Als wäre nichts geschehen. Walther von Hollander

Als wäre nichts geschehen - Walther von Hollander


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ich Hunger und möchte Tee trinken.“ Sie gingen versöhnt in Ilses Zimmer hinüber.

      Aber dieser Besuch ließ sich nicht mehr ins richtige Gleis schieben. Sie versuchten es vergeblich. Ilse gab Conrad ein paar ärztliche Anweisungen. Sie schrieb ihm ein Herzstärkungsmittel auf. Sie bat ihn, die Zigaretten wenigstens zu zählen, wenn er das Rauchen nicht aufgeben könne. Conrad hingegen erzählte von seiner Ankunft in Hamburg. Er erinnerte Ilse vorsichtig, daß er sie erst hatte suchen müssen. Daß er zwar gewußt habe, daß sie in Hamburg wohnte. Aber gleich nach der Ankunft hatte ihn eben jene unüberwindliche Schlappheit und Müdigkeit gepackt, und an die ersten Wochen im Krankenhaus konnte er sich überhaupt nicht erinnern. Doch ... eine Schwester Anna war da gewesen, sechzigjährig, mit einem hervorragend gearbeiteten Gebiß, das sie dauernd zu einem gekünstelten Lachen entblößte, um so die Falschheit beamteter Herzlichkeit zu demonstrieren. (Neunzig Mark bei freier Station, wer sollte da wohl von Herzen herzlich sein!) Und dann eben dieses fabelhafte Glück, beim ersten Ausgang über Hannes Hohmann zu stolpern und an ihm die männliche, grobianischkameradschaftliche Hilfsbereitschaft kennenzulernen.

      Ilse hörte nicht recht zu. Sie bediente den Toaströster. Sie schob Conrad die fertig gestrichenen Scheiben zu (was sie früher auch getan hatte). Sie entzündete die Deckenlampe, eine nicht sehr hübsche Alabasterschale, die ein grelles, honiggelbes Licht über den Raum warf, über die kantigen, gut polierten Möbel, über die breite Bettcouch, an deren Fußende eine hellgrüne Karlsbader Decke lag, über die Glasvitrine mit den Büchern und über ein schneeweißes Schaffell. „Du hast es sehr hübsch hier“, sagte Conrad anerkennend. Aber es gefiel ihm nicht sehr gut. Zimmer einer Ärztin, berufstätig, tüchtig stand in unsichtbaren Buchstaben über dem Raum. Er unterbrach seine Erzählungen von Hannes und den ersten Wochen in Hamburg. Er spürte, daß er Ilse nicht überzeugt hatte. Er wollte ihr noch erklären, warum er ihre Adresse so lange gehabt hatte, ohne sie zu benutzen. Endlich mußte die blödsinnige Emmy-Geschichte weggeräumt werden.

      Ilse mochte diesen Versuch erwarten. Sie kam ihm hastig zuvor.

      „Ich habe mit Dr. Penz gesprochen, das ist mein Anwalt. Er meint, wir brauchten gar nicht zwei Anwälte.“

      „Wir brauchen überhaupt keinen Anwalt“, sagte Conrad hinterhältig, „bei so klarer Sachlage können wir sicherlich die Scheidung allein durchführen. Was meinst du?“

      „Dr. Penz bittet, ihn einmal aufzusuchen und ihm zu sagen, wie du die Sache siehst. Er ist wirklich ganz objektiv. Vielleicht etwas zu männerfreundlich, zu verständnisvoll für die Schwächen eures Geschlechtes. Aber du kannst ganz offen mit ihm reden.“

      Conrad lächelte scheinheilig: „Ich glaube, das kann ich doch nicht. Wenn ich ihm die Wahrheit sage, fällt er von seinem Schreibtischstuhl und bricht sich sein anwaltliches Genick wie weiland der Prophet Elias.“ Ilsa sagte verbohrt und humorlos: „Ein Scheidungsanwalt ist noch ganz andere Sachen gewohnt.“

      „Das glaube ich nicht“, sagte Conrad, „daß eine Frau wegen eines einzigen dämlichen Briefes so einen Spuk veranstaltet ... das gibt es ganz bestimmt noch nicht in seiner Praxis.“

      „Willst du etwa behaupten, daß Emmy nichts von dir gewollt hat?“

      Conrad schrie wütend: „Natürlich hat sie was von mir gewollt. Warum sollte sie nicht? Ich war noch nicht aufgeschwemmt. Ich sah gut aus. Ich war gescheit. Warum, zum Himmel, sollte sie also nichts von mir gewollt haben? Bloß ein Pech war dabei. Für dich ein Pech. Ich habe nie was von ihr gewollt, verstehst du, verdammt noch mal, niemals. Wenn du gütigst zur Kenntnis nehmen wolltest, daß du dir wenigstens einen ordentlichen Scheidungsgrund besorgen mußt und nicht so einen aufgebauschten Quatsch. Und wenn du es wünschst, kann ich dir einen Scheidungsgrund liefern. Von früher oder von jetzt. Zum Aussuchen.“

      „Du gibst also zu ...“, versuchte Ilse.

      „Ich gebe zu, was du willst. Bloß Emmy, das ist mir zu blödsinnig, und außerdem werde ich Gegenklage erheben. Wie sagen die Amerikaner? Wegen seelischer Grausamkeit. Verstehst du mich?“

      Ilse versuchte noch einmal Tee einzuschenken. Aber ihre Hände zitterten so, daß es nicht ging. Ihre Stimme war heiser vor Erregung. „Du siehst, wir können nicht miteinander. Wir haben nie miteinander gekonnt. Nie. Nie. Und wenn ich mich in dem einen Fall geirrt haben sollte ... aber es ist ja Unsinn, ich habe mich nicht geirrt. Es ist eben das Ganze. Deine Stellung zum weiblichen Geschlecht, dein Durst nach Anerkennung und Anbetung.“

      Sie stritten noch einem Weile erbittert. Sie sagten sich alles, was sie an Grimm und Schmerz auf dem Herzen hatten. Sie schossen mit vergifteten Pfeilen aufeinander, und die Szene endete genau so, wie schon vor Jahren die Szenen geendet hatten. Mitten in einem besonders blumigen Satz von Ilse, in dem Wahrheit und Unsinn auf eine vertrackte Weise herabsetzend miteinander verknüpft waren, mitten in einem solchen Satz sprang Conrad auf und ging hinaus. Die Tür schmetterte er hinter sich zu. Er raste die Treppen hinunter. Draußen war es dunkel, sternklar. „Welch anständige, klare Luft“, knischte er wütend.

      Oben in ihrem Zimmer, unter der honiggelben Ampel, saß Ilse. Sie hatte sich die hellgrüne Karlsbader Decke um die Knie geschlungen. Das Fenster stand offen, damit der Zigarettenrauch abziehen konnte. Nebel wehte herein. Es sah aus, als rauchte jemand im Garten. Der Herbst war da. Ilse saß starr und finster. Sie glaubte zu grübeln. Aber sie dachte nichts. Sie war ausgefüllt von einem dumpfen, gestaltlosen Kummer. Zweimal klingelte das Telefon. Ein Baby hatte Brechdurchfall und die alte Frau Nolte einen gefährlichen Anfall von Angina pectoris. Ilse versprach, noch hinzukommen. Das Baby, ein kräftiges kleines Kerlchen, dem sie vor drei Monaten ans Licht geholfen hatte, würde bald wieder gesund sein. Frau Nolte aber würde es in Kürze überstanden haben. Sie war achtundsechzig Jahre alt und hatte ein Leben voller Kummer hinter sich. Unbegreiflich, warum sie mit solcher Zähigkeit an einem Dasein hing, das ihr nichts mehr bringen konnte. Der Mann (natürlich!) längst mit einer Jüngeren verheiratet, der Sohn gefallen, die Tochter in Berlin verheiratet und nur zu Zweitagsbesuchen aufkreuzend, um, nach kurzem Geschnatter über das Glück ihrer Ehe, entengleich wieder wegzutauchen. So was nannte sich „Leben“, und die alte Frau Nolte verteidigte den letzten Funken mit keuchenden, halberstarrten Lungen. Unbegreiflich. Gerda trat mit dem Abendbrottablett ein. Sie war — Ilse sah es mit schnellem Blick — „für große Fahrt“ gerüstet. Die schmalen Lippen waren durch einen lackroten Amorbogen verbreitert. Ihre ins Grünliche schimmernden, grauen Augen blitzten unnatürlich hell, die braunen, hübsch gewellten Haare waren sorgfältig frisiert. Sie trug das schwarze Abendkleid mit dem weißen Einsatz, der wie ein Frackhemd aussah.

      Sie stellte das Abendbrot auf den Tisch. Es gab Bratkartoffeln, Salat und ein Wurstbrot. Gerda begann hastig zu essen. Ilse kaute lustlos. „Er ist mit allem einverstanden“, sagte sie nebenbei. Gerda nickte und nahm mit spitzen Fingern ein Wurstbrot. „Aber er behauptet, mit dieser Emmy sei nichts gewesen.“

      „Laß ihn doch dabei. Es gibt genug andere Gründe“, sagte Gerda, „hast du einen Kognak?“

      Ilse nickte nach dem Bücherschrank zu. Gerda holte die Flasche und goß sich einen großen Kognak in Ilses Tasse. Sie trank hastig und schüttelte sich. „Ja“, seufzte Ilse, „er hat mir eine ganze Auswahl angeboten. Von früher und von jetzt.“ Gerda erhob sich und strich sich über den knisternden schwarzen Rock. Es war eine Bewegung von auffälliger Zärtlichkeit zu sich selbst. Sie sagte: „Na also ... auch von jetzt. Dann ist ja alles in Ordnung.“

      Ilse erhob sich schwerfällig. Sie legte zaghaft den Arm um Gerdas Schulter. „Schade, daß du weg mußt“, flüsterte sie. Gerda legte ihre Stirn an Ilses Stirn: „Wenn du es wünschst, bleibe ich natürlich. Du weißt, mir liegt nichts daran.“

      Ilse wehrte unsicher ab: „Nein, ist ja Unsinn. Ich muß auch noch zwei Besuche machen. Und dann bin ich sicher todmüde.“ Gerda seufzte erleichtert: „Also dann schlaf gut, Liebes. Daß du dir so viel Kummer machst um Dinge, die vorbei sind!“ Sie küßte Ilse flüchtig. In der Tür wandte sie sich noch einmal um und sagte spöttisch: „Das meiste ist vorbei, bevor es angefangen hat. Wenn du das doch mal kapiertest!“

      „Warum fängst du dann überhaupt was an?“ fragte Ilse schüchtern.

      Gerda


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