Feldstudien auf der Hundewiese. Marc Bekoff
Pepper, deren Schicksal das Mitgefühl der Menschen weckte, das Tierschutzgesetz ins Leben gerufen. Die Dalmatinerhündin half uns, zu erkennen, dass alle Spezies fühlen und leiden.
Immer wieder helfen uns Hunde dabei, eine Kluft zu überbrücken. So ist etwa eines der wenigen Dinge, worüber sich die Demokraten und Republikaner im US-amerikanischen Kongress einig sind, dass die Abgeordneten ihre Hunde ins Kapitol mitbringen dürfen. Dies ist bereits seit dem 19. Jahrhundert üblich. Im August 2016 wählte die Stadt Cormorant in Minnesota Duke, einen neunjährigen Pyrenäenberghund, zum dritten Mal zum Bürgermeister.38 In der Zeit danach hörte ich von vielen Menschen, dass sie es für eine ausgezeichnete Idee hielten, Regierungspositionen mit Hunden zu besetzen.
Hunde sind „in”, wie ich gerne sage. Knapp achtzig Millionen amerikanische Haushalte – das sind 65 Prozent aller US-amerikanischen Haushalte – leben mit einem Haustier zusammen. 44 Prozent der Haushalte haben einen Hund.39 Ganze 78 Millionen Hunde leben als Haustiere in den Vereinigten Staaten. Das heißt, dass sich mit Hunden auch ein gutes Geschäft machen lässt, und die Menge dessen, was aus amerikanischen Brieftaschen in den „Hundesektor” fließt, ist gewaltig. Amerikaner geben jährlich beinahe 70 Milliarden Dollar für ihre Tiere aus; darunter 30 Milliarden für Futter und mehr als 17 Milliarden für veterinärmedizinische Versorgung.40
Das Leben mit Hund kann teuer sein: Die jährlichen Kosten belaufen sich auf geschätzt 1.600 Dollar.35 Und nicht nur das: In den USA steigt der Betrag, der für die medizinische Versorgung von Haustieren ausgeben wird, schneller als jener, der für den Menschen selbst ausgegeben wird:41 Zwischen 1996 und 2012 stiegen die Ausgaben des Kauf von Haustieren, Sanitätsmaterial und tierärztliche Versorgung um 60 Prozent, während die Ausgaben für die medizinische Versorgung der Menschen um nur 50 Prozent stiegen.42 Zudem sind Menschen auf der ganzen Welt dazu bereit, ein Risiko einzugehen, um eigene oder fremde Haustiere zu retten, wenn deren Leben in Gefahr ist.43
In vielen Ländern der Welt steigt die Zahl der Hundehalter. Im Jahr 2012 gab es 35 Millionen Hunde in Brasilien, 27 Millionen in China und 15 Millionen in Russland. In Indien verdoppelte sich die Anzahl der Hundehalter seit 2007 oder wuchs sogar noch stärker, und in Venezuela und den Philippinen stieg sie um 30 Prozent oder mehr.44
Hunde nehmen für den Menschen eine Sonderstellung ein: Wir sehen und behandeln sie anders als andere Tiere. Manche Menschen priorisieren die Versorgung ihrer Hunde sogar gegenüber anderen Familienmitgliedern45 und eine Studie zeigt, dass Kinder sich mit dem Familienhund besser verstehen als mit ihren Geschwistern.46 Vielleicht ist das auch gar nicht verwunderlich: Die Forschung verrät uns auch, dass die soziale Unterstützung durch einen Hund in schwierigen Zeiten den Stress Jugendlicher stärker reduziert als die Gegenwart eines Elternteils.47 Zudem machen viele Menschen ihren Wohnort davon abhängig, wie tierfreundlich dieser ist, und immer öfter werden die Bedürfnisse von Familienhunden bereits in der Planung von Wohngebäuden und Siedlungen berücksichtigt.48
Leider folgt daraus nicht, dass die heutigen Hunde verwöhnt werden. Sie sind zwar „in”, doch wie so viele andere Tiere sind sie die Opfer einer vom Menschen dominierten Ära. Diese wird als Anthropozän oder Zeitalter des Menschen bezeichnet. Tatsächlich könnte man das Anthropozän die „Ära der Unmenschlichkeit” nennen: Es gibt zu viele Menschen, und andere Tiere ziehen allzu oft den Kürzeren oder hängen, im Falle des Hundes, am kürzeren Ende einer ohnehin schon sehr kurzen Leine.
All den Hunden, die ihr Zuhause bestens versorgt mit ihrer zweibeinigen Familie teilen, zum Trotz wird vermutet, dass etwa 75 Prozent aller Hunde kein Zuhause haben. Sie leben ein hartes Leben in Schmutz und Elend, sind schwer krank und leiden große physische und psychische Schmerzen.49 In Yangon, Myanmar, leben etwa 120.000 mit Tollwut infizierte Streuner, die immer wieder Kinder angreifen.50 In Taiwan wurden 2015 etwa 10.900 Streuner eingeschläfert, und 2016 starben 8.600 Tierheimhunde aufgrund von Krankheiten und anderen Ursachen.51
Hunde werden nicht nur von Menschen vernachlässigt, sondern auch auf direktere Art und Weise geschädigt: Sie werden in Kämpfen eingesetzt, in Hunderennen zu Tode gehetzt oder dazu gezwungen, in Shows und Filmen aufzutreten.52 Sogenannte Designerhunde wie Labradoodles und Goldendoodles sind derzeit sehr populär. Allerdings kann das bewusste Kreuzen zweier Rassen, um bestimmte Eigenschaften zu erhalten, auch zu unerwünschten bzw. gesundheitsschädlichen Eigenschaften führen.53 In Schottland ist die Nachfrage nach Designerhunden so groß, dass viele ohne Genehmigung züchten. Mark Rafferty, der Vertreter einer schottischen Tierschutzorganisation, stellt fest, dass die Hunde von vielen als „Wegwerfgüter” gesehen werden.54
Nach wie vor werden Hunde gezüchtet, für die die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass sie aufgrund von Inzucht und Selektion von Eigenschaften, die ihnen das Atmen oder Gehen erschweren, ein kurzes und unglückliches Leben haben werden.55 In der Zucht dieser Hunde wird „Schönheit über Gesundheit gestellt … und das geht auf Kosten der Empathie.”56
Menschen geben Millionen Dollar dafür aus, ihre Falten loszuwerden. Andererseits produzieren wir absichtlich Hunde mit faltigen Gesichtern, von denen wir wissen, dass sie leiden und jung sterben werden. Und das ist noch lange nicht alles. An der A&M University in Texas werden bewusst Hunde mit Missbildungen gezüchtet, um verschiedene Formen von Muskeldystrophie zu erforschen. Viele dieser Hunde sind bereits im Alter von sechs Monaten schwerst behindert, und wenige werden älter als zehn Monate.57 Das ist wahrlich keine Art, den „besten Freund” des Menschen zu behandeln! Ich weise auch gern darauf hin, dass manche Menschen ihre Hunde zu Tode lieben. So liegt etwa die durchschnittliche Lebenserwartung Französischer Bulldoggen bei 2,5 Jahren für Rüden und 3,8 Jahren für Hündinnen.58
Wenn sich ein Hund nicht immer wie unser bester Freund verhält, sollten wir uns ins Gedächtnis rufen, dass wir, die Menschen, auch nicht die besten Freunde der Vierbeiner sind. Weder Hunde noch Menschen lieben bedingungslos. Es mag zwar schwierig sein, einen Hund zu finden, der nicht zumindest eine gewisse Freundlichkeit an den Tag legt – aber Hunde unterscheiden zwischen Menschen, genau wie wir zwischen Hunden unterscheiden. Manche Hunde gewinnen in Folge schlimmer Misshandlungserfahrungen nie wieder das Vertrauen, welches eine Voraussetzung dafür ist, einen Menschen oder Artgenossen bedingungslos lieben zu können.59
Es muss auch wiederholt werden, dass Hunde sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene stärker von uns abhängig sind als wir von ihnen. Elise Gatti, eine Studentin an der University of Utah, stellte in einer Mail an mich fest: „Wir sind der ganze Lebensinhalt unserer Hunde, aber sie sind nur ein kleiner Teil unseres Lebens.”60 Ich bin ganz ihrer Meinung, und wir sollten diese Tatsache niemals vergessen. Diese Abhängigkeit verpflichtet uns dazu, unseren Hunden ein schönes und glückliches Leben zu ermöglichen.
Dabei stellt sich die Frage, wie gut wir wirklich darüber Bescheid wissen, was in den Köpfen, Herzen und Nasen unserer Gefährten vor sich geht. Was bedeutet es, ein Hund zu sein?
Beginnen wir damit, wie Hunde ihre fünf Sinne einsetzen, um die Welt zu verstehen. Wie Hunde die Welt wahrnehmen ist natürlich untrennbar damit verbunden, wie sie sich verhalten und was sie in verschiedenen Situationen tun. Um uns bewusst zu machen, wie es ist, ein Hund zu sein, müssen wir verstehen, wie Hunde sehen, hören, tasten, schmecken und vor allem riechen. Hunde sind Tiere, deren Nase nichts verborgen bleibt.
Jeder weiß, dass sich Hunde in der Form und Größe ihrer Schnauzen und Nasen unterscheiden. Oft hängt dies mit ihrer Kopf- und Gesichtsform zusammen. Einer meiner Lieblingshunde war Sammy alias Mr. Rüssel, ein riesiger Mischling, der mit der größten Schnauze und Nase ausgestattet war, die ich je an einem Hund gesehen habe. Sammy sah aus wie ein Ameisenbär und schien sich dessen auch bewusst zu sein. Nichts war vor seiner