Rodinka: Meine russische Kindheit. Lou Andreas Salomé

Rodinka: Meine russische Kindheit - Lou Andreas Salomé


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– einfach! Denn sein Herr, das war Sergei – sein Herr und meiner, wie es auch sein soll. Langte Sergeis menschliche Einsicht einmal nicht – was tat ich? Zu Gott betete ich um Einsicht. Gab Gott welche, so gab ich sie weiter an Sergei. – – Aber Sergei ist nicht mehr. Ein Herr muß sein. – Wie sagen Sie –? Jawohl: im Hause, nicht nur im Himmel. Auf direkterem Wege muß ich Witalii jetzt mitteilen, was Gott befiehlt. Nicht um meinetwillen! Was könnt’ er wohl tun, was ich ihm nicht verziehe zum voraus! Wie könnt’ er jemals schuldig werden vor mir, seinem Mütterchen, die ihn gebar! Darum: Gottes unwiderstehliches Gebot muß es ihm sein. Nur so brech’ ich seinen Eigenwillen, der härter ist als Stein. Auf die Knie gedrückt hab’ ich ihn schon, seine Stirn gebückt auf den Fußboden, und doch hat er sich losgerungen vom Hauslehrer, der ihn niederhielt – – Den geistlichen Lehrer wechseln, sagen Sie? – Nein, wie denn? Nachdem ich einen fand, der so gut meinen Weisungen folgt – ich meine: Gottes Weisungen.«

      Der Großpapa räusperte sich in einem fort wie sonst nur, wenn er seinen Luftröhrenkatarrh bekam.

      »Geht doch und spielt!« sagte er uns halblaut.

      Allein schon hatte Witaliis Mama ihre Hand nach mir ausgestreckt und nahm mich dicht an ihr Knie, wo man weich stand, wie in lauter Eiderdaunen.

      »Lassen Sie die Kinder ruhig zuhören und mitreden – warum denn auch nicht? « fragte sie in ihrem zwanglosen und sicheren Ton. »Sind wir doch alle zusammen ganz dasselbe: einfach nur Gottes Kinder –. Und manches Kind hab’ ich gekannt, das konnte besser beten als ein Großer, und das wußte ganz fest, daß man von Gott alles bekommt, um was man bittet. Zu solchem Kinde kam man von vielen Seiten, sagte ihm: ›Bete! Bitte!‹ Und das Kind bat, und man bekam. Nur fromm muß man sein.«

      Sie erzählte es insbesondere mir, und ich starrte sie mit ungeteiltem Interesse an. Großpapa war gewiß fromm, und mit welch tiefer Ehrfurcht betete er uns abends das Vaterunser vor, wenn wir schon in den Betten lagen. Gar nicht wie ein General sah er dann aus, sondern so gehorsambereit. Aber in das setzte ich wirklich Zweifel, ob er immer alles bekommen würde, um was er bat – und auch er selber mußte es am Ende heimlich bezweifeln, darum hatte er uns der Sicherheit halber zugleich mitgeteilt, das höchste aller Gebete laute: »Dein, nicht mein Wille geschehe.«

      Das schien auch klar: Dermaßen vertraut und intim, wie Witaliis Mama mit dem lieben Gott war, konnte nicht leicht einer sein.

      Aber Großpapa hatte inzwischen auf das energischste das Gesprächsthema gewechselt und erörterte den Plan, ob denn Witalii nicht doch, seinem Verlangen gemäß, an ein städtisches Gymnasium dürfe. Als nach langem, heißem Streit hierum Madame Wolujew sich erhob, um zu gehen, ließ sie mich erst aus ihren Knien frei. Sie küßte mich und rief klagend:

      »Nein, ich Sünderin, daß ich dir noch nicht einmal ein Osterandenken mitgebracht habe! Wie mache ich denn das nur schnell wieder gut?!«

      Dabei sah sie ratlos gegen die Zimmerdecke. Dann leuchteten die eigentümlichen lichtgrauen Augen auf, und mit einemmal kam aus den Falten ihres schwarzen Seidenkleides ein kleines Lederfutteral hervor, dem sie ein wunderbar blitzendes Ei entnahm – ein goldenes Ei anscheinend, bedeckt von wertvoller Emaillierung: russischen Mustern in reizender Buntheit.

      Der Großpapa fiel ihr mit bittender Abwehr in die Hand:

      »Nein, das nicht! Das auf keinen Fall! Es geht wirklich nicht, ist auch viel zu kostbar für ein Kind.«

      »Für Kinder ist nichts zu kostbar. Und Ostern ist soeben gewesen, unser größtes Fest. – – – Nimm das Ei! Ich bin gewiß: Gott selber gab es mir für dich!« behauptete Madame Wolujew, sich zu mir beugend.

      »– Kam es aus dem Himmel?« fragte ich stockend und legte vor Aufregung beide Hände auf den Rücken.

      »Nein!« antwortete Großpapa überlaut, Witaliis Mama zuvorkommend, die auch nur lächelte. Erstaunt sah er nieder auf seine dumme kleine Enkelin. »Aus dem Juwelierladen kommt das Ei, mein liebes Kind. Bedanke dich dafür bei der Geberin.«

      Ich schämte mich etwas; nie wär es mir ja auch von selber eingefallen, daß Eier vom Himmel kämen; allein ich glaubte doch so sicher zu wissen, daß Witaliis Mama, die das ja konnte, vorhin ganz schnell ein Ei »erbetet« hatte.

      Als wünschte Großpapa den mystischen Wert dieses Eies noch endgültiger zu zerstören, äußerte er:

      »Nun hat der Zufall meiner Musja ganz unrechtmäßig zugewendet, was Sie doch jedenfalls schon für jemanden bestimmt hatten, als Sie es kauften.«

      Aber Madame Wolujew unterbrach ihn:

      »– An Zufälle glaub’ ich nicht! Und ist es nichts als ein Zufall, daß gerade dieses Kind fragen muß: Kam es aus dem Himmel? – Nein, nein, das verstehen Sie nicht, mein lieber General! Ich liebe dieses Kind! Und was ich liebe, das ist mein, und all das Meine gehört meinem Gott! Und bei mir gilt das für zeitlich wie für ewig.«

      Noch einmal fühlte ich mich geküßt, bekreuzigt: diesmal nicht ohne geheime Unruhe, so als drücke Madame Wolujew nun ihr Siegel auf mich –. Auf keinen Fall würde doch Großpapa mich einfach einer Fremden abtreten und dem russischen Himmel? dachte ich besorgt und horchte hinaus, wo er sie bis in das Vorzimmer geleitete.

      Inzwischen unterzog Boris das neue Ei gemütsruhig eingehender Prüfung.

      »Ganz famos! Paß mal auf, das machen wir so: Da es das unzerbrechliche ist, so gilt jetzt umgekehrte Spielregel: nicht, wer die meisten zerbricht, sondern wer heil an diesem vorbeikommt, gewinnt –. Und wir wollen es auch taufen, wie die übrigen – aber nicht nach unseren verschiedenen Verwandten wie die – nein, was Feines: zum Beispiel König David könnte es heißen –«

      Die neue Spielform entzückte uns für eine Zeitlang. Gleißend und blitzend im Schmuck seiner Emaille lag König David auf dem Teppich zwischen den Hühnereiern, die sich vor so hartem Anprall schützen mußten und deren Osterpracht hinblaßte neben ihm. Denn wie schön auch unsere männlichen Verwandten darunter gefärbt waren in Anilin und Zwiebelschale, und die Tanten sogar gesprenkelt durch all die Buntheit mitgekochter seidner und samtener Bandrestchen, so trug doch der goldemaillierte Gast dies Farbenspiel ganz anders leuchtend gesammelt auf sich gleich einem Mosaik winziger Juwelen. Als daher das erste auf ihn zurollende Ei – ein Onkel aus Boris’ Vorrat – sich daran zerstieß und dann auch noch an Tante Malchen das halbe Staatsgewand von den Goldzäckchen abgerissen wurde, bis ihr weiches Weißes sich ganz entblößte, da erröteten wir vor Schreck; scheu ward der mißbrauchte König David auf den Tisch zurückgelegt.

      Und bei Großpapas Eintritt – endlos lange hatte es ja noch im Vorzimmer gedauert – gaben wir uns etwas verlegen und gewaltsam der Freude hin, ihn wiederzuhaben. Ach, wie gut konnte man ihn doch herzen und hänseln und ohne weiteres zu jeglichem Spiel verwenden! Wie gut, daß er nicht so unheimlich schön war wie Witaliis Mama und ihre Gaben.

      Denn obwohl sie uns nicht einmal wie eine richtige Erwachsene vorgekommen war, sondern eher als eine Art von Riesenkind, so durfte man doch sicher auch mit ihr selbst nur ganz vorsichtig umgehen. Kletterte man ihr auf den Schoß und zupfte ohne zu fragen an der aschblonden lichten Haarwolke –: Wer weiß, was Gott dann auf einmal tat –

      Das goldene Ei wurde in einem alten schönen Glasschrank verschlossen, wo der Großpapa Andenken und Nippes aus vielerlei Jahren verwahrte; dort funkelte es prahlend zwischen einem wunderfeinen Porzellanmarquis, der zu jeder Erschütterung des Sehranks wehmütig mit dem gepuderten Kopfe nickte, und einer rosigen Muschel, worin unsere ersten Milchzähnchen von ihrem kurzen Dienst ausruhen durften gleich dieser Muschel Perlen.

      Jahrelang berührte niemand das Goldemaillierte. Nur ein Blick in eine der vier Glaswände des Schranks rief hier und da die Erinnerung wach an den aufregenden Ostergast. Boris und ich wuchsen heran, ohne mit der Familie Wolujew weiter in Beziehung zu kommen, obwohl Großpapa noch im nämlichen Sommer, für nicht ganz kurze Zeit, auf das Gut »Ródinka« reiste. Ob er dort für Witaliis Wünsche was erwirkt hatte – dazu ging er ja hin –, erfuhren wir nicht. Als ich aber einmal das große, besonders wertgehaltene alte Familienalbum mit Malachitdeckel aufschlug – der infolge seiner Schwere schon das Album auseinandertrieb


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