Thomas Müller. Jörg Heinrich

Thomas Müller - Jörg Heinrich


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angestammten Rückennummer 21, denn die gehört dem damals ebenfalls noch recht jugendlichen Philipp Lahm. Also nimmt er halt die 25, die ihm auch bis heute erhalten geblieben ist. Ein Thomas Müller ohne die 25, das ist längst so undenkbar wie ein Sepp Maier ohne die 1, ein Beckenbauer ohne die 5, ein Gerd Müller ohne die 9 oder die 13.

      Thomas Müller erobert daraufhin die Bundesliga – das wäre eine schöne Geschichte gewesen, doch ganz so kommt es vorerst nicht. An Klose, Poldi und Toni führt kein Weg vorbei. Und auf den Außenbahnen stehen dem Buben die Giganten Bastian Schweinsteiger und Franck Ribéry in der Blüte ihrer Jahre im Weg. „Wir kennen sein Talent und sind dabei, ihn langsam aufzubauen“, verkündet Klinsmann. Langsam aufbauen, das bedeutet im Klartext: Thomas Müller muss weiter lernen, bei Gerlands Amateuren. Dort, wo der „Tiger“ die Spieler am härtesten in die Mangel nimmt und triezt, von denen er am meisten überzeugt ist. Der zweitberühmteste Bochumer nach Herbert Grönemeyer nörgelt über seinen jungen Müller: „Er schwankt zwischen schwach und überragend – innerhalb von drei Minuten.“

      Es dauert sage und schreibe bis zum 28. Spieltag, ehe Thomas Müller wieder in der Bundesliga randarf – wenn auch nur kurz. Sehr kurz sogar. Klinsmann, in der absoluten Spätphase seiner Trainerkarriere beim FC Bayern, bringt ihn in der vierten Minute der Nachspielzeit bei Arminia Bielefeld für Luca Toni, um Zeit zu schinden. Neun Tage später ist Jürgen Klinsmann Geschichte in München. Müller kommt noch zu zwei Kurzeinsätzen unter Interims-Nachfolger Jupp Heynckes, der als „Großer Bellheim“ des Fußballs von seinem Freund Uli aus der Pension geholt wird, um die Klinsmann-Scherben zusammenzukehren.

      Vier Bundesligaspiele hat Thomas Müller im Sommer 2009 auf dem Konto. Sein fünftes bestreitet er in der neuen Saison dann schon unter seinem dritten Bayern-Trainer, unter Louis van Gaal. Fünf Spiele, drei Trainer: auch eine Art Rekord. Doch beinahe kommt es gar nicht dazu. Denn um ein Haar wird Thomas Müller Freiburger. Oder Hoffenheimer. Oder Schweizer. Als Thomas unter Klinsmann partout nicht mehr zum Zuge kommt, wird Müller-Manager Ludwig Kögl aktiv. Der rührige Wiggerl verschickt DVDs an Vereine, die möglicherweise an seinem Schützling interessiert sein könnten – zumindest leihweise, damit er Spielpraxis im Profibereich sammeln kann. Müller wird eh langsam ungeduldig, scharrt mit den Hufen und verkündet: „Ich will dranbleiben. Wenn ich eine Chance kriege, will ich sie nutzen.“

      Eine der DVDs landet auf dem Schreibtisch des FC Zürich. „Grüezi, Thomas Müller?“ So weit kommt es nicht. Die Schweizer beschäftigen sich zwar mit dem Nachwuchsmann aus München, lehnen einen Deal dann aber doch ab. Die mittlerweile beinahe legendäre Begründung von FCZPräsident Ancillo Canepa: „Müller läuft komisch.“ Als der Komischläufer etwas über ein Jahr später bei der WM in Südafrika zum Torschützenkönig und Weltstar wird, muss sich der Präsident viel Spott gefallen lassen. Kein Wunder: „Müller läuft komisch“, diese Aussage erinnert doch sehr an die englische Plattenfirma Decca, die Anfang 1962 die Beatles mit der Begründung ablehnte, „Gitarrengruppen kommen bald wieder aus der Mode“. Frei nach dem Motto: „Ringo Starr spielt komisch Schlagzeug.“ Und wer jetzt einwendet, dass Ringo Starr damals noch gar nicht bei den Beatles war, hat natürlich recht. Aber der Vergleich hat halt so schön gepasst.

      Schweizer wird der Ringo Starr aus Pähl also nicht. Und dass er komisch läuft, woran ja kein Zweifel bestehen kann, hindert zumindest die TSG Hoffenheim und den SC Freiburg nicht daran, sich in diesen merkwürdigen Monaten zwischen Amateur- und Weltstarstatus ebenfalls für Thomas Müller zu interessieren. Die aufstrebenden Hoffenheimer haben Personalprobleme, Starstürmer Vedad Ibišević reißt sich im Januar 2009 das Kreuzband und fällt monatelang aus. Trainer Ralf Rangnick will Müller gleich im Doppelpack mit Holger Badstuber verpflichten. Bei „Badi“ lässt der FC Bayern gar nicht erst mit sich reden, bei Müller ist man eher verhandlungsbereit. Wie weit der Transfer bereits fortgeschritten war, darüber gibt es heute unterschiedliche Aussagen. Angeblich liegt im Laufe des Januar bereits ein unterschriftsreifer Vertrag vor. Doch es scheitert am Geld. Der FC Bayern verlangt kolportierte drei Millionen Euro, laut dem Internet-Fachmagazin „transfermarkt.de“ liegt Thomas Müllers Marktwert zu dieser Zeit aber nur bei 300.000 Euro. Der zehnfache Preis für einen Neunzehnjährigen mit einem einzigen Bundesligaspiel (über zehn Minuten!) und einem Champions-League-Kurzeinsatz (Tor gegen Sporting Lissabon!) – dieser Deal ist der TSG zu heiß. Rangnick sagt ab: „Das war uns damals zu viel. Wir waren mit beiden einig, sie wollten kommen.“

      Der FC Basel gräbt ebenfalls an Müller. Und auch mit dem SC Freiburg liegt eine Einigung – so heißt es heute – in Reichweite. „Eine Hätte-wäre-wenn-Geschichte“, erinnert sich Freiburgs Pressesprecher Rudi Raschke später in der Badischen Zeitung über den nicht zustande gekommenen Sensations-transfer. Allzu groß ist die Lust der Bayern offenbar eh nicht, den Jungspund auch nur leihweise ziehen zu lassen. Als die Transfergerüchte konkreter werden, wird „Gottvater“ Gerland beim großen Chef vorstellig, den er beschwört, Müller nicht ziehen zu lassen: „Uli, der schießt dir Tooooooore!“ Tooooooore, mit ganz vielen „o“! Im Februar 2009 statten die Münchner Thomas vorsichtshalber mit seinem ersten Profivertrag aus, gültig ab Sommer und bis zum 30. Juni 2011 sowie mit der Garantie versehen, dass er in der neuen Saison bei der Ersten Mannschaft trainiert. Damit ist ohnehin nur mehr eine Ausleihe möglich.

      Doch hier kommt der „Tulpengeneral“ ins Spiel. Louis van Gaal wirft noch vor seinem Amtsantritt einen Blick auf Müller und Badstuber und sagt: „Nee“. Wer weiß, ob er die beiden Burschen nicht brauchen kann bei seiner Mission, den FC Bayern fußballerisch endlich ins 21. Jahrhundert zu befördern? Müller bleibt, Badstuber bleibt – oder, wie man in einem holländisch-bayerischen Mix sagen könnte: „Da Kaas is bissn“, „der Käse ist gegessen“, und „Tiger“ Gerland ist happy. Er wird Assistent von Louis und schlägt beim Holländer kräftig die Trommel für seinen Lieblings-Pähler: „Müller ist ein Juwel. Der hat überragende Fähigkeiten, die er aber noch zu selten einbringt. Bei unserem ersten Treffen hat van Gaal mich gefragt, welche jungen Spieler er gebrauchen könne. Dann habe ich aufgezählt: Müller, Badstuber, Contento, Alaba, Ekici. Und die sind dann auch alle hochgezogen worden.“

      Der Rest ist dann eh jüngere Fußballgeschichte. Sag’ gegen Louis van Gaal, was du willst, aber für junge Talente hat der holländische Monumentaltrainer ein Auge und ein Händchen, und das jeweils in doppelter Ausführung. Er hatte bei Ajax Amsterdam und beim FC Barcelona zuvor unbekannte Kids namens Clarence Seedorf und Edgar Davids, Xavier Hernández (auch bekannt als Xavi) und Andrés Iniesta in die Erste Mannschaft geholt. Nun holt er beim FC Bayern Holger Badstuber und eben auch Thomas Müller zu den Profis – und das, obwohl der FC Bayern in der Saison 2009/10 mehr denn je mit Weltklasse-Angreifern gesegnet ist. Denn es kommt ja auch noch Mario Gómez aus Stuttgart dazu, mit 30 Millionen Euro Ablöse bis dahin die teuerste Bayern-Verpflichtung und der kostspieligste Transfer innerhalb der Bundesliga. Und HSV-Publikumsliebling Ivica Olić engagieren die Münchner auch noch. Wenigstens ist Poldi weg. Zu Saisonbeginn ist der junge Müller also nominell Stürmer Nummer fünf, hinter Gómez, Toni, Klose und Olić. Herzlichen Glückwunsch, junger Mann! Bei einem normalen Trainer wären seine Einsatzchancen jetzt durchaus überschaubar.

      Doch gottlob ist Louis van Gaal kein normaler Trainer – und couragiert genug, sich einen feuchten Kehricht um Hierarchien, Hackordnungen und Ablösesummen zu kümmern. Wenn der FC Bayern den unglücklichen Michael Rensing als Kahn-Nachfolger aufbauen will, dann stellt Louis eben Thomas Kraft ins Tor und sabotiert damit en passant auch noch den anstehenden Transfer von Manuel Neuer. Wenn die ganze Stadt in Münchens Lieblings-Italiener Luca Toni verschossen ist, dann packt ihn van Gaal am Krawattl, weil mit der Disziplin des „Ohrschraubers“ nicht zufrieden, und verscheucht ihn zum AS Rom. Zum Entsetzen aller Münchnerinnen, die dem Don Juan bis heute nachtrauern. „Der Trainer wollte uns klarmachen, dass er jeden Spieler auswechseln kann“, erinnert sich Luca später in der Sport Bild, „egal, wie er heißt, weil er Eier hat. Um das zu demonstrieren, ließ er vor uns die Hosen runter.“ Und zeigt der Mannschaft in der Kabine die van Gaal’schen Eier live und in 3D. Toni, nur mäßig beeindruckt von der Vorführung: „Ich habe aber nicht viel gesehen. Ich saß nicht in der ersten Reihe.“

      Doch für Thomas Müller ist der Wahnwitzige ein Glücksfall. Der Jung-Profi darf gleich zu Saisonbeginn ran, glänzt beim Audi Cup und trifft zweimal beim 4:1


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