Kalte Berechnung. Michael Rapp

Kalte Berechnung - Michael Rapp


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bleiben. Etwas anderes war es, sobald er die Station betrat. Bei Zimmertemperatur würde er binnen einer Minute überhitzen. All das hatte er innerhalb eines Augenblicks begriffen. Doch als er sich von Mike lösen wollte, um sich von diesem abzustoßen und so den ersten Schwung für seine Rettung aufzunehmen, bemerkte er etwas, das seinen Plan obsolet machte. Mike trug zwei Druckluftbehälter samt Atemmasken mit Lungenautomaten an Gurten über der Schulter. Sie gehörten zur Notfallausrüstung der Station. Division-By-Zero blickte sich nun aufmerksamer um und bemerkte einen mattweißen Stationsroboter, der nahe bei ihnen ebenfalls erstarrt durchs All schwebte. Sein konturloses Gesicht war durch einen harten Schlag zertrümmert worden. Offensichtlich Mikes Werk. Bisher war Division-By-Zero davon ausgegangen, dass es Mike gewesen war, der sie beide durch eine Schleuse in den Weltraum befördert hatte. Doch nun legten die Indizien nahe, dass die ausgemusterte Behörden-PI bei einer gescheiterten Rettungsaktion in diese missliche Lage geraten war.

      Da kann ich dich ja schlecht zurücklassen, schloss Division- By-Zero seine Analyse. Was wäre das für eine Geschichte? Er nahm die erste Sauerstoffflasche und riss den Gurt und die Maske ab, anschließend umklammerte er Mike. Kräftig Schub gebend, beschleunigte er von der Erde weg. Da die Druckluft nicht gleichmäßig genug aus dem Schlauchende strömte, um den Kurs zu halten, formte er mit der linken Hand einen behelfsmäßigen Triebwerkskegel, den er durch Fingerbewegungen für ein optimales Ergebnis abstimmte. Ein weiterer Gasschub brachte sie auf Kurs. Es würde noch eine halbe Stunde dauern, bis sie mit sorgfältig berechneten Schüben zurück bei der Station waren, aber besser langsam und sicher, als hier draußen verloren zu gehen. Außerdem, wer auch immer ihn hinausbefördert und Mikes Rettungsversuch sabotiert hatte, konnte noch auf der Lauer liegen. Zumindest hatte Division-By-Zero weiterhin Zugriff auf die Stationscomputer, so erfuhr er von der Entdeckung der Pilotin und dem Wettstreit der Ermittler. Division-By-Zero lächelte über das ganze bärtige Gesicht und gab ein weiteres Mal Schub. Diese Geschichte hatte er längst aufgedeckt und niedergeschrieben. Und weil das so war, gab es nur einen logischen Verdächtigen für den Angriff auf ihn. Nur ein Mitreisender hatte ein Motiv und die Gelegenheit gehabt, ihn aus der Station zu entfernen. Da würden dem Täter die gelöschten Überwachungsdaten nichts nützen.

      Er wandte den Kopf und blickte auf die Raumstation und den Clipper, die jetzt nur noch von wenigen roten und grünen Positionslichtern angeleuchtet wurden. Eine Kunstwelt, hinausgeworfen in die Kälte und Finsternis, belebt von Wesen, deren Geschichten ich rastlos aufdecken würde. So schrieb er es in seiner Autobiografie. Aber zuerst musste ich mir den Täter vornehmen.

      Fünf Minuten vor dem Fristablauf begann sich der Platz zwischen den Säulen und Schlafkapseln zu füllen. Die Ermittler kamen von den oberen Ebenen und aus dem Durchgang zum Afrika-Turm. Mann flog gezogen von Bändern, Oda lief mit magnetischen Schuhen am Untergrund haftend. Vor allem die menschlichen Ermittler suchten die Nähe der Kapsel mit dem Hauptbeweisstück. Richard, der sich auf halber Höhe an einer Säule festhielt, von wo aus er einen guten Überblick hatte, sah sich nach jedem Neuankömmling um und verglich sie mit den Bildern der Passagierliste auf seinem Tablet. Jetzt fehlten nur noch drei: Gwendolyn Iden – sie hatte er vorhin im Afrika-Turm gesehen –, außerdem eine der PIs, eine recht menschenähnliche Maschine mit der Bezeichnung Division-By-Zero, deren Body-Kit schon lange keinen Wartungsassembler mehr gesehen hatte. Und Mike … Richard hatte erwartet, seinen Partner beim Spielen am Entertainmentsystem zu finden, aber dort war er nicht. Das positive Feedback, das er auffing, war nur eine Schleife, ein Fake, vermutlich vom Emo-Link selbst erzeugt, um sein Nervensystem vor dem Schaden durch den plötzlichen Ausfall des Feedbacks zu schützen. Das bedeutete, dass Mike irgendwann nach dem Auffinden der Pilotin beschädigt oder zerstört worden sein könnte. Vielleicht war die Antiope bereits im Müllschredder der Station gelandet. Der Stationscomputer hatte Richard für seine Suche zwar auch zu diesem Bereich Zugang gewährt, gab sich ansonsten aber verdächtig ahnungslos.

      Was geht hier vor?, fragte er sich. Als er den Laderaum der Vision untersucht hatte, hatte sich etwas zwischen den Koffern bewegt, und er hörte das Geräusch eines eilig hochgezogenen Reißverschlusses. Doch als er das Gepäck beiseitegeräumt hatte, fand er nur ein blaues Tierhaar.

      Richard starrte auf Konsdotters leblosen Körper. Das scheinbar positive Gefühlsfeedback hatte einen düsteren Beigeschmack bekommen, vergleichbar dem Zombieeffekt, der Menschen beim Anblick eines schlecht aufgezogenen PI-Gesichtes oder eines grotesken Bewegungsablaufes einer defekten Maschine schaudern ließ. Hier war es ein Zombiegefühl, das versuchte, positiv zu wirken, aber einfach nur schaurig war wie ein nicht enden wollendes Lachen.

       Es ist vorbei. Ich werde hier festsitzen, bis der Clipper mich auf dem Rückweg aufliest. Privatdetektiv, was für ein Witz!

      Die ursprünglich nervöse Chershi hatte ihre Füße unter die Haltestange an der Schlafkapsel geklemmt und las etwas auf der Anzeige ihres Coms. Sie wirkte nun gar nicht mehr nervös, sondern wie eine echte Ermittlerin. Er kannte den Blick: Sie hatte etwas Gutes. Sie drehte das Display, Die Antwort nickte, und die Gesichtsmuskeln der PI bewegten sich; unmöglich zu sagen, welches Gefühl sie ausdrückten. Mike wüsste es.

      »Noch zwei Minuten«, sagte Fischer und schleuderte ein leeres Getränketütchen wie einen Baseball zu einem Serviceroboter, der es auffing. »Müssen wir unsere Ergebnisse nacheinander vortragen? Das wäre unfair gegenüber denen, die anfangen müssen.«

      »Das denke ich nicht«, sagte Die Antwort.

      »Sondern?«

      »Das werden wir erfahren.« Oda zeigte sein überhebliches Lächeln, das Richard schon die ganze Zeit auf die Nerven ging.

      Fischer stieß einen Pfiff aus und hielt so den Roboter zurück. Er hob seine Hände.

      »Wirf!«

      Die Maschine gehorchte, und die Getränkepackung segelte durch den Raum. Der Sportler stieß sich ab, fing sie, drehte sich und feuerte sie mit Kraft zurück. Während sein Spiel Fahrt aufnahm, unterhielt sich Staroll leise mit ihrem Teamcaptain. Lobend drückte sie Turners Arm und lächelte. Auch sie wirkten zuversichtlich. JStar und UTurn, was für alberne Namen. Warum waren diese Spaßvögel überhaupt eingeladen worden? Verfügten sie auch über technische Expertenkenntnisse? E-Sport und die neu dazugekommenen V-Fight-Geschichten waren nie Richards Ding gewesen, auch wenn die Zuschauerzahlen bei Battle-for-Eternity-Turnieren mit denen bei Fußballspielen der Champions League mithalten konnten.

      Eine kleine Schwimmer-Drohne schwang sich an ihm vorbei. Wie ein Wasserkäfer mit den Extremitäten rudernd, schlüpfte sie zwischen die blühenden Pflanzen.

      Richard schaute zu Mann, der sich an der Säule gegenüber festhielt und sich nervös umblickte. Der Gutachter trug jetzt Magnetschuhe, dennoch brauchte er die Säule, um das Gleichgewicht zu halten. Wenigstens einer, der auch Probleme hat.

      Lautlos erschien das Hologramm von Lotte Konsdotter über der Kapsel. Die Reisenden unterbrachen ihre Gespräche, und die Getränketüte traf Fischers Kopf. Alle blickten nach oben.

      »Die Ermittlungen sind abgeschlossen, die Bewertungen getätigt«, sagte das Hologramm. »Beginnen wir: Oda Toshio. Bitte berichten Sie, was Sie über den Angriff herausgefunden haben.«

      Der geheimnisvolle Japaner hatte bisher auf einer der Kapseln gesessen, nun senkte er höflich den Kopf vor dem Hologramm und erhob sich entschlossen. Mit in den Taschen vergrabenen Händen und stechendem Blick schaute er in die Runde, bevor er begann:

      »Meiner Analyse nach fand der Angriff auf Konsdotter im Raumhafen statt, kurz vor oder während des Boardings der Grand Vision, also zwischen 10:13 Uhr und spätestens 10:36 Uhr. Konsdotters Kopf wurde mittels eines Wartungscodes geöffnet, der Kern wurde entnommen und mit großer Kraft gegen eine harte, glatte Oberfläche geschleudert. Anschließend legte der Täter den beschädigten Kern zurück und verbrachte den Roboterkörper zu einer Transportrakete, vermutlich einer Crane A, die für Notfall- und Rettungszwecke auf dem Raumhafen ständig einsatzbereit gehalten wird. Diese Rakete, die wir auch während des Transfers zum Clipper sahen, trug


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