie sich Gerüche ausbreiten. Wie ich weiter unten bespreche, stellt die Fähigkeit der Hundenase, Gerüche zu unterscheiden, unsere eigenen olfaktorischen Talente in den Schatten. Hunde können subtile Unterschiede zwischen Düften wahrnehmen, die für uns genau gleich riechen. Auch ist bekannt, dass sie dazu ausgebildet werden können, nach Bomben, Drogen und verbotenen Lebensmitteln zu suchen. Im letzteren Fall lernen Hunde, nicht jedes x-beliebige Nahrungsmittel, sondern nur ganz bestimmte Dinge anzuzeigen. Ausgebildete Hunde können sogar verschiedene Krankheiten riechen und Ärzten auf diese Art bei der Diagnose helfen. Sie sind in der Lage, in den unterschiedlichsten Situationen Spuren zu verfolgen und Gerüche aufzuspüren und werden an Tatorten eines Verbrechens oder zur Suche vermisster Personen eingesetzt, wobei sie die Richtung erkennen, aus welcher der Geruch des Gesuchten kommt.
Hunde sind auch als Umweltschutzbiologen im Einsatz. Sie helfen beim Aufspüren der Tiere, ohne dass es nötig wäre, diese einzufangen und mit Funkhalsbändern auszustatten. Sie finden seltene Arten und spüren Losungen auf, mit deren Hilfe ihre zweibeinigen Partner feststellen, was die Wildtiere gefressen und ob sie pharmazeutische Produkte, Schwermetalle oder Gifte aufgenommen haben. Auch helfen sie, das Wildern und Töten von Elefanten und Nilpferden zu verhindern, die bis heute aufgrund des Elfenbeins bzw. ihrer Hörner in Gefahr sind. Interessanterweise kommen viele Artenschutzhunde, die ein aufregendes und erfülltes Leben an der Seite eines Biologen führen, ursprünglich aus dem Tierheim. Die Hunde, mit denen ich in den Bergen von Boulder, Colorado, lebte, ließen mich verlässlich wissen, wenn sich Schwarzbären oder Pumas in der Nähe aufhielten. Ich folgte ihnen, wohin sie ihre Nase führte, bis ich die Losung des entsprechenden Tieres fand, anhand derer ich feststellen konnte, um welches Tier es sich handelte. War es ein Bär oder Puma, machte ich mich auf den Heimweg.64 Einer meiner Hunde zeigte auch an, wenn sich ein Rotluchs in der Nähe aufhielt. Er hatte sich mir nie gezeigt, doch wusste ich, dass er hier war. Braver Hund!
Aufgrund dessen, wie sich die Hundenase ausbilden lässt, sind uns auch ein paar der Dinge bekannt, die Hunde mittels ihrer Nase über Menschen herausfinden: Sie können zwischen unseren Emotionen unterscheiden und bestimmte Krankheiten erkennen. In den meisten Fällen kam der Mensch überhaupt erst auf die Idee, Hunde in der Diagnostik einzusetzen, weil diese selbst uns zeigten, dass sie eine bestimmte Krankheit riechen konnten. Interessanterweise lassen sich nicht alle menschlichen Krankheiten auf dieselbe Art feststellen.65
2016 kreierte Mathew Reichertz, ein Professor am Nova Scotia College of Art & Design, eine Kunstausstellung mit dem Titel Dog Park. Diese umfasste eine Gemäldeserie, die vom Blickwinkel eines Hundes aus zeigte, wie sich verschiedene Düfte in der Atmosphäre verteilen. Professor Reichertz erklärt: „Ich beschäftigte mich damit, wie sich Gerüche im unebenen Gelände ausbreiten, wie die Nase des Hundes funktioniert und wie sich Hunde verhalten, wenn sie einer Spur folgen. Je mehr ich mich bemühte, den Geruchssinn der Hunde zu verstehen, desto deutlicher wurde, dass deren olfaktorische Erfahrung eine Art Architektur ergibt, in welcher sie leben und sich bewegen.”66
Ich frage mich auch immer wieder, was passiert, wenn ein Hund schläft. Oft beobachte ich einen dösenden Hund – zumindest sieht es aus, als würde er schlafen –, dessen Nase sich langsam von einer Seite zur anderen bewegt, häufig begleitet oder dicht gefolgt von einem Schnaufen, einem anderen Geräusch oder einer Augenbewegung. Manchmal höre ich ein lautes Schnauben und rechne damit, gleich einen Patzen Nasenschleim durch den Raum fliegen zu sehen, während der Hund friedlich weiterschläft und vielleicht von einer köstlichen Mahlzeit oder einem Tag mit Freunden träumt.
Wie funktioniert die Hundenase?
Wir alle haben eine gute Vorstellung davon, was Menschen riechen können. Darum ist es hilfreich, unser eigenes Riechvermögen mit dem des Hundes zu vergleichen.67 Der Geruchssinn ist der am höchsten entwickelte Sinn des Hundes. Der olfaktorische Kortex ist Teil des Gehirns. Beim Hund ist er etwa vierzig Mal größer als beim Menschen. Etwa fünfunddreißig Prozent des Hundegehirns ist für Gerüche zuständig, während es beim Menschen nur fünf Prozent sind. Hunde können ihre Nasenlöcher unabhängig voneinander einsetzen, was ihre Fähigkeit zur Geruchswahrnehmung weiter erhöht. Wissenschaftler haben untersucht, wie die Luft durch die Nase eines Vierbeiners strömt und festgestellt, dass diese durch die Nasenlöcher ein- und durch die Schlitze auf der Seite der Nase ausatmen. Dadurch können Gerüche im hinteren Teil der Nase behalten werden. Hunde atmen auch nicht alle Geruchsmoleküle gleichzeitig aus.68 Die menschliche Nase kann zwischen vier- und zehntausend verschiedene Gerüche wahrnehmen, die Hundenase hingegen zwischen dreißig- und hunderttausend: Sie ist der unseren um das Hunderttausend- bis Millionenfache überlegen.
Alexandra Horowitz verrät uns, dass die Riechschleimhaut eines Hundes dessen gesamten Körper zudecken könne wie ein Leintuch, wenn wir diese ausbreiten würden – im Gegensatz zu der des Menschen, welche gerade mal ein Muttermal auf der Schulter abdecken könnte.69
Hunde schnüffeln etwa fünf Mal pro Sekunde. Wenn sie die Möglichkeit dazu haben, verbringen Sie ein Drittel ihrer Zeit damit, nach Herzenslust zu schnuppern, zu schnüffeln und zu riechen. Während des Schnüffelns atmen Hunde nicht aus. Das erlaubt ihnen, selbst schwache Gerüche wahrzunehmen. Sie können ihre beiden Nasenlöcher unabhängig voneinander bewegen und einsetzen, und wenn ihre Nahrung weniger Protein und mehr Fett enthält, verbessert sich ihr Geruchssinn.70
Hunde können sogar unter olfaktorischer Erschöpfung leiden, wenn sie zu viel riechen. Ich frage mich, ob sie mitunter von den Gerüchen, denen wir sie aussetzen, überwältigt sind: Wie beeinflussen Hundeparfums, Shampoos und Seifen die Wahrnehmung biologisch relevanterer Gerüche? Mögen Hunde die duftenden Seifen überhaupt, oder schmeicheln diese einzig und allein der menschlichen Nase? Es ist wichtig, darauf zu achten, wie sie sich gegenüber den Gerüchen verhalten, mit denen wir sie besprühen, baden oder einreiben.71
Dem norwegischen Forscher und Hundenasenspezialsiten Dr. Frank Rosell zufolge hilft die Nase des Hundes auch beim Aufwärmen, Filtern und Befeuchten der inhalierten Luft, bevor diese in die Lunge strömt. Zwar dienen die Nasenlöcher aller Lebewesen sowohl dem Atmen als auch dem Riechen, doch sind diejenigen des Hundes außerordentlich gut organisiert und den unseren weit überlegen.
Dr. Rosell schreibt:
„Atmet der Hund durch die Nase, gelangt die Luft durch die Atemwegsbereiche in der langen Schnauze und dann direkt in die Lunge. Wenn er schnuppert, gelangt die Luft hingegen zuerst in einen Seitenweg, den wir Recessus olfactorius („olfaktorische Vertiefung”) nennen. Dieser befindet sich im hintersten Teil der Nasenöffnung. Mikrosomatische Säugetiere wie Menschen und Primaten besitzen solche Recessi olfactorii nicht. Hunde haben bewegliche Nasenöffnungen, die sich beim Schnuppern weiten: dies öffnet eine obere Passage, die die Luft direkt zum hinteren Teil des Recessus olfactorius leitet. Die Luft wird langsam durch das Sinnesorgan filtriert, bevor sie in die Lunge gelangt.“72
Auch von Rasse zu Rasse gibt es Unterschiede. Dr. Rosell erklärt:
„Die Geruchsschleimhaut variiert sowohl zwischen den verschiedenen Rassen als auch innerhalb einer Rasse und mit dem Alter. Schäferhunde haben mit