Kalte Berechnung. Michael Rapp

Kalte Berechnung - Michael Rapp


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      »Ich habe Ihrem Mike nichts getan«, behauptete der Gutachter. »Er ist freiwillig durch die Schleuse gegangen, hat aber die harschen Bedingungen unterschätzt. Wenn die Schutzhüllen der Kunstmuskeln nur ein wenig undicht sind, dringt Feuchtigkeit ein. Gefriert sie zwischen den Fasern, sitzt alles fest, die Ausfallsicherung tritt in Kraft, und das Körpersystem wird heruntergefahren …«

      Division-By-Zero wischte die technische Erklärung beiseite. »Jaja, Schnee von vorgestern! Nun aber zu meinem Beitrag in diesem Wettbewerb. Tatsache ist, die Beweise, auf die Herr Mann gerade zu sprechen kam, habe ich gewonnen. Der 7er an der Bar, den Turner hackte, um ihn als Tatwerkzeug zu missbrauchen, wurde von mir überwacht. Ich bin quasi durch die Tür gegangen, die Herr Turner geöffnet hatte. Daher konnte ich die Tat beobachten. Herr Mann hat die so gewonnenen Informationen von mir während des Fluges im Zuge eines Austausches Information gegen Information erhalten. Ein beinahe tödlicher Fehler, aber ich konnte ja nicht ahnen, dass dieser Vorfall eine solche Bedeutung gewinnen würde.« Durch die Aufmerksamkeit blühte die PI förmlich auf wie ein Schauspieler auf der Bühne. »Als Herr Mann erfuhr, welchen Preis es für die Fallaufklärung zu gewinnen gab, machte er sich auf die Suche nach mir, vermutlich schon mit dem Vorsatz, mich zu manipulieren oder sogar zu zerstören. Er fand mich hilflos im Entertainmentbereich und nutzte diese Chance, um zum exklusiven Inhaber der Informationen aufzusteigen. Alles, was er tun musste, war, einer Servicemaschine einen Befehl zu geben, schließlich stehe ich als PI bedauerlicherweise nicht unter dem gleichen Schutz wie ein Mensch …«

      »Ulrich kann die Pilotin nicht angegriffen haben«, widersprach Staroll. »Wir waren die ganze Zeit über zusammen.«

      »Wir haben gespielt«, pflichtete ihr Fischer bei. »Alle können das bestätigen.«

      »Ihr Spiel, ja«, sagte Division-By-Zero und zeigte ein breites Lächeln. »Bei meiner Recherche in der Lounge bemerkte ich die Datenfunkverbindung zu der Servicemaschine, verschleiert in dem Fantasy-Gemetzel, das Sie drei spielten. Ihr Teamcaptain Turner war heute nicht besonders gut, nicht wahr, JStar? Er war unkonzentriert, und Sie mussten ihn zur Ordnung rufen. Das lag aber nicht an seinem mangelnden Interesse am Orks-Abschlachten. Er hatte nur gleichzeitig noch ein anderes Projekt zu überwachen, eines für die kriminelle Gruppe, der er unter dem Nick Revel8or angehört … Ihre Mitglieder betrachten sich als Jünger der Aufklärung. Ihr Name ist dementsprechend prosaisch: die Nussknacker.« Er erzeugte einen Laut, der klang wie ein Zwischending aus Knacken und Zungenschnalzen. »Die Nüsse, die sie knacken, sind PIs, die sich als menschengleich darstellen oder von ihren Besitzern so präsentiert werden. Sie knacken ihr Geheimnis, indem sie sie als Fälschungen entlarven, als Manipulation, als Hack, der sich gegen die menschliche Wahrnehmung richtet.«

      »Ulrich?« Staroll starrte ihren Kameraden an. »Du bist doch keiner dieser Verschwörungstheoretiker? Das ist nicht wahr!«

      »Wahrheit«, sagte Turner laut und wischte eine der kleinen Vogeldrohnen aus seinem Gesichtsfeld. »Genau das ist das Thema unserer Zeit. Was ist in dieser Welt noch wahr und was wird uns nur als wahr verkauft …?«

      »Wie wär’s mit einem Geständnis ohne Theater und Selbstmitleid?«, seufzte Die Antwort.

      »Wir sind dabei, die Kontrolle zu verlieren!« Turner redete sich in Rage und verpackte sie in Zynismus: »Unsere Realität ist nicht etwa künstlich, nein, sie ist verbessert, aufgewertet. Manche unserer Nachbarn und Kollegen stecken voller Akkus und Schaltkreise, doch wir lieben sie mehr als die aus Fleisch und Blut, denn sind sie nicht freundlicher und hilfsbereiter? Geben sie uns nicht ein viel besseres Gefühl? Sind sie nicht unsere Rettung, wenn uns alles über den Kopf wächst? Unsere allerliebsten Lehrer, unsere verlässlichsten Freunde, unsere duldsamsten Geliebten?« Er sah Chershi böse an, der das sehr unangenehm war. Sie senkte den Blick und rieb sich die Augen.

      Staroll fasste sich an die Stirn. »Ach, Ulrich, und ich war noch beeindruckt, wie schnell du die Simulation des Angriffs hinbekommen hast.«

      »Du hast unsere Pilotin zerstört«, schimpfte Fischer. »Ist dir nie in den Sinn gekommen, was hätte passieren können?«

      Turner fühlte sich noch mehr in der Defensive und wurde laut: »Ihr habt doch gehört, was Die Antwort gesagt hat: Sie hatte keine praktische Funktion. Lotte Konsdotter war eine Erfindung der Marketingleute …«

      »Warum hast du nicht eingegriffen, wenn du den Angriff beobachtet hast?«, fragte Chershi Division-By-Zero, der unbeeindruckt sein weißes Gebiss präsentierte. Sinnlos. Ihre Augen wanderten zu Mann. »Sie zumindest hätten etwas sagen müssen.«

      »Aber Revel8or hat ja in zwei Punkten recht«, meinte Division-By-Zero. »Es bestand keine wirkliche Gefahr, und das Opfer war nur ein Spielzeug, eine PI, von ihren Schöpfern dazu verdammt, sich nicht einmal selbst zu hinterfragen. Ich habe ihr noch gesagt, dass jemand sterben könnte, Minuten bevor es geschah.«

      »Du hast Konsdotter ihrem Schicksal überlassen und unsere Sicherheit gefährdet«, sagte die Ingenieurin. »Eine regelkonform arbeitende Parallele sollte dazu nicht fähig sein.«

      Division-By-Zero wischte das Argument aus der Luft. »Eine solche PI wäre auch nicht eingeladen worden. Das alles ist Teil des Deals, den Sie zusammen mit der Einladung annahmen: Die Gewinner bekommen, was sie sich wünschen, und die Verlierer bleiben zurück. Unser Auftraggeber hat hinreichend bewiesen, dass das kein leeres Versprechen ist. Vielleicht vermutete er sogar, dass Turner Konsdotter angreifen würde. Vielleicht hat er ihn nur eingeladen, um uns hier einen Fall präsentieren zu können. Nach seinen Kunststücken würde ich ihm alles zutrauen.« Er wandte sich an das Hologramm: »Hören Sie, unfreundlicher Auftraggeber? Was auch immer Ihre Geschichte ist, ich werde sie der Welt erzählen!«

      »Du hast heute gewonnen, also wird dieser Wunsch erfüllt«, antwortete die Stimme der Pilotin. »Jenna Staroll belegt ohne eigene Ermittlungsleistung hinter dem ebenfalls passiven Tim Fischer den letzten Platz. Sie, die in den Schlüssen ihres Teamcaptains nicht das Täterwissen erkannte und nur auf Fischers Rekonstruktion vertraute, bleibt allein auf der Station zurück.« Das Hologramm verschwand, trotz der Proteste von Turner und Fischer, die für ihre Teamkameradin eintraten und damit drohten, ebenfalls nicht weiterzureisen.

      Richard tat die junge Frau leid, aber er war auch froh, dass es nicht ihn getroffen hatte. Die Stimmung in der Gruppe war zum Zerreißen angespannt. Aber ist es denn eine Gruppe?, fragte er sich. Nein, dafür hat der Auftraggeber gesorgt. Nur Division-By-Zero wirkte zufrieden, Amanda Chershi sah Die Antwort seltsam an: Enttäuschung. Turner sprach leise auf Fischer ein, und Staroll wandte sich von beiden ab: Misstrauen und Wut. Und Mann machte ein so verbissenes Gesicht, als wäre bei ihm gerade Krebs diagnostiziert worden.

      »Und was jetzt?«, fragte der Gutachter nach kurzem Schweigen.

      »Was Sie getan haben, wird nicht vergessen werden«, meinte Division-By-Zero. »Aber da ich weiß, warum Sie es getan haben, wäre ich bereit, Ihre Stellungnahme zu berücksichtigen.« Er lächelte geschäftstüchtig und schwebte zu ihm. »Vielleicht können wir ja etwas aushandeln, wenn mir die Geschichte gefällt, die Sie anzubieten haben.«

      Mike kam vom Zugang zur Dockingstation angeflogen und blickte verständnislos auf die Stelle, wo eben noch das Hologramm gewesen war. »Was ist? Haben wir verloren?« Er sah unbeschädigt aus, nur seine Hülle glänzte am Oberkörper mehr als sonst.

      »Du bist zu spät!« Richard versuchte, ihn seine Erleichterung nicht spüren zu lassen.

      »Wir haben doch nicht verloren? Ich werde wahnsinnig, wenn ich drei Wochen allein mit dir hier rumhängen muss.«

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