Rosenegg. P.B.W. Klemann
schon zum Schusse bereit in unsere Richtung zielend. Wie versteinert stand ich da und glotzte dumm, sehe noch genau, wie der eine seinen Lauf direkt auf mich gerichtet hat, weiß, gleich kommt der Knall, gleich ist es vorbei, als just in diesem Augenblicke der arme Werner Linz sich vor mich stellt. Schrecklich knallte es aus den drei Feuerrohren, und die Kugel, die für mich bestimmt, schlug in Werners Rücken ein. Ich glaube kaum, dass er sich bewusst vor mich gestellt, denke eher, dass ihn das Pech genau in jenem Moment vor mich geleitet hatte, denn ich sehe noch sein verdutztes Antlitz vor mir, als die Kugel ihn trifft, stand er doch mit dem Rücken zum Schützen. Sei es nun so oder auch anders, in jedem Falle hat sein Tod mir mein Leben salviert, und gedankt sei ihm hierfür und eine fröhliche Auferstehung gewünscht.
Die Kugel jedenfalls schlug mächtig in seinen Rücken ein und ließ uns beide übereinander zu Boden stürzen. Ich drückte den Werner von mir runter und sah sogleich an seinen offenen, verdrehten Augen, dass er tot war. Die anderen stürmten indessen zum Kampf, sah ich den Wagner den ersten Feind gleich mit der Pistole legen. Die zwei Übrigen hatten mit so beherztem Angriff nicht gerechnet, versuchten nun zu fliehen. Weit kamen sie nicht, wurden bald eingeholt, und ich sah den Bastian dem einen mit seinem langen Schwerte in den Rücken schlagen, den anderen legten die Witwe und Jakob gemeinsam. Doch schon hörte man vom Tal aus Rufe der alarmierten Schergen. Eile war geboten. Zu den Pferden!, befahl der Wagner nun. Ich packte Andreas, der über seinen Bruder sich geworfen hatte, bitterlich weinte und seinen Namen rief, zog ihn hoch auf die Beine, denn zum Trauern verblieb keine Zeit.
Wir rannten, so schnell die Beine uns trugen, kamen unbeschadet zu den Pferden, die, dem Herrn sei Dank, unentdeckt geblieben. Sechs Pferde waren es und fünf Maultiere, die zur Flucht gesattelt bereitstanden. Jeder schnappte sich ein Tier, auch die beiden übrigen Tiere führten wir mit und nahmen Reißaus. Ich war damals noch kein guter Reiter und hatte arge Mühe mit dem Maultier, das mir zugewiesen wurde, doch stellte sich uns niemand mehr in den Weg, und so verabschiedeten wir uns von unserem trauten Heim und Wald und unseren Freunden, brachen auf in ungewisse Zukunft. Nur neun Mann und die Witwe waren übrig von jener einst so prächtigen Räuberbande, und hart sollten die nächsten Monate und Jahre werden, waren wir unserem Heim, unserer meisten Habe und dem ganzen Reichtum verlustig geworden, zogen rastlos von einem Ort zum nächsten.
Kunde eines weitgereisten und viel bewanderten bayrischen Kuriers, samt omatischer Prophezeiung
Trostlos habe ich die nächsten Jahre in Erinnerung, unstet war unser Leben, zogen wir von hier nach dort, fanden keine feste Bleibe, zogen in Sorge vor den Schergen weit weg von unserer einstigen Heimat, über Stockach nach Tuttlingen, wo die Fürstenberger herrschten, weiter den Neckar entlang, über Sulz und Horb, bis ins schöne Tübingen. Dort blieben wir zwei, drei Wochen lang, machten guten Raub, ist es doch eine belebte Gegend mit viel Handel, aber auch mit vielen Schergen und großer Stadtwacht, welche uns bald auf die Schliche kam und durch die Wälder jagte, dass der Wagner endlich beschloss, noch weiter gen Norden sei zu ziehen. Notfalls, so sich keine günstige Gelegenheit oder Lokalität auftäte, wolle er bis hoch nach Bremen weiter, seiner einstigen Heimat, wo er, so nicht allesamt verstorben wären, noch Verwandtschaft zu haben glaubte. Wir anderen folgten ihm, hatte doch keiner eine Idee, was sonst mit sich anzufangen, war uns die Heimat verloren, daher jeder Ort so gut wie der nächste. Und so marschierten wir immer weiter gen Norden über Herrenberg und Stuetgart, diese prächtige Wehrstadt, weiter nach Heilbronn und endlich bis Würzburg. Mehr schlecht als recht lebten wir, mussten oft hungern, vor allem in den Wintern. Düstere Miene hatten wir alle auf, kann ich mich kaum an schöne, sorglose Zeiten erinnern, trauerten wir alle um des Verlorenen.
Oft gedachte ich der kleinen Klara, die ich so unredlich im Stich gelassen hatte, war ihr nunmehr wirklich fern. Immer wieder im Laufe meines Räuberdaseins hatte ich mir gesagt, bald gehe ich sie besuchen und sehe nach ihr, bald hole ich sie ab und nehme sie mit in den Wald. Geschieht es nicht heute, so eben morgen, wenn nicht in diesem Jahre, so eben im nächsten, et cetera. Vertröstet hatte ich mich stets damit, dass sie es bei den Amanns gewiss besser habe, dass der Wald kein Ort sei für ein kleines Mädel, doch nur schwerlich kann ich leugnen, ihr nicht einmal ein Lebenszeichen meinerseits geschickt zu haben. Ja, versteckt tief in meinem Hinterstübchen hatte ich sie, versuchte ihr so wenig als möglich zu gedenken, und wanderten meine Gedanken doch mal zu ihr, spukten stets die Geister von Mutter und Vater ganz in der Nähe. Ausreden sind es, mehr nicht, ich weiß es wohl, denn zurückgelassen habe ich sie, zurückgelassen ganz allein das kleine Ding, und schämen tu ich mich dafür bis heute.
Viel jagen ging ich mit dem Andreas, auch Bastian begleitete uns oft, mühten wir uns Ersteren aufzuheitern, denn der Tod des Bruders machte ihm arg zu schaffen. Nun erst lernte ich ihn wirklich kennen, hatte ich ihn bereits zuvor geschätzt und reichlich Zeit mit den Gebrüdern auf Jagd verbracht, war der Jüngere der Linzer mir dennoch stets verschlossen geblieben, redete er wenig, zumindest mit den meisten, und hielt sich außer zum Bruder distanziert. Nunmehr änderte es sich nach und nach und notgedrungen, was auch an meinem Bemühen lag, denn ich fühlte mich schuldig ob des Opfers seines Bruders, und gute Freunde wurden wir schließlich, sah man in Folge ihn und mich und Bastian stets beisammen. Zwei Parteien bildeten sich nämlich in dieser Zeit in unserer kleinen Gruppe, wir drei Jungen, der Bastian, Andreas und ich, zusammen mit dem alten Egon auf der einen Seite, die Älteren, der Friedrich, Jakob und Korporal Schuhmann, zusammen mit dem Amon, der zwar kaum älter war als wir, sich aber stets für mehr hielt als unsereins, auf der anderen Seite. Der Hauptmann agierte weiterhin als unangefochtener Anführer, während die Witwe, ähnlich wie schon im Hegau, ein Neutrum darstellte, das keinem unterstand und dem keiner etwas vorschrieb, höchstens der Wagner, dem sie das Bett wärmte. Uns Jungen war dafür viel und oft Befehl erteilt, bürdeten die Älteren uns jene Aufgaben auf, auf welche sie selber nicht lustig waren, sie für unter ihrer Würde hielten, und oft gab es Zank und Ärger.
So schickten sie uns etwa aus zum Hühnerklauen oder Gänse, Getreide und andere Feldfrucht stehlen, und wir, die wir uns für redliche Räuber hielten, wurden degradiert zu Hühner- und Strauchdieben. Wie nützlich es mir einstmals werden sollte, so trefflicher Hühnerdieb zu sein, denn ich konnte mit Schnappsack und Stecken umgehen wie kein Zweiter, sammelte das Federvieh, wie andere Leute Äpfel vom Baume pflücken, wär mir zu jener Zeit wohl niemals in den Sinn gekommen, denn von meiner Zukunft spukten in meinem Kopfe die wunderlichsten Grillen; sah ich mich bereits als ritterlichen Soldateska und tapferen Krieger, der ruhmreich kämpft und kriegt, dem seine Fürsten danken und lohnen, der sich Geld und Ruhm und Ehren verdienen würde, als künftiger Leutnant oder Hauptmann, als Obristen oder gar als General. Wie fern der Wahrheit sind doch die kindlichen Träume, stehen sie geschrieben in weißem Märchenbuch, zeigen einen bald als tollkühnen Helden, bald als reichen Prinzen, bald als Herrscher über alle Lande, und holt die Zukunft dich dann ein, bist nichts als ein armer Tropf, der nichts zu beißen hat und nichts zu saufen, der umgeben ist von Kälte, Krankheit und Tod. Doch genug des Trübsals, zumindest für hier!
Auch fürderhin gingen wir dem rechten Räuberhandwerk nach, überfielen unvorsichtige Bauern und Händler, so wir welche fanden, verfuhren hart mit ihnen, nahmen ihnen alles, was wir tragen konnten. Doch schwer ist es zu rauben in Gegenden, die dir kaum bekannt sind, und nur selten erwischten wir gute Beute, und ein ums andere Mal mussten wir unverrichteter Dinge türmen, da plötzlich Schergen oder Fremde auftauchten. Häufig mussten wir hart kämpfen mit den Beraubten, mussten gar drei Male einen niederhauen, was zuvor im Hegau niemals geschehen. Das eine Mal, ich entsinne mich noch gut, erwischten wir eine Gruppe von Händlern, welche derartig sich zur Wehr setzten, dass wir uns endlich retirieren mussten, und das Einzige, was wir ergattert, die ein oder andere Beule und der ein oder andere blaue Fleck waren. All jenes, was uns in den Hegauer Landen so leicht gefallen, so prächtig gelungen war, schien nunmehr schwer und mühsam.
Schwer war es zu handeln, zumal wir keine vertrauten Leute mehr hatten, um unser Ergaunertes zu anständigen Preisen feilzubieten, stritten wir uns viel mit örtlichen Händlern, die uns Spottpreise boten, wurden oftmals beschimpft als Gauner und