Als wäre nichts geschehen. Walther von Hollander

Als wäre nichts geschehen - Walther von Hollander


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Schulte, immer, wenn ich allzu wilde Blumenstilleben malte.“

      „Sie haben gemalt?“ fragte Conrad erstaunt.

      „Ja ... sogar sehr gut.“

      „Und warum malen Sie nicht mehr?“

      „Matthäus 6, Vers 24: Niemand kann zwei Herren dienen. Und Hannes ist ein Herr.“

      „Sie müssen mir mal Ihre Bilder zeigen.“

      „Die meisten habe ich verbrannt, und die paar, die Hannes gerettet hat, hängen oben im Wohnzimmer.“

      „Unsinn. Da hängen nur drei alte Meister des 17. Jahrhunderts“, sagte Conrad.

      Hilla seufzte wie eine Angeklagte vor dem Geständnis: „Die drei alten Meister bin ich. Hannes mag es nicht, daß man von meiner Malerei spricht.“ Und plötzlich ziemlich scharf: „Sie werden auch nichts darüber sagen. Das geht nur Hannes und mich an. Verstanden?“ „Natürlich“, sagte Conrad, „aber ich darf Sie noch mehr lieben und bewundern, Hilla.“

      „Ja, das sollen Sie. Das tut mir gut. Schöne Bilder, nicht wahr?“ — „Wunderschön. Aber Sie wollten noch etwas über die Überzeugung sagen.“

      „Es ist genug geschwätzt. Sieh dir an, was ist, und begnüge dich damit. Überzeugungen? Die ganze Welt schwelt noch von den Bränden, die die Überzeugungen angesteckt haben. ‚Sieh dir an, was ist, sag ja oder sag nein. Wenn du eine Farbe nicht vertragen kannst, versuche nicht, sie zu malen. Wenn du einen Menschen nicht magst, meide ihn.‘ Alles Professor Schulte. Keine Weisheit, auf meinem Mist gewachsen.“

      „Aber es gibt doch Menschen, die man größtenteils mag und kleinerenteils nicht“, protestierte Conrad, „das ist sogar meist so.“ „So? Ja, vielleicht“, sagte Hilla wenig überzeugt, „ich weiß das nicht. Ich mag Menschen ganz oder gar nicht. Und wenn ich sie mag, mag ich ihre Fehler mit, ihre Eigenheiten, ja und auch ihre Wünsche. Klare, gerade Wünsche. Brennende Wünsche. Weiß schon: da können Sie drin verbrennen und zugrunde gehen. Dann kann man Angst haben um sie. Aber man darf es ihnen nicht sagen. Denn sie können sich auch reinigen in ihren erfüllten Wünschen, ja selbst durch ihre Laster. Ach, Conni, wie soll ich Ihnen das erklären?“ Sie stand auf. Sie steckte die scheußliche türkische Lampe an. Sie blickte geblendet in das Licht. Conrad sagte erregt: „Aber das ist es doch, was Ilse immer sagt. Ganz oder gar nicht.“

      Hilla legte ihm die Hand auf die Schulter. „Müssen wir wirklich darüber diskutieren? Ganz oder gar nicht. Meint Ilse etwa Sie, so wie Sie sind, oder meint sie ihre Überzeugung, ihre Ansicht, ihre völlig gleichgültige Ansicht von der Welt? Wenn’s so einfach wäre, Conni. Man stellt seine Forderungen. Man präsentiert seine Rechnungen. Und wehe, wenn die Forderungen nicht hundertprozentig bezahlt werden. Das Recht ist doch auf unserer Seite. Das Gesetz steht uns doch bei. Und womöglich auch die Moral. Ja, mein Guter, was Ilse sagt ... ist völlig richtig, und ich unterschreib’ es. Ganz oder gar nicht. Aber, was sie meint ...“

      „Liebe Hilla ... jetzt dreht sich mir alles im Kopf. Hat sie nun recht oder hat sie unrecht?“

      Hilla sagte erregt: „Recht hat sie. Völlig recht. Und das ist doch die Hauptsache. Ob die Welt in Flammen aufgeht oder ein Leben zu Scherben zerplatzt: Recht muß man haben. Oder meinen Sie, mein Vater hatte nicht recht? Hundertprozentig recht hatte er mit allen seinen Vorwürfen! Meine Mutter war schwach, sensibel, sentimental. ‚Nimm dich zusammen. Sei fröhlich. Freue dich am Jasmin und krieg davon keine Kopfschmerzen.‘ Er hatte recht. Sie kriegte nur zufällig doch vom Jasmin Kopfschmerzen.“

      „Hm ... Ja ... Verstehe. Und was soll ich nun machen?“ sagte Conrad. „Soll ich etwa Ilse zu beweisen versuchen, daß nichts an dieser Emmy dran war?“

      „Waren Sie Ilse immer treu?“

      „In der Überzeugung ... ja, in der Wirklichkeit ... nicht immer.“

      „Na also ... dann stürmen Sie auch gefälligst nicht gegen Emmy an. Im übrigen ist Ilse ein prachtvoller Kerl. Nehmen Sie sie doch, wie sie ist.“

      Conrad lachte: „Und ich? Wo bleibe dann ich, wenn sie mich nicht nimmt, wie ich bin?“

      Hilla schloß herzlich: „Sie verlangen doch nicht etwa einen Rat von mir? Ich weiß nämlich keinen.“

      Damit ging sie hinaus und ließ den verdutzten Conrad auf seinem Bett sitzen. Er schüttelte den Kopf. Er gähnte. Er war plötzlich bleiern müde. Er legte sich aufs Bett und schlief sofort ein. Er schlief schwer und tief. Er hörte nicht, daß Christina eine Stunde später an seine Tür klopfte, um ihm einen Tee zu bringen.

      Christina klopfte zwei-, dreimal. Sie ging zu ihrem Tisch zurück. Sie begann zu zeichnen. Zwei Tassen standen neben ihr. Sie trank erst die eine, dann lächelnd die andere. Merkwürdig: dieser Mann, dieser etwas brummige, schlecht angezogene, schweigsame Mann fehlte ihr. Wollte sie etwas von ihm? O nein, keineswegs. Aber sie fühlte sich in seiner Nähe wohl, weil er auch nichts von ihr wollte. So müßten ... so sollten die Menschen sein. Nichts voneinander wollen. Zwei Stunden später klopfte sie noch einmal. Er antwortete wieder nicht. Sie löschte das Licht und ging fröstelnd in den Regen hinaus.

      6

      Ehelicher Streit

      Die Sperlinge von Wandsbek fiepten munter. Denn es war noch einmal warm geworden. Selbst jetzt gegen den Sonnenuntergang zu konnte man ohne Mantel über die Straße gehen, und wenn man, wie sehr viele Wandsbeker es taten, den Garten schlafen legte, wenn man also den Kompost eingrub, die Dahlienwurzeln und Montbretien aus der Erde holte, die kleinen Bäume und Büsche beschnitt, dann mußte man die Jacke ausziehen und sie an die, für diesen Zweck so praktischen, Eisenlanzen der Gartenzäune hängen. Schade, daß die Sonne schon um halb sechs Uhr unterging. Es war übrigens an diesem Tag ein besonders schöner Sonnenuntergang, zartrosa mit Nebel gemischt, mit einem sanften bläulichen Nebel, der noch durch die Dampfschwaden der in fast allen Vorgärten brennenden Unkrautfeuerchen verstärkt wurde. Der Schein des Abendrotes malte die Backsteinhäuschen mit einem sanften Rot an. In dieser Beleuchtung sahen sie ganz erträglich aus, und man konnte sich zur Not mit jenen längst verstorbenen Architekten und Maurermeistern versöhnen, aus deren krausen Gehirnen diese abscheulichen Gebilde entstanden waren. Eine Stimmung von Friede und Versöhnlichkeit lag über der Straße. Seit Jahren zum ersten Male waren die Menschen satt. Die meisten hatten Kohlen und Kartoffeln im Keller, und sie brauchten sich einmal nicht vor dem Winter zu fürchten.

      Der hübsche Sonnenuntergang schien auch in Ilses Sprechzimmer, und auch hier herrschte ein sanfter Friede. Ilse saß an ihrem Schreibtisch und schrieb in ihrem Rezeptblock. Hinter ihr zog sich gerade der letzte Patient seine Jacke über und band sich seinen Schlips, eine kleine hellblaue Schmetterlingsschleife. Es war der Maler Jürgen Klenski, ein zierlicher, wohlgebildeter Mann von unbestimmbarem Alter. Die braunen, blanken Augen waren knabenhaft heiter, die Schläfen silbergrau. Das dunkle, lockige Haar war voll wie bei einem Dreißigjährigen. Das schmale Gesicht zeigte die Reife und Geschlossenheit eines Fünfzigjährigen, und der kleine, graue Spitzbart ließ ihn noch älter erscheinen. In Wirklichkeit war er fünfundvierzig Jahre alt und hatte sich durch eine fünfundzwanzigjährige intensive Arbeit einen Ruf erworben, der so klein und zierlich war wie seine Statur und ihn nur sehr zur Not ernährte. Zum Glück hatte er von seinem Vater ein kleines Häuschen geerbt, das die Bomben und Feuersbrünste verschont hatten, ein Häuschen, das jetzt mitten zwischen Trümmern drei Straßen weiter unter dem Schatten von zwei großen Trauerweiden stand. Klenski bewohnte ein kleines Atelier unter dem Dach. Das übrige Haus war vermietet, und so konnte er sich durchschlagen. Ilse wandte sich jetzt zu Klenski um: „Ich bin mit Ihnen recht zufrieden, Jürgen“, sagte sie freundlich, „wenn Sie weiter streng diät leben, werden wir mit dem Asthma fertig werden.“

      Klenski setzte sich auf den Rand des Schreibtisches. Das sah beinahe übermütig aus, während das Rot des Sonnenuntergangs seinem Gesicht etwas melancholisch Greisenhaftes verlieh. „Ich werde dann ein Heiligenbild von Ihnen malen“, sagte er mit seiner angenehmen, hellen Stimme, „und es in irgendeiner Kapelle aufhängen.“

      Ilse lachte: „Das können Sie ruhig tun. Niemand


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