Als wäre nichts geschehen. Walther von Hollander

Als wäre nichts geschehen - Walther von Hollander


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neugierigen Blicken der „Sklaven“ durchquerten. Seine lärmenden Witze wären nicht am Platze gewesen. Sie waren beide ängstlich und schüchtern. Ilse kochte mit hausfraulichem Eifer den Tee. Sie war darin keine Meisterin. Sie vergaß, die Kanne anzuwärmen. Sie schüttete achtlos eine Faust voll Tee hinein. Es wurde ein Absud, tintenschwarz und gallenbitter. Christina konnte das besser. „Immerhin ... zwei Tassen hast du schon“, sagte Ilse betulich, „du kannst also Gäste empfangen.“

      Conrad sagte mürrisch: „Ich habe keine Gäste ... hier in dieser Bruchbude geht das nicht.“ Er sprach die reine Wahrheit. Warum war er etwas verlegen über diese Wahrheit? Sollte er etwa Ilse von seinen abendlichen Teemärschen erzählen, von den hundert und zweihundert gleichgültigen Worten, die er mit Christina gewechselt hatte? Ja — wenn er mit Ilse wieder in Ordnung kommen wollte, mußte er das erzählen. Das gehörte zum Kapitel der Ilseschen Aufrichtigkeit. Aber als erstes paßte ein solcher Bericht schlecht. Jeden zweiten Abend sitzt da drin eine junge Dame und kocht mir einen Tee. Das würde Ilse in die falsche Kehle bekommen, und er müßte eine lange Erklärung hinzufügen über das merkwürdig abwesende Gehabe Christinas, über ihre Verbindungslosigkeit zur Welt oder vielleicht gar über die Trillerpfeife, die schon zweimal nach Christina gepfiffen hatte. „Woran denkst du?“ fragte Ilse und schenkte den Teeabsud ein. „Zwei Stück Zucker, wie immer?“

      „Nein drei, wenn er so stark ist“, sagte Conrad.

      „Richtig ... du trinkst ihn ja goldbraun. Bei uns kocht Gerda den Tee, und sie liebt ihn englisch.“

      „Englisch — eine merkwürdige Vorliebe“, sagte Conrad harmlos. Ilses Gesicht verschattete sich etwas. Conrad hatte da an eine Wunde gerührt. Es war eine nie ausgesprochene Geschichte zwischen Gerda und einem englischen Offizier gewesen. Es gab überhaupt manchmal Männergeschichten, die Ilse nicht begriff und über die Gerda nicht sprach oder doch nur ganz nebenbei, nachher, wenn sie sie mit einer harten, herrischen Bemerkung abtat und beerdigte. „Ihr lebt aber gut zusammen?“ fragte Conrad uninteressiert. Ilse nickte. „Ein scheußliches Zimmer“, sagte sie bedrückt, „ich dachte, Hannes Hohmann sei reich und du lebtest in einer hübschen hellen Wohnung.“

      Ich bin ja schließlich mit Hannes nicht verheiratet, dachte Conrad bitter. Aber er sagte nichts.

      „Ruhe hast du ja wenigstens hier“, stellte Ilse versöhnlich fest und legte ein Sahneröllchen auf Conrads Untertasse.

      „O doch“, sagte Conrad, „Ruhe, Wärme, bißchen wenig Sonne und eine gute Verpflegung. Hilla sorgt rührend für mich.“ Und da Ilse ihn fragend ansah: „Hilla ist die Frau von Hannes. Die würde dir gefallen, ein wirklich vollkommener Mensch.“

      „Gibt es vollkommene Menschen?“ fragte Ilse. „Früher sagtest du doch immer: Vollkommene Menschen ... dazu hat der Verstand der Schöpfung nicht gereicht.“

      „Hilla ist die einzige Ausnahme“, sagte Conrad vergnügt, „vor Ausnahmen muß man sich beugen.“

      „Du hast auf alles eine Antwort“, sagte Ilse ohne Spott, „schreibst du manchmal? Das wäre doch schön.“

      Conrad zuckte die Achseln: „Ich versuche es.“ Er wies auf das Birkentischchen, auf dem ein paar lose Blätter lagen.

      „Magst du mir nachher ein bißchen vorlesen?“

      „Nein“, sagte Conrad bestimmt, „was ich geschrieben habe, ist ungerecht und bitter. Nichts für dich. Du haßt doch die Abgründe und die Dunkelheit, nicht wahr? Sie sind eher lächerlich als gefährlich. Sagtest du nicht so?“

      „Ach, Conrad“, seufzte Ilse, „du hast ein gutes Gedächtnis. Aber manchmal irrst du dich. Ich habe nur gesagt — und ich weiß auch noch, wann es war, im letzten Jahr vor dem Krieg, nach deinem Vortrag über das Dämonische —, ich habe gesagt, daß die Psychologen geheimnisvoll von der Dunkelheit flüstern, und oft ist es nur Dreck.“

      „Ja — das hast du gesagt“, gab Conrad bereitwillig zu, „und wir sind ja nun eine Weile durch eine dreckige Dunkelheit marschiert, und das Dämonische hat uns ganz hübsch gebeutelt.“

      „Ich habe viel daran denken müssen, was du damals schriebst“, sagte Ilse weich, „in manchem hast du recht behalten und nicht ich.“

      Conrad sah sie erstaunt an. Zum ersten Male gab Ilse zu, daß sie sich geirrt, daß sie von ihm gelernt hatte.

      Ilse kramte aus ihrem Täschchen ein silbernes Zigarettenbüchschen. Sie schob es Conrad hin und steckte sich selbst eine Zigarette an. Conrad tat, als ob er es nicht bemerkte, daß sie, die früher über das Rauchen soviel gezetert hatte, nun selber rauchte. „Gerda qualmt wie ein Schlot“, sagte sie entschuldigend, „auf die Dauer paßt man sich an. Man ist eben nur ein schwacher Mensch.“ Conrad lachte: „Als schwacher Mensch gefällst du mir ganz besonders gut, Ilseken.“ Sie errötete. Wenn er Ilseken sagte, mochte er sie gern. Sie erhob sich und legte ein Brikett auf den kleinen Kanonenofen. „Kalt“, sagte sie, „frierst du nicht? Ach nein ... dir ist ja natürlich immer zu heiß.“ Mit einem geschickten Griff holte sie das Brikett, das schon ein bißchen dampfte, aus dem Ofen. Conrad versuchte ihr die Kohle zu entreißen. Sie kabbelten sich ein bißchen. Conrad siegte und warf das Brikett wieder ins Feuer. „Du sollst nicht frieren“, sagte er befriedigt und etwas atemlos.

      „Aber ich weiß doch von meinen Patienten, daß sie Hitze nicht vertragen.“

      „Van Bansemann und Polisch?“ fragte Conrad freundlich.

      „Daß du das behalten hast!“

      „Natürlich ... wie geht es ihnen denn?“

      „Danke. Ich kriege sie wieder auf die Strümpfe.“

      „Du verstehst deinen Kram“, sagte Conrad anerkennend.

      „Und du? Ich finde, du siehst besser aus. Auch ohne meine Hilfe. Du ißt doch vernünftig? Nicht zu viel, nicht zu wenig? Butter ... Sahne.“

      „Ja, danke“, sagte Conrad und steckte sich ein ganzes Sahneröllchen in den Mund, „ich komme auch wieder auf die Strümpfe.“

      Unwillkürlich blickte Ilse auf Conrads Strümpfe. Sie waren an beiden Hacken kaputt. Die Löcher schauten über die Schuhränder. „Bring mir doch deine Strümpfe“, sagte sie, „ich stopfe sie gerne. Weißt ja, Handarbeiten ist meine Leidenschaft.“

      Conrad lachte: „Man soll die Leidenschaften der Menschen nicht schüren. Außerdem, mit kaputten Landserstrümpfen versteht nur ein Mann umzugehen. Du würdest das viel zu sorgfältig machen. Brille auf — und Faden neben Faden gezogen. Nee, lohnt nicht.“

      „Du stopfst sie doch aber nicht?“

      „Nee ... zu faul. Lohnt nicht. Da ...“, er warf ihr den zerlesenen Brief von der Ärztekammer zu. Ilse las ihn mit wichtig gekrauster Stirn. „Das ist ja entsetzlich.“

      „Sie haben mir gesagt, wenn einer der beiden Ehepartner verdient, müsse der andere aus sozialen Gründen zurückstehen. Hunderte warteten auf die Zulassung. Mit überflüssigen Ärzten könne man die Elbchaussee von Altona bis Blankenese pflastern. Gäbe endlich mal ein solides Kopfsteinpflaster.“

      Ilse hatte nicht zugehört. „Aber dann stehe ich dir ja im Wege“, sagte sie bedrückt, „daran habe ich gar nicht gedacht. Was machen wir da?“

      „Ja ... was machen wir da?“ wiederholte Conrad und sah sie gespannt an. Der Vorsitzende hatte gemeint, daß es unter den gegebenen Umständen wohl das Beste sei, wenn Conrad in der Praxis Ilses mitarbeite. Gewissermaßen schwarz, als Assistent. Ilses Praxis gehe ja beneidenswert gut. Besser als die mancher männlicher Kollegen. Und die Ärztekammer werde großzügig sein und es nicht zur Kenntnis nehmen, wenn Conrad bei Ilse mitarbeite. „Das wäre doch ein Weg, Herr Kollege“, hatte der Vorsitzende wohlwollend und munter gesagt.

      „Sicherlich — das wäre ein Weg, Herr Kollege“, hatte Conrad geantwortet und war gegangen. Er hatte keine Lust, dem Herrn Vorsitzenden seine Familienverhältnisse auseinanderzublättern. Ilse wußte natürlich auch, was „das Vernünftigste“ war. Oder wenigstens das Natürlichste.


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