Nick 1 (Pionier des Weltalls): Start in die Unendlichkeit. Fred Hartmann

Nick 1 (Pionier des Weltalls): Start in die Unendlichkeit - Fred Hartmann


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unsere absoluten Grenzen des Verstehens gebracht haben.«

      Prof. Raskin heftete seinen Blick auf Tom und zupfte etwas nervös an seinem Oberlippenbart. »Wir müssen damit rechnen, auf Regionen zu stoßen, in denen völlig andere physikalische Gesetzmäßigkeiten herrschen als bei uns.«

      »Das haben wir sogar schon erlebt«, warf Xutl ein, »denkt mal an den Zeitplaneten, auf dem alle physikalischen Prozesse in einem viel schnelleren Tempo ablaufen als im Normaluniversum4

      »Ja, das war heftig«, bestätigte Tom.

      »Genug lamentiert«, unterbrach Nick das Gespräch, »wir können uns um diese Fragen kümmern, wenn es soweit ist. Das erscheint mir immer noch früh genug.« Er wandte sich wieder dem Chef der Weltraumbehörde zu. »Mr. Marsh, wann soll denn diese große Expedition starten?«

      Der Angesprochene lächelte einvernehmlich. »Sie sind ein Pragmatiker, Nick. Das gefällt mir an Ihnen. Die Raumschiffe befinden sich im Bau. Mit ihrer Fertigstellung ist in sechs Monaten zu rechnen, dann sind Probeflüge angesagt. In der Zwischenzeit muss die Crew ausgewählt und trainiert werden. Sie muss in alle technischen Details der Schiffe und in ihre genauen Aufgabenbereiche eingeführt werden. Bei der Zusammenstellung der Besatzung werde ich Sie involvieren. Der Start der Expedition wird also in einem Jahr erfolgen.«

      »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen«, freute sich Nick, aber bevor er noch etwas hinzufügen konnte, hatte Mr. Marsh schon wieder das Wort ergriffen. »Das Wichtigste habe ich ja noch gar nicht ausgesprochen.«

      Alle Anwesenden blickten neugierig auf ihren Vorgesetzten. Was gab es wohl jetzt noch zu besprechen?

      Aber es war nur eine einfache Frage: »Nehmen Sie den Auftrag überhaupt an?«

      Nick reagierte als Erster: »Gestatten Sie mir ein Wort der Kritik, Mr. Marsh: Das war wohl eben die überflüssigste Frage, die Sie seit Langem gestellt haben.« Seine letzten Worte gingen in einem allgemeinen Gelächter unter.

      *

      Was für ein Auftrag! Welch eine Reise! Was für eine Perspektive! Einmal durch das All!

      Sie hatten den Nachmittag und einen Teil des Abends noch gemeinsam verbracht, aber nun brauchte jeder seine persönliche Zeit, und alle zogen sich in ihre Appartements zurück, die sie im Raumfahrerhotel »Ad Astra« im Herzen New Yorks direkt am Central Park bezogen hatten. Jane befand sich bereits im Schlafzimmer und hatte ihren Gefährten im Wohnbereich alleine zurückgelassen. Zusammengesunken auf einem mattbraunen Polstersessel aus Velours – die Ellenbogen auf den Knien abstützend, das Gesicht in den ausgebreiteten Händen vergraben – hing der berühmte Weltraumpionier seinen unausgesprochenen Gedanken nach. Tiefe Falten bildeten sich auf seiner Stirn.

      Was würde ihm auf dieser größten und längsten, vielleicht auch sonderbarsten und absurdesten aller Expeditionen widerfahren? Hatte er nicht schon genügend Grenzen überschreitende und alle irdische Vorstellungen sprengende Abenteuer überstanden? Sein Geist tauchte in die bizarre Geschichte seiner ungewöhnlichen Laufbahn ein. Ferne Ereignisse huschten wie im Zeitraffer an seinem inneren Auge vorbei, weckten Erinnerungen, bedrückten und begeisterten ihn zugleich: Der erste Flug zu einem anderen Planeten, die Reisen durch Raum und Zeit – und in den Mikrokosmos; fremde Welten erschienen wie Phantome auf der Bühne seines Lebens und lösten sich gleichzeitig wieder auf, als wären sie nur ein Hauch von Phantasie gewesen, wie zuckende Blitze, die in zahlreichen Zacken sein Gehirn durchdrangen und im nächsten Augenblick wieder verlöscht waren, aber sie ließen ihn all der unglaublichen Begegnungen mit fremdartigen Lebensformen gedenken, von denen er vorher nicht einmal zu träumen gewagt hätte.

      Was für ein gigantischer Auftrag! Welch eine phantastische Reise! Was für eine unfassbare Perspektive – einmal durch das grenzenlose All!

      Seine Gedanken schweiften ab und tauchten in zurückliegende Epochen ein. Er fühlte sich wie jene Seefahrer, die vor langer Zeit ins Unbekannte aufgebrochen waren, nur dunkel ahnend, welche Gefahren und Unwägbarkeiten ihrer harrten, welche Opfer und Entbehrungen sie auf sich nehmen mussten, um ihre brennende Sehnsucht nach neuen Ufern zu befriedigen – gleich Magellan, dem ersten Weltumsegler: Fünf Karavellen mit 300 Mann Besatzung stachen in die stolze See. Nur eine kam zurück – und ein gutes Dutzend Matrosen, dem Tode näher als dem Leben, abgemagert und abgewrackt, aber glücklich, die Welt umrundet zu haben. Magellan war nicht dabei …

      Würde es ihm und seiner Mannschaft bei der Durchquerung des Alls auch so ergehen? Ein heftiger Faustschlag traf ihn in seinem Inneren. Nein, es gab keine Wahl: Er allein trug die Last für die Menschen an Bord und er musste in der Lage sein, immer die richtigen Entscheidungen zu treffen und sich niemals zu irren – in Gefahren, mit denen vorher kein Mensch je gerechnet hatte. Könnte er das überhaupt?

      Nick spürte, dass die bevorstehende Reise alles Bisherige weit in den Schatten stellen würde. Aber auch er war nur ein Mensch – fehlbar, verletzbar, überwindbar.

      Zweifel nagten an seinem Selbst. Nein, diese Aufgabe war zu groß für ihn – trotz aller Erfahrungen. Er lehnte sich weit in den Sessel zurück und atmete tief durch.

      Langsam öffnete sich die Schlafzimmertür. Jane trat ins Wohnzimmer und näherte sich mit lautlosen Schritten dem Gedankenverlorenen, der ihr Kommen nicht bemerkt hatte. Sie trat von hinten an ihn heran und legte ihre Arme sanft um seine harten Schultern. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie um seine Gefühle wusste.

      »Mir geht es so wie dir«, hauchte sie ihm zärtlich zu, »aber wir werden es schaffen! Gemeinsam werden wir es schaffen!«

      Nick Steel schaute zu ihr auf – kein stahlharter Blick in seinen Augen – sie waren feucht. »Danke, Jane«, stammelte er, »danke. Deine Worte tun mir gut.«

      Er drückte ihre Hand und wusste jetzt: Gemeinsam würden sie es schaffen.

      Was für ein Auftrag!

      Kapitel 2

      Eine Wunderwaffe

      »Du hast schon wieder in Mathematik nur eine miese Durchschnittsnote nach Hause gebracht!« Vater Banks beäugte seinen Sohn Gordon mit strenger Miene, seine Lippen hatte er zu blutleeren Strichen zusammengepresst, farblos, bedrohlich und erbarmungslos hart.

      »Bitte, Papa …« Ein 10-jähriger Junge in blauem Overall stand mit hängenden Schultern vor seinem Erzeuger, zitternd und zagend, bittend und bettelnd. Aber alles Flehen und Flennen blieb vergeblich – ein abgezogener Ledergürtel und der schroffe Befehl »Beug dich vornüber!«, dann brachen wütende Schläge und eine harsche Moralpredigt mit der Heftigkeit entfesselter Naturgewalten über ihn herein.

      »Nichtsnutz!«

      »Faulpelz!«

      »Schande der Familie!«

      Resigniert ließ sich der Wurm wie ein Verurteilter in seine Zelle führen. Die Verschlussleuchte blinkte auf. Die Tür war elektronisch blockiert.

      Verzweifelt und hilfesuchend sah sich Gordon in dem großzügig eingerichteten Zimmer mit Monitor und Spielkonsolen um, aber sein Schicksal für diesen Tag war besiegelt:

      in den nächsten Stunden eingesperrt

      keine Computersimulation

      keine Visiphon-Konferenz mit seinen Freunden

      kein selbstvergessenes Gleiten auf seinem neuen Schwebe-Board über die Betonpisten des Stadtparks.

      Er konnte seinem Vater nicht genügen.

      Er war wertlos.

      Nutzlos.

      Gescheitert.

      Überflüssig.

      *

      Zwanzig Jahre später.

      Die Vorbereitungen für die große Expedition kamen gut voran – technisch und auch personell. Alle Beteiligten waren in gespannter Vorfreude, der Bedeutung ihrer ungewöhnlichen Mission bewusst.

      Einer aber


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