Feldstudien auf der Hundewiese. Marc Bekoff

Feldstudien auf der Hundewiese - Marc Bekoff


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subjektive Pronomen – er oder sie – als objektive Pronomen wie „es”.35 Direkte Zitate habe ich in diesem Buch jedoch nicht im Sinne meiner präferierten Wortwahl geändert. Gelegentlich nutze ich auch selbst die Worte „Haustier” und „Besitzer”, wenn diese passender oder klarer sind als die Alternative. Dennoch weise ich bereits lange darauf hin, dass Medien, Journalisten und Wissenschaftler darauf achten sollten, dass Sprache unausgesprochene Vorurteile transportieren kann – so etwa ein Verständnis von Tieren als Objekten. Ich freue mich, dass der Trend hiervon wegführt.

      In diesem Buch bespreche ich das Verhalten der Hunde mit einem Fokus auf dessen praktische Implikationen: Wie können wir unser Wissen einsetzen, um die Lebensqualität unserer Hunde zu steigern? Wie können wir zugleich ihre individuellen Eigenheiten in die Entscheidungen einfließen lassen, die wir für sie treffen? Wie erkennen wir, was das einzigartige Lebewesen, mit dem wir zu tun haben, braucht und sich wünscht? Entscheiden wir, einen Hund in unser Zuhause und unser Herz aufzunehmen, so sind wir verpflichtet, alles zu tun, was wir können, um ihm ein schönes Leben zu ermöglichen. Für mich handelt es sich dabei um eine Verantwortung, der wir uns nicht entziehen können. Keine Zeit zu haben oder davon auszugehen, dass unser eigenes Leben wichtiger ist als das eines Hundes, ist kein Argument. Schließlich können wir ganz einfach Entscheidungen treffen, die unseren Tieren das ermöglichen, was sie wollen und brauchen. Hunde können uns auch viel über das Leben im Allgemeinen beibringen.

      Einerseits handelt es sich beim vorliegenden Werk um ein Hundebuch zum besseren Verständnis, andererseits hoffe ich doch sehr, dass das darin enthaltene Wissen praktische Anwendung findet. Darum finden sich in Kapitel neun, „Ein Leitfaden für Hundeliebhaber”, spezifische Ratschläge zum Umgang und Leben mit Hunden sowie meine Gedanken zu deren Training bzw. Erziehung. Mir wurde sogar geraten, das ganze Buch einen „Leitfaden für Hundebesitzer” zu nennen – aber das wäre nicht ganz richtig. Aus Hundeperspektive ist ein Vierbeiner kein Ding, das besessen werden kann, und „Besitz” kann und soll unserer Beziehung auch gar nicht gerecht werden. Wir besitzen ein Sofa oder einen Elektroherd, und wenn diese Dinge kaputtgehen, reparieren oder entsorgen wir sie, um sie durch neue zu ersetzen. Das Zusammenleben mit einem Hund hingegen ist ein lebenslanges Versprechen, welches voraussetzt, dass wir uns immer wieder neu miteinander befassen.

      Gewissermaßen handelt es sich bei diesem Buch auch um einen Leitfaden zur Freiheit: Verstehen wir, was es heißt, als Hund in einer von Menschen dominierten Welt zu leben und dass beim Zusammenleben von Mensch und Hund beide Abstriche machen müssen, so sind wir bereits auf dem besten Weg zu größerer Freiheit für Zweiund Vierbeiner. Die Erkenntnis, dass eine dauerhafte positive und bereichernde Beziehung ein Geben und Nehmen erfordert, führt zu mehr Freiheit für beide.

      Ich arbeite zwar nicht als Trainer, bin jedoch ein Wissenschaftler, der sich für eine positive Erziehung einsetzt, die ohne Dominanz oder Einschüchterung auskommt. Allerdings gibt es kein Patentrezept im Hundetraining. Wie Kinder benötigen auch manche Hunde ein wenig mehr Unterstützung im Unterricht, mehr Fürsorge und Liebe als andere, um das Zusammenleben mit Artgenossen oder ihren Menschen zu lernen. Ausnahmslos alle Hunde verdienen zudem einen wertschätzenden Umgang. Wenn ich davon schreibe, was Hunde wollen und brauchen, konzentriere ich mich auf ihre Gefühle als Indikator dafür, wie wir sie behandeln sollten. Intelligenz ist nicht wirklich relevant dafür, wie sehr ein Individuum leidet. Die Frage, ob ein weniger intelligenter Hund weniger leidet als ein besonders intelligenter, ist hinfällig. Wie sehen wir dieses Thema im Zusammenhang mit Menschen unterschiedlicher Intelligenz? Machen wir uns zur Leitlinie, dass alle Geschöpfe dieselbe Leidenskapazität haben. Hunde leiden nicht mehr als Ratten oder Mäuse und nicht weniger als Menschen.

      Für diejenigen Leser, die ihr Leben mit Hunden oder anderen Tieren zu teilen vorhaben, sehe ich dieses Buch als präventive Lektüre zum humanen Umgang mit denselben. Es ist nicht genug, dass uns ein Hund (oder anderes Tier) wichtig ist: Wir müssen dieses Gefühl zu Taten werden lassen, um allen Individuen ein glückliches Leben zu ermöglichen. Am Ende dieses Buches findet sich darum ein Aufruf zum aktiven Einsatz für das Wohl der Hunde.

      Die Entscheidung, ein Tier in unser Haus und unser Herz aufzunehmen, scheint oft ausgesprochen simpel: Wir suchen einen Gefährten, um ihn zu lieben und hoffen, dass uns dieser ebenfalls lieben wird. Doch die daraus entstehende Beziehung und unsere Verpflichtungen können schnell kompliziert werden. Meine Kollegin Dr. Jessica Pierce bringt dies in ihrem Buch Run, Spot, Run: The Ethics of Keeping Pets auf den Punkt: „Sind Sie bereit dazu, die Lebensqualität eines Mitgeschöpfes zu maximieren?” Eignen sich Ihr Zuhause und Ihre Lebensumstände für ein Tier? Haben Sie die möglicherweise auf Sie zukommenden Kosten in Betracht gezogen? Sind Sie bereit, am Lebensende Ihres Gefährten schwere Entscheidungen zu treffen? Auf den angehenden Hundehalter kommen schwierige praktische und ethische Fragen zu. Manchmal stellen wir fest, dass wir nicht ausreichend darüber nachgedacht haben, was es bedeutet, die volle Verantwortung für das Leben eines Mitgeschöpfes zu übernehmen.

      Ein Beispiel – vor allem dafür, wie uns Bürgerwissenschaft und ethologische Beobachtungen auf der Hundewiese helfen können, gute Fragen zu stellen, welche wiederum unsere Hundehaltung beeinflussen und uns helfen, unseren Vierbeinern das bestmögliche Leben zu schenken – ist folgende E-Mail. Meine Kollegin Jessica Pierce erhielt sie im Jahr 2016 und leitete sie mir weiter. Ich möchte sie nun mit all meinen Lesern teilen.

      „Mein elfjähriger Enkelsohn adoptierte vor einigen Jahren einen Hund. Er lebt mit seiner Familie in New York City, und ich lebe in New Jersey. Oft gehe ich mit dem Hund spazieren – wir gehen entweder auf die Hundewiese oder in den Central Park. Im Hundeauslauf spielt und läuft er mit den anderen Hunden; manchmal rempeln sie einander richtig wild an. Er schnüffelt an seinen Artgenossen und versucht manchmal, ihnen aufzureiten. Die meisten Hundebesitzer schreiten ein, wenn ein Hund dies versucht.

      Im Central Park hingegen läuft er einfach neben mir her. Begegnet uns ein anderer Hund, sieht er diesen kurz an und läuft mit mir weiter. Nur hin und wieder versucht er, mit einem Artgenossen zu spielen.

      In letzter Zeit frage ich mich, ob die Art und Weise, wie wir unsere Hunde und Katzen aufziehen – vor allem, wenn wir in der Stadt wohnen – vielleicht nicht richtig ist.

      Der Gedanke kam mir, als ich mir die Frage stellte, wie unsere Hunde intellektuell gesehen aufwachsen. Hunde sind domestizierte Tiere. Aber heißt das, dass sie alles von uns, den Menschen, lernen? Gibt es nicht Dinge, die sie von ihren Artgenossen lernen sollten – ganz gleich, ob sie soziale Tiere sind oder nicht? Der Intellekt und das Wissen der Menschen wird von Generation zu Generation weitergegeben und wächst dadurch ständig. Mein Enkelsohn wird sicher einmal viel mehr wissen als ich. Aber sein Hund hat selten Kontakt zu anderen Hunden. Wenn wir nicht auf die Hundewiese gehen, ist er isoliert von seinen Artgenossen.

      Ich frage mich also, wie sich ein Hund intellektuell entwickeln kann, ohne Kontakt zu anderen Hunden zu haben, von denen er lernen könnte. Führt das dazu, dass ein Hund schließlich so denkt und sich so verhält wie sein ständiger Begleiter, der Mensch? Außerdem hat der Hund nur die Dauer seines eigenen Lebens, um zu lernen, und kann nicht von all dem Wissen profitieren, welches andere Hunde gesammelt haben.

      Ist es die größte Tragödie des Hundes, dass ihm das Lernen von seinen Artgenossen verwehrt wird?“36

      Das große Ganze: Hunde in unserer Gesellschaft und Welt

      Hunde sind fantastische Geschöpfe und ich schätze all jene Menschen, die sich dafür einsetzen, die Lebensqualität von Hunden im Allgemeinen zu steigern. In einer Welt, die viele Anforderungen an Hunde stellt, ist das nicht einfach. Am Ende dieses Kapitels und am Ende dieses Buches möchte ich mich mit der Rolle der Hunde in unserer Welt im Allgemeinen beschäftigen – schließlich führen viele Diskussionen auf der Hundewiese zurück zu diesem grundlegenden Thema.

      Hunde bereichern nicht nur das individuelle Leben ihrer Menschen, sondern inspirieren uns auch, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. So organisierte etwa Heinrich Zimmermann, ein Deutscher Schriftsteller und Herausgeber des Mensch und Hund-Magazins, am 4. den ersten Welttierschutztag.37 Bis heute wird dieser jährlich begangen. Ein Dalmatiner namens Pepper spielte eine große Rolle in der Tierschutzgesetzgebung der Vereinigten Staaten: Die Hündin wurde 1965 von einer Farm


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