Rosenegg. P.B.W. Klemann
und manchem Brustpanzer, da dachte ich ernstlich, mit solch einer Armee könne uns so leicht keiner was. Schließlich hatten wir eine Burg eingenommen, hatten tapfer gekämpft, uns im Kampfe bewährt, und das ohne solch prächtige Bewaffnung, die wir nun trugen. Unbesiegbar gar glaubte ich diesen Trupp, gefeit vor jedem Feinde. Welch Tor war ich doch damals! Fünfzig Mann eine Armee! Sollte ich doch später mit fünfzigtausend marschieren und schneller, als mir lieb war, lernen, dass unbesiegbar freilich keiner ist, kein Tilly und kein Wallenstein, ja nicht mal ein Gustav Adolf.
Ich selber ging in leichter Montur, war als Späher eingeteilt und trug nur meine Armbrust und mein Messer bei mir. In breiter Front positionierten wir uns dann im Wald, die größte Gruppe, unsere Kampftruppe, wie wir sie hießen, über zwanzig Mann, zumeist mit schwerer Muskete bewaffnet, verbarg sich hinter einer natürlichen Schanze, nah am Waldrand und nah an der Stelle, wo die Übergabe geplant war, um schnell eingreifen zu können. Zwei weitere Gruppen zu je zehn Mannen flankierten diese süd- und nördlicherseits, die auserkorenen Späher, ich darunter, kletterten auf ihre Bäume, die im weiten Kreis drumherum standen. Mein Baum, eine gut besteigbare Buche, stand weit an der linken Flanke, bot dennoch beste Sicht auf das Feld.
Es war noch lange hin bis zum Mittag, und ich versuchte, es mir bequem zu machen, legte meine Armbrust quer auf die Brust und beobachtete. Gespannt war ich freilich, doch kein Vergleich zu unserem Abenteuer auf dem Rosenegg. Ich fühlte mich sicher, schien mir das gefährliche Gebiet weit weg, musste ich die Augen zusammenkneifen, um unsere fünf Reiter auseinanderzuhalten, als diese auf das Feld ritten. Sie überquerten das Feld links der Marienkapelle und ritten weiter bis zum Waldrand, saßen dann ab und führten ihre Gäule am Zügel, sicher gedeckt von unseren Mannen, die verborgen lauerten. Warten hieß es nun, und das tat ich, spähte durch die Landschaft und viel zu regelmäßig auf die Sonne, die so richtig sich nicht bewegen wollte. Ich weiß noch, dass ich zwei Bussarde sah, mag es vielleicht auch ein Falke und ein Bussard gewesen sein, in jedem Falle jagten sich diese durch die Lüfte, waren bald verschwunden hinter dem Gebäum, dass ich nicht sehen konnte, welchen Ausgang der Kampf genommen, und ich gedachte bei mir, was wohl der Egon davon halten möge.
Meine Augen wurden mir schwer, und ich glaube, ich wäre fast eingeschlafen, als plötzlich das Zwitschern einer Amsel ertönte. Zuvorderst war ich mir nicht sicher, ob es nicht tatsächlich ein Vogel gewesen sei, dann aber entdeckte ich die Reiterschar genau auf der von mir am weitesten entfernten Seite des Feldes. Viele schienen sie nicht, etwas über zwanzig Mann schätzte ich, unsere Kameraden eingeschlossen, die ich an ihren hinter dem Rücken gebundenen Armen erkannte. Sie kamen über den gleichen Weg, über den der Hauptmann und Begleiter gekommen waren, und stellten sich nun linkerseits der kleinen Kapelle den Unseren gegenüber. Alles sah gut aus, zumindest das Wenige, das ich erkennen konnte, hatten sich die beiden Parteien im sicheren Abstand aufgestellt und schienen beide Seiten nun auf eine Reaktion der anderen zu warten. Ich weiß noch, wie ich mit beiden Händen meine Augen abschirmte, war es ein sonniger und warmer Tag gewesen, damit ich besser sehen konnte. Gebannt beobachtete ich das Geschehen und weiß nicht, wann mir das erneute Amselzwitschern bewusst wurde. Ich denke, es ging schon eine kleine Weile, und erst nach und nach drang es in meinen Geist vor, realisierte ich, dass es von den Unsrigen kam, und verwunderte, was selbiges wohl zu bedeuten habe. Noch in meiner Verwunderung kam der Schrei. Ich meine, der Volker Brand muss es gewesen sein, der plötzlich losbrüllte. Was genau er sagte, vermochte ich nicht zu hören, war die Entfernung doch zu weit, ein Wort allein verstand ich gut: Falle!
Kaum hatte er seine Warnung gebrüllt, schlug ihm einer seiner Bewacher mit Schwert oder Degen in den Nacken, beendete sein Leben mit einem Streich, und tot fiel jener vom Gaul. Ich sah noch die übrigen Gefangenen niedergehen, dann kam das erste Knallen der Musketen, sah die fünf Unseren in den Wald fliehen und einen Trupp des Gegenteils die Verfolgung aufnehmen. Auf dem Baum saß ich und glotzte dumm aus der Wäsche, hatte ich mich so töricht sicher gefühlt mit unserer Armee im Rücken und musste mir erst gewahr werden, dass es nun ums Leben ging. Da stieg ich vom Baum, so schnell ich konnte, war am weitesten südwärts, weswegen ich eiligst gen Norden durch den Wald eilte, einen der Unseren zu finden. Wir mussten uns sammeln und kämpfen, dachte ich, so sah es unser Plan auch vor. Richard Wengenroth war’s, den ich als Ersten fand, entdeckte ihn, als er von seinem Ausguck hinabkletterte und sich mächtig erschrak, als ich ihn anrief: Was ist nur passiert? Er wisse es nicht, gab er zurück, als er sich vom Schrecken erholt. Sie pfeifen von Westen. Teufel, ich glaub, sie ham uns aufgelauert!, meinte er voller Angst. Zusammen rannten wir durchs Geäst, hielten uns nordöstlich, weg vom Feld und doch Richtung unsere Freunde. Hin und wieder knallte eine Muskete, manchmal ganz in unserer Nähe, und wenn wir auch nie das Ziel waren, machten die Schüsse uns mächtig Beine, ließen uns zügigst durch den Wald jagen, unsereins zu finden. Wir waren schon ein gutes Stück vorangekommen, konnten unmöglich weit weg sein von der Position unserer Kampftruppe, da sah ich drei, vier Mann vor uns durch den Wald pirschen, gleichsam wie wir geduckt und vorsichtig. Unsrige, vermeinte ich sogleich und wollte sie eben anrufen, da packte mich Richard mit der Hand um den Mund und drückt mich zu Boden. ’S sind nicht die Unseren!, flüsterte er mir ins Ohr. Jetzt sah ich es auch. Trugen sie lange, weite Kettenhemden wie keiner von uns. Teufel, sie ham die anderen umstellt!, meinte Richard. Wir schlichen entgegen ihrem Laufweg weg, dass wir sie im Rücken hatten. Schlichen weiter, nun sehr vorsichtig.
Da knallte plötzlich eine ganze Musketensalve, hallte schrecklich laut durch den Wald. Sie kam aus der Richtung, in der ich unseren Kampftrupp vermutete. Wir hörten Schreie und Kampfeslärm, das Klirren von Waffen und sahen nun auch den Rauch der Musketen zwischen den Bäumen aufsteigen. Wir machten einen weiten Bogen, pressierten nun wieder, wollten wir doch den anderen zur Hilfe kommen. Doch kaum hatten wir die Richtung gewechselt zu den Unseren hin, entdeckten wir die ersten Gestalten durch den Wald rennen. Feinde waren es und nicht nur ein paar. Wir warfen uns zu Boden, schlichen unter ein Gestrüpp und spähten durch die Äste. Mit einem Male wimmelte es nur so vom Gegenteil, stoben sie hier und dort um die Bäume. Bewaffnete überall, und schon das Wenige, was ich sah, machte mir klar, dass sie uns an Zahl weit überlegen waren. Das Lärmen und Schreien nahm zu, und ich wollte weiterschleichen, konnte der Kampf nicht weit entfernt sein, doch Richard packte mich, sah mir eindringlich in die Augen und sagte: ’S hat keinen Zweck, müssen weg, es sind zu viele! Ich haderte, die Freunde im Stich zu lassen, sah aber gleichfalls keine Möglichkeit, unbeschadet zu ihnen zu gelangen, daher wir kehrtmachten und weg vom Geschehen uns davon machten, nicht ohne Scham, wie ich dir gern gestehe, lieber Leser.
Nachdem wir uns einiges Wegstück entfernt, die Kampfgeräusche kaum mehr zu hören waren, tat sich vor uns ein niedriger Hang auf, den wir leise hinabschlitterten. Kaum wieder erhoben, kaum ein paar Schritte gegangen, da tauchte ein Mann zu meiner Rechten auf. Ganz alleine stand er da, war offenbar von unserem Auftauchen so erschrocken wie ich von seinem und sollte sich vom Schrecken nimmermehr erholen, denn kaum hatte ich ihn bemerkt, hatte ich schon meine Armbrust abgedrückt. Hatte weder gezielt noch groß was dabei gedacht, hatte einfach abgedrückt. Der Bolzen traf ihn mittig in die Brust und warf ihn nach hinten um. Ich ging auf ihn zu, sah von oben herab in sein Gesicht, die großen Augen, der offene Mund. Nur wenige Jahre älter als ich dürfte er gewesen sein. Was hatte ihn nur dort hingeführt? Was hatte unsere Wege kreuzen lassen? Törichte Fragen! Mach fertig, mach fertig!, zischte Richard mir zu: Schnell! Ich zog mein Messer und kniete zu ihm, da drückte er sich mit den Beinen unbeholfen ab und rutschte über den Boden, als könne er so entkommen. Ich setzte ihm nach, setzte mich auf ihn. Er wehrte sich mit den Armen, versuchte mich von sich zu halten, doch war das Leben ihn bereits am Verlassen und kaum Kraft zur Wehr brachte er noch zustande. Ich drückte die Arme beiseite, war direkt über ihm, da stieß er einen letzten verzweifelten Schrei aus. Nicht laut, aber laut genug. Ich stieß zu, in seinen Hals. So nah war ich bei ihm, dass ich seinen Atem roch, sah in sein Gesicht, ganz nah, sah, wie es zu Ende ging.
Dies war der erste Mann, den ich je tötete, und noch heute sehe ich sein Antlitz vor mir. Viele Männer habe ich seither getötet, so viele, dass ich mich kaum der Hälfte erinnern kann, noch weiß, wie viele insgesamt. In aller Deutlichkeit hab ich nur den Ersten und den Letzten vor Augen. Beim Ersten reute es mich, beim Letzten nicht. Ist es nicht seltsam, dass gleiche Prinzipia für so vielerlei gilt, dass man des Anfangs und des Endes so deutlich gewahr ist, das Dazwischene aber zu verschwimmen neigt, als wären Anfang