Als wäre nichts geschehen. Walther von Hollander

Als wäre nichts geschehen - Walther von Hollander


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„Ich weiß schon, ich bin ein unbeseeltes Ding. Manchmal aber rühren mich Ihre Farben. Farbtöne sagt man ja wohl, und ich kann sie auch hören. Aber ich würde gern erkennen, was auf Ihren Bildern ist. Schrecklich, nicht wahr?“

      Jürgen schüttelte den Kopf: „Gar nicht schrecklich. Nur: wenn Sie erkennen wollen, sind Sie bei meinen Bildern an der falschen Adresse. Da müssen Sie schon zu den Philosophen gehen. Und die werden auch immer dunkler und verdunkeln die Menschen mehr, als daß sie sie erleuchten. Und was die Seele angeht, Ihre Seele, verzeihen Sie, aber die sitzt hinter Gittern.“

      Ilse fühlte sich ertappt. Sie hatte an Conrad gedacht, an das dumpfe, winzige Zimmer mit den vergitterten Fenstern. Sie hatte gerade beschlossen, es Klenski zu sagen, daß Conrad aufgetaucht war. Sie mußte es ihm sagen. Mußte? Warum eigentlich? Was ging es Conrad an, daß Jürgen sie liebte? Jürgen hatte es ihr zwar nie gesagt, aber sie wußte es, und wenn sie es nicht gewußt hätte: Gerda hatte oft genug über den „Troubadour mit dem Pinsel“ gespottet. Männer hatten es schwer, Gerdas Achtung zu gewinnen. Die robusten verachtete sie, und die zarten verspottete sie.

      „Denken Sie, mein Mann ist zurückgekommen“, sagte Ilse.

      Kienskis Gesicht veränderte sich nicht. Er versuchte seiner Stimme einen freudigen Klang zu geben: „Und das sagen Sie mir erst jetzt? Gratuliere. Wo ist er denn?“

      „Er wohnt bei Freunden in Blankenese“, berichtete Ilse sachlich.

      „Ja, ja ... hier ist kein Platz. Wie geht es ihm denn? Nicht gut wahrscheinlich. Na, Sie werden ihn schon wieder auf die Beine kriegen.“

      „Auf die Strümpfe“, verbesserte Ilse.

      Klenski sprang vom Schreibtisch herunter. „Ich halte Sie schon viel zu lange auf“, sagte er munter, „jedenfalls freue ich mich für Sie und bin sehr gespannt auf ihn. Ein Mann, den Sie geheiratet haben! Ich denke ihn mir großartig.“

      Ilse hakte ihn unter und brachte ihn zur Tür: „Darf ich mir mal Ihre neuen Bilder ansehen?“ fragte sie freundlich.

      Sie streckte ihm beide Hände hin. Sie wollte, daß er schnell ginge; denn Conrad hatte sich zu einem Spät-Tee angesagt, und sie wollte nicht, daß die beiden sich begegneten. Warum eigentlich nicht? Nun — warum sollten sie sich begegnen? Sie bewohnten nach Ilses Meinung zu verschiedene Welten. Der zarte Maler, ätherisch im Wesen und Werk, und Conrad, der gar zu sehr der Welt und ihrer Sinnlichkeit zugeneigt war. So etwa dachte sie in ihrer geraden und darum so oft vorbeischießenden Denkart. „Ich komme vielleicht schon morgen mittag vorbei“, sagte sie abschließend, „da ist doch das beste Licht, nicht wahr?“ Aber Klenski hatte es nicht so eilig, wegzukommen. Er bat sie, doch bei ihm zu essen, und schlug die verschiedensten Speisen aus seinem vegetarischen Küchenzettel vor, die er für Ilse zubereiten wollte. Er kochte nämlich vorzüglich und fand, daß man für jeden Menschen nach seiner Natur kochen müsse. Er wurde beinahe streng, als Ilse sagte, für sie als alleinstehende Frau sei so viel Aufwand und Nachdenken nicht nötig. Ihr sei es völlig einerlei, was sie esse.

      In diesem Augenblick klingelte es, und sie hörte Conrads Stimme, wie er lustig mit Gerda scherzte. Ein paar Sekunden später — Gerda war doch wirklich eine ungeschickte Pute, daß sie es nicht fertig bekam, Conrad in ihr Zimmer zu bugsieren — trat Conrad ein. Er lachte Ilse an. Sie sagte wichtig, daß sie noch ein paar ärztliche Anweisungen zu geben habe. Klenski aber, ein fanatischer Anhänger der absoluten Wahrheit, sagte strahlend: „Aber wir sind doch längst fertig.“ Und indem er Conrad übertrieben heftig die Hand drückte: „Ich freue mich von ganzem Herzen, daß Sie zurück sind.“ Conrad wiederum behauptete, aufrichtig lügend, es sei ihm eine besondere Freude, Herrn Klenski kennenzulernen, von dem Ilse ihm schon so viel Schönes berichtet habe. Ob er auch an Hydropsie, an russischem Wasser, gelitten habe? Man sähe ihm nicht mehr das geringste an. Eine wundervolle Medizinerin, die Ilse.

      Klenski stimmte strahlend zu und setzte zu einer längeren Erklärung an, daß er in keiner Weise unter dem Kriege gelitten habe und alles Unglück wie durch ein Wunder an ihm vorübergegangen sei, und das bißchen Krankheit ... Er wies mit einer zärtlichen Bewegung auf Ilse, die ihn mit erstaunlicher Heftigkeit unterbrach und ihn ziemlich grob einlud, eine Tasse Tee mitzutrinken. „Mit uns“ zu trinken, sagte sie wörtlich und errötete dabei unwillig. Dieses „mit uns“ gab ein völlig falsches Bild.

      Klenski lehnte herzlich ab. Er habe noch viel zu arbeiten und gerade genug von Ilses kostbarer Zeit gestohlen. Er drückte Conrad noch einmal kräftig und herzlich die Hand. Man würde sich ja öfter sehen. Ob Conrad vielleicht Ilse gleich am nächsten Tag zum Mittagessen bei ihm begleiten wolle? Conrad verbeugte sich unentschieden, da Ilse nichts sagte. Sie hakte den Maler unter und zog ihn auf den Flur hinaus.

      „Ein reizender und bedeutender Mann“, sagte Klenski draußen und drückte freundlich Ilses Arm. „Natürlich hat er es ein bißchen schwer, sich wieder ins Leben zurückzufinden.“ Ilse starrte vor sich hin, als hätte sie nicht zugehört. Dann sagte sie ablehnend: „Himmel ja ... natürlich hat er es nicht leicht! Aber wer hat es schon leicht. Sie etwa? Oder Gerda? Oder ich? Waren wir nicht auch ganz hübsch gefangen oder auf der Flucht und im Hunger und müssen zusehen, daß wir uns zurückfinden?“ Sie beachtete nicht sein erstauntes Gesicht. Sie schob ihn ganz einfach hinaus, schloß die Tür hinter ihm, stand einen Augenblick verdrossen grübelnd. Sie hängte ihren blendendweißen Ärztekittel an die Garderobe. Sie besah sich mißbilligend im Spiegel. Warum, so dachte sie, habe ich mir eigentlich die weiße Seidenbluse angezogen und den grauen Faltenrock? Abgesehen davon, daß der Rock schon wieder zu eng ist? Gerda hat ganz recht. Ich darf nicht soviel essen. Dabei ißt sie viel mehr. Na ja, mancher kann eben tun, was er will, und es ändert ihn nicht. Halt! Der Satz war nicht auf ihrem Mist gewachsen. Das war ein echt conradscher Satz. Ein leichtsinniger Satz, mit dem die Habgierigen und Lasterhaften alles entschuldigen konnten. Sie blickte böse in Richtung des Sprechzimmers. In diesem Augenblick überquerte Gerda, das Tablett mit dem Tee in den Händen, den Flur. Sie lächelte Ilse beruhigend zu. Ilse sagte bockig: „Warum hast du Conrad ins Ordinationszimmer geschickt? Nächstens wird er noch reinplatzen, wenn nackte alte Frauen dastehen.“

      Gerda sah sie unschuldig an: „Jürgen und Conrad mußten sich ja doch mal begegnen ... falls es Jürgen nicht vorzieht, wegzubleiben.“

      „Ich wüßte nicht, warum Jürgen das vorziehen sollte“, sagte Ilse heftig. Gerda klinkte mit dem Ellenbogen die Tür auf. Dabei sagte sie schnippisch: „Er ist ziemlich taktvoll, der brave Jürgen. Und es ist nicht jedermanns Sache, sich am Glück des anderen selbstlos zu erfreuen.“ Damit wischte sie in die Tür, ehe Ilse etwas erwidern konnte. Sie blickte Gerda mit zornigen Augen nach, dann ging sie endlich ins Ordinationszimmer.

      Conrad saß auf ihrem Schreibtischstuhl und spielte mit ihrem Federmesser Fangball. Er wirbelte es in der Luft herum und sagte triumphierend: „Sechsmal dreht sich’s schon. Wenn du noch länger geblieben wärst, hätte ich es auf achtmal gebracht.“ Ilse nahm ihm das Messer weg. Sie fand sein Jonglieren in diesem Augenblick unangebracht. Außerdem hatte sie es schon früher nicht leiden können, wenn er sich allzu familiär bei ihr breit machte und ihre etwas pinslige Ordnung auf dem Schreibtisch zerstörte. „Entschuldige“, sagte Conrad, „aber du hast das Messer nicht rechtwinklig hingelegt, sondern schräg. Oder gefällt dir das jetzt?“

      Ilse schob brav das Federmesser gerade. „Der Tee ist fertig“, sagte sie. „Komm.“ Conrad reichte ihr mit einer Verbeugung seinen Arm. Sie übersah es unfreundlich. Er sagte: „Ein reizender Mensch, dieser Klenke, oder wie er heißt. Ein bißchen ätherisch. Ja?“

      „Er heißt Klenski und findet dich auch reizend“, murrte Ilse, „und sogar bedeutend.“

      „Scharfsinnig ist er auch noch“, alberte Conrad. „Aber im Ernst: er gefällt mir. Hübsch und zart und so ein rührend kräftiger Händedruck, als wollte er einen gleich an die schmale Brust ziehen. Warum hast du mir noch nichts von ihm erzählt?“

      „Ich dachte mir gleich, daß du ihn nicht leiden kannst“, sagte sie heftig, „für den Durchschnittsmann ist so ein in sich geschlossenes Wesen nicht verständlich.“

      Conrad parierte den Hieb geschickt: „Für die Durchschnittsfrau


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