Als wäre nichts geschehen. Walther von Hollander

Als wäre nichts geschehen - Walther von Hollander


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„Vom Bett ist nicht die Rede“, hatte Ilse böse gesagt. Und Gerda: „Na ... na ... das weiß man nie. Außerdem: Du kennst ja meine Meinung. Laßt euch scheiden, dann kannst du ihm helfen, soviel du willst.“

      Diese Unterredung war der Grund, weshalb Ilse nicht den Vorschlag machte, mit Conrad zusammenzuarbeiten. „Erst mal mußt du gesund werden“, sagte sie, „ich würde gerne deine Behandlung übernehmen. Du hättest überhaupt längst kommen sollen. Von Dystrophie verstehe ich eine ganze Menge.“

      „Sicher“, sagte Conrad, „sobald ich mich aufraffen kann, komme ich mal vorbei, und du untersuchst mich gründlich. Im ganzen ist das Rezept sehr einfach. Man nehme: Geduld, bißchen Butter, bißchen Langeweile, viel Sahne, bißchen Lebensfreude, so man hat.“ Er saß vornübergebeugt, blaß, Schweißperlen auf der Stirn, und starrte den Fußboden an. Ilse sah den schönen, wohlgeformten Schädel. Die hübschen, gut gewellten, schlecht geschnittenen Haare, die etwas zu starke, aber wohlgegliederte Stirn. Eine Welle von Liebe, von Mitleid, von fraulicher Zuneigung durchflutete ihr Herz. Jetzt hinübergehen und über den schönen Schädel streichen, ja — war denn das nicht das „Vernünftigste“? Oder war es das Unvernünftigste? Einerlei. Es war in diesem Augenblick ihr brennender Wunsch. Sich aussöhnen. Das Vergangene vergessen und noch einmal versuchen, diese Ehe, die doch so schön begonnen hatte, zusammenzuleimen. Verdammt! Das war wieder ein Ausdruck von Gerda. Zusammenleimen. Sie haßte zersprungenes Geschirr. Aus diesem Stadium des Lebens war man endlich entkommen. Man konnte wieder ganzes Geschirr kaufen. In jedem Laden. Es gab genug Männer, auf die Verlaß war. Und auf Conrad war kein Verlaß. Nein, nein, wenn man einen Sprung geleimt hatte, gleich daneben war ein anderer Sprung. Weg damit.

      Und aus diesem Gedanken heraus sagte sie: „Weswegen ich eigentlich gekommen bin ... wir müssen doch endlich mal wegen unserer Scheidung sprechen.“ Conrad sah überrascht auf: „Nanu — hast du es so eilig?“

      „Eilig?“ echote Ilse verwirrt, „nein, eilig ist es gerade nicht. Aber du weißt ja: halbe Sachen mag ich nicht.“

      „Ich weiß“, sagte Conrad, und er wollte noch allerlei Bitteres hinzufügen, daß nämlich Ilse schon viel Ganzes kaputt gemacht hatte, aus lauter Angst vor dem Halben. Aber er kam nicht dazu. Denn Hilla Hohmann trat ein. Sie wollte Conrad zu einer Tasse Tee holen. Die beiden Frauen hatten erst mal was gegeneinander. Das konnten sie nur schwer verbergen. ‚So sieht also eine vollkommene Frau aus‘, dachte Ilse, ‚merkwürdig, sonst hat doch Conrad nur Frauen mit äußerlichem Charme gemocht. Diese mäßig gekleidete Frau mit dem breiten Gesicht sollte die „vollkommene“ Frau sein?‘ Und Hilla dachte: ‚Sie ist eine hübsche und ordentliche Frau. Aber daß sie erst heute zu Conrad kommt, ist eine Schweinerei. Na ja ... dieser harte, rechthaberische Mund in dem weichen Gesicht. Schade. Sie könnte nett sein, wenn man sie noch einmal umkrempelte.‘ Sie begrüßten sich dabei herzlich und überschütteten einander mit Lobsprüchen. Ilse bedankte sich für die Fürsorge. Hilla, harmlos lächelnd, dafür, daß Ilse ihr „den reizenden Conrad so lange überließ“. Conrad amüsierte sich. Die sanfte Hilla hatte recht tückische Anlagen. Herrlich.

      „Ilse hatte mir eben die Scheidung angetragen“, sagte er bieder und scheinheilig. „So?“ sagte Hilla überrascht und sah zwischen der erröteten Ilse und dem undurchdringlichen Conrad hin und her, „das ist so ’ne Idee, die jetzt viele haben.“

      „Wir hatten es schon vor Jahren beschlossen“, sagte Ilse bockig. Sie konnte es nicht leiden, mit dem Durchschnitt in einen Topf geworfen zu werden. Im Gegenteil: je weniger der Durchschnitt von der Ehe hielt, je leichter die durchschnittlichen Menschen auseinanderliefen, um so heftiger hatte sie die Heiligkeit und Unverletzbarkeit der Ehe verkündet, und an ihr lag es doch wahrhaftig nicht, wenn nun auch ihre Ehe auseinandergehen mußte. „Wir haben zu verschiedene Auffassungen von der Ehe“, sagte Ilse verbissen, „und ich will Conrad meine Auffassung nicht aufzwingen!“ „Er hat nämlich einen Begriff von der Unabhängigkeit des Menschen, der mit dem Wesen der Ehe nicht zu vereinbaren ist“, erläuterte Conrad spöttisch. Hilla sagte unschuldig: „Ihr seid also noch im theoterischen Teil der Ehe. Das ist natürlich ein Malheur. Praktisch seid ihr ja seit sieben Jahren nicht mehr verheiratet.“ „Wir könnten uns noch mal verloben“, schlug Conrad grinsend vor, „die Verlobung haben wir seinerzeit überschlagen. Sie waren doch verlobt, Hilla?“

      „Natürlich waren wir verlobt. Hannes hat mit Rosenstrauß und Cutaway bei meinem Vater um meine Hand angehalten. Portwein gab’s aus einer Karaffe und Butterkeks aus unserer blauen Glasbüchse. Hannes hat die ganze Büchse leer gefuttert.“

      Endlich lachte Ilse. Sie kannte diese wohlanständige Familienatmosphäre aus einer kleinen schleswig-holsteinischen Stadt. „Mein Vater war nämlich Oberstleutnant und sehr adelsstolz“, erläuterte Hilla.

      „Mein Vater war Pastor“, erzählte Ilse. Sie sahen sich freundlicher an. Sie fanden einander überraschend nett.

      Draußen im Atelier beendeten die „Sklaven“ lärmend ihre Arbeit. Ilse sah auf ihre Uhr und erschrak. „Himmel, meine Patienten warten schon eine Viertelstunde.“ Sie verabschiedete sich eilig und aufgeregt. „Also, du kommst mal zur Behandlung“, sagte sie zu Conrad, und sie versprach Hilla, gelegentlich mal „gemütlicher“ vorbeizukommen. Sie verbat sich Conrads Begleitung. Der Regen sei nichts für ihn. Sie lief, den Regenschirm schwingend, hinaus. Hilla setzte sich auf den freigewordenen Sessel. „Die ganze Zeit bin ich schon gierig auf ein Sahneröllchen“, sagte sie, „bieten Sie mir sofort eins an.“

      Sie biß genüßlich hinein.

      „Herrlich! Mein Lieblingskuchen! Und ich habe seit Jahren keinen gegessen.“

      „Warum kaufen Sie sich nicht einfach mal einen ganzen Berg?“ fragte Conrad.

      „Ich vergesse es immer“, antwortete sie kauend und griff nach dem letzten Stück.

      „Aber wenn Hannes gerne Schillerlocken äße“, stellte Conrad mißbilligend fest, „dann gäbe es jeden Tag zwei Dutzend.“

      „Drei Dutzend“, nickte Hilla, „er hat immer so stürmische Wünsche. Und sehen Sie, Conni — das ist es: stürmische Wünsche muß man haben. Dann kriegt man auch alles, was man haben will. Aber wenn man zur Not auch ohne Schillerlocken leben kann, wenn man nicht denkt, die Welt würde auseinanderbersten, in der nächsten Sekunde schon, falls nicht dies dämliche Sahnegebäck anrollt ... ja, Conradin, wenn man weiß, das Leben geht auch weiter, ohne diese Küchelchen ... dann fühlt sich der liebe Gott nicht verpflichtet, einem so einen Pappteller zu präsentieren.“

      „Und was sagen Sie zu Ilse?“

      Hilla nahm den Pappteller, kniffte ihn zusammen und steckte ihn in den Ofen: „Ich habe Ihnen schon alles gesagt.“ Sie begann die Tassen ineinanderzustellen und wandte sich der Tür zu. „Bis jetzt haben Sie nur über Hannes gesprochen und über seine stürmischen Wünsche, die er alle erfüllt bekommt. Und Ilse hat sich immer stürmisch einen treuen Ehemann gewünscht. Aber gekriegt hat sie ihn nicht.“ Hilla setzte sich: „Sie sind ziemlich dumm, Conni. Einen treuen Ehemann. Was heißt denn das? Das ist doch ein ziemlich abstraktes Gebilde.“

      „Das erzählen Sie mal den eifersüchtigen Ehedamen, die finden Treue was sehr Wirkliches.“

      Hilla nickte versonnen: „Davon kommen ziemlich viele Irrtümer, Conni. Aber das läßt sich schwer auseinanderpulen.“

      „Mögen Sie es nicht versuchen?“

      Hilla sah ihn nachdenklich an: „Das ist alles so subjektiv. Ich meine nämlich, stürmische Wünsche aufs Negative gerichtet: daß jemand etwas nicht sein oder nicht tun soll ... das sind gar keine Wünsche.“

      „Sondern?“

      „Wie soll man das ausdrücken? Das sind Überzeugungen. Und Sie wissen ja, von Überzeugungen halte ich nichts. Damit hat mein braver und ordentlicher Vater meine Mutter in die Melancholie, in die Schwindsucht, in den Tod gejagt. Ist übrigens ziemlich dasselbe, Melancholie und Schwindsucht, glaube ich.“

      Conrad verstand sie nicht recht. Er lauschte in den Regen hinaus. Er wußte, man mußte Hilla Zeit lassen. Sie sagte immer nur den zehnten oder den


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