Rosenegg. P.B.W. Klemann
breit kein Werber zu finden, so sehr wir auch suchten und uns umhörten. Kaum verwunderlich also, dass, als uns die Gelegenheit gegeben wurde und günstig schien, wir einheitlich befürworteten, uns aus Würzburg zu trollen.
Und die Gelegenheit kam mit großem Aufmarsch und reichlich Tamtam, als nämlich Anfang des Septembers die heiligen Reichskleinodien aus Nürnberg nach Frankfurt überführt werden sollten, denn, wie wir ungefähr zur selben Zeit Zeitung erhielten, hatte der Ferdinand seinen ersten Schritt getan und war zum Kaiser erwählt worden, ganz wie der Kurier uns damals prophezeit hatte. Somit galt es nun, alles vorzubereiten zu großem Gelage und Festivität, der Kaiserkrönung selbst. Und indessen hiesigen Ortes die Kaiserkrone an Habsburg versprochen wurde, war andernorts nur just einen Tag zuvor, dem siebenundzwanzigsten des August anno 1619 nämlich, die Wenzelskrone einem andern Tölpel zugesagt worden, wurde dergestalt also hier wie dort der Grundstein gelegt für viele Jahre Leid und Krieg. Denn auf dem Hradschin zu Prag, tausend Meilen weg, sollte der dümmliche Arschlecker und Prahlhans, Friedrich Kurfürst der Pfalz und baldiger Winterkönig, die Wenzelskrone sich aufs Haupte setzen lassen, geschah also, was keiner vorhergesehen oder erwartet, und ich gedachte, freilich viel später erst, als jene Causa uns zu Ohren gekommen, wiederum der Worte jenes redseligen Kuriers, dass keiner dumm genug sein könne, sich derlei aufzubürden. Ja, unterschätze nie des Menschen Dummheit, lieber Leser, denn wie heißt es so treffend: “Suchst ’nen Dummen, wirst ihn finden!”
Halt, halt, mag nun mancher Leser intervenieren, mag sich denken, vor allem so er ein Reformer oder Evangele ist, es sei doch nicht der achtundzwanzigste gewesen beziehungsweise nicht der siebenundzwanzigste, an welchen Dati die besagten Herren zu Königen gewählt worden waren, sondern jenes sei geschehen zehn Tage zuvor. Geschenkt seien sie, die zehn Tage, dir, von mir aus gern. Ich aber, bin doch schließlich Mönch, zum Teufel!, halte mich an den Kalender des guten Gregor, muss mir hier schon ständig von Bruder Martin predigen lassen, dem lieben Klugscheißer, dass solches das bessere und richtigere und einfach vernünftigere Calendarium sei, werde somit auch im weiteren Verlaufe an dessen Ordnung mich halten, und so es dir nicht passe, ziehe doch schlicht die zehn an Tagen ab.
Bastian und ich jedenfalls waren gerade am Misten eines Stalls nahe dem südlichen Stadttor, als die Delegation die Stadt erreichte, mit Pauken und Trompeten kamen sie zu großer Zahl, mögen es knapp tausend Mann gewesen sein, viele davon Gardisten, alle gleich bekleidet und prächtig gerüstet, dazu einiges an Wagen und Kutschen, in welchen sich die Kleinodien befanden, gab es eine ganz besonders verzierte Kutsche, ganz mit Gold und Silber geschmückt und leuchtend rotem Tuch überzogen. Was meinst, ist alles dort drinnen?, frage mich Andreas, der draußen die Pferde gewaschen und gestriegelt hatte und nun neben mir und Bastian stand, dem Umzug zuzuschauen. Ich zuckte mit den Schultern. Vielleicht ist die heilige Lanze darinnen, meinte ich hoffnungsvoll, hatte Vater mir einst davon erzählt, vom mächtigsten der heiligen Insignien mit der Spitze jener Lanze in ihm, die unsern Herrn Jesus am Kreuze gestochen. “Einer der Soldaten stieß mit einer Lanze in seine Seite, und sogleich lief Blut und Wasser heraus”, wie es beim Johannes steht geschrieben. Getränkt vom heiligen Blute Jesus also, was ihr den Zauber verleiht. Unbesiegbar mache sie seinen Träger, so heißt es, und ich weiß noch, wie ich Vater frug, wieso der Kaiser selbige nicht stets mit sich führte? Und er antwortete, dass der Kirche Gier, was Reliquien anbelange, gar größer noch sei als ihre Gier nach Land und Reichtum, so groß, dass selbst ein Kaiser nicht nach Gutdünken über sie verfügen könne. Die größten Schätze der Christenheit würden sie verborgen und verwahrt halten in tiefen Gemäuern und Kammern, die meisten freilich im fernen Rom unter dem Hügel des Vatikan, wo doch die ganze Christenheit ein Anrecht darauf habe, der wundersamen Wirkungen jener Schätze teilhaftig zu werden. Und in meinem Geiste ersann ich manche Grille vom gierigen goldbehangenen Papste, der auf einem gigantischen Berg von Gold und Reliquien und anderen Heiligtümern sitzt, gleich dem Drachen Fafnir seine Schätze bewacht, und gnade Gott, wer seinen Hort betrete.
Am Mittag trafen wir uns mit den Kameraden und redeten sogleich über die Kleinodien und die Krönung. Ah, was Fest müsse es werden, schwärmte der Jakob, habe er mit einigen der Gardisten gesprochen, die ihm nur die wunderbarsten Historien berichtet, von Wein, den man allerorts frei ausgeschenkt bekomme, von trefflichen Speisen, die umsonst serviert würden, von Musik und Tanz, eine Festlichkeit, wie man seit Menschengedenken nicht gesehen habe. Ja warum gehen wir nicht?, fragte darauf die Witwe, und wir sahen uns an und nickten. Bei einem solchen Aufmarsch von reichem Volke sei sicherlich gut Beute machen, vermeinte auch der Amon. Und ich würd gern die Kleinodien sehen und den Kaiser!, stimmte Egon bei. Potz Teufel! Ich auch! Und denkt an das Gelage, wenn die feinen Herren zugegen sind!, sagte Bastian. Wir alle sahen gebannt zum Wagner, seine Entscheidung abwartend. Teufel, was soll’s! Besser als uns hier den Buckel zu krümmen. Und so war es beschlossen.
Noch am selbigen Abend sahen wir uns nach einer Möglichkeit um, nach Frankfurt zu reisen, wollten wir in jedem Falle vor den Kleinodien dort ankommen. Weil wir so klamm bei Kasse waren, verdingten wir uns als Geleitschutz bei einer Händlerkolonne, deren Ziel dem unsrigen entsprach. Der Anführer verwunderte sich zwar, dass wir die Witwe mitnahmen, bei dem Wenigen, was er uns zahlte, ließ er es sich aber gefallen, zumal noch genügend Platz auf den Wagen vorhanden war. Edle Waren hatten diese geladen, guter Tobak aus der Neuen Welt, ferner kostbare Gewürze aus dem Morgenland, feines Salz, am wertvollsten aber waren die teuren Farbstoffe, wie Indigo und Purpur und Karmin, welche sie in kleinen, hölzernen Kisten ordentlich verpackt transportierten. Gutes Geschäft erwarteten sie sich in Frankfurt, zumal die Stadt aus allen Nähten platze, das edelste und mächtigste und reichste Volk aus allen deutschen Landen anzutreffen sei. Jakob war der Name des Anführers, gleich unserem Kameraden, ein älterer, stattlicher Herr war er, kraushaarig und kräftig. Judith hieß seine Frau, die neben ihm den Kutschbock des Wagens bezog, der an der Spitze der Kolonne aus fünf Wagen fuhr, während fünf von uns, der Hauptmann und die Witwe, Bastian, Andreas und ich, hinten auf dem Wagen saßen. Korporal Schuhmann, Amon, Jakob und Friedrich saßen auf dem hintersten.
Nette Leute waren es, so hatte ich zumindest Eindruck, erzählte mir der Jakob auf dem Wege viel vom Handel und wo er schon überall gewesen, hatte er die freien Hollande besucht, war gar bis nach Skandinavia gereist, bei nordischen Völkern, den Schweden und den Finnen, ferner in Polen und Schlesien, ferner was, wo, wie und wann zu kaufen sei, erklärte er mir freudig und gern, war die Kunst des Handelns sein ganzes Denken. Die Schätze der Neuen Welt seien auf dem Vormarsch, hier könne man richtig Geld verdienen, vermeinte er, und ich frug: Gold und Silber? Da lachte er und vermeinte, dass mit Gold und Silber nicht gut handeln sei, zumindest nicht für seinesgleichen, womit er wohl die kleineren Händler meinte, denn zu viele Halsabschneider und Gauner gäbe es, die derlei Ware allzu gern in die Finger bekämen. Nein, die anderen Schätze meine er, den Tobak zum Beispiel; könne er kaum je so viel davon kaufen, wie er verkaufen könnte, sei das Tobaktrinken doch groß in Mode, ferner den süßen Zucker, das fürstlichste aller Gewürze, fein und gut für die Gesundheit, ferner die guten Feldfrüchte, der Mais etwa oder der Erdapfel. Unter Letzterem meinte ich, mir gut was imaginieren zu können, gedachte in meiner kindischen Einfalt, es müsse freilich eine Frucht sein, gleich dem Apfel oder der Birne, die unter der Erde wachse, süß und saftig, und erst viel später hier im Kloster konnte ich sie einmal kosten, ist es mehr mehlige Knolle denn Frucht, aber von gutem Ertrag und schmackhaft in der Suppe. Ersteres allerdings war mir ein Rätsel, frug ich ihn, was denn Mais genau für ein Ding sei? Doch zu mirakulös erschien mir seine Erklärung. Eine kräftige, gute Pflanze sei es, von hohem Wuchs trage sie eine prächtige Feldfrucht, ähnlich dem Weizen, nur um ein Vielfaches größer und ergiebiger sei sie, lasse sich daraus gutes Mehl machen, sei sie zudem auch ungemahlen gut genießbar, gleich, ob gekocht oder roh, süß und herzhaft sei der Mais. Einen rechten Bären hat jener mir damals aufgebunden, denke ich heute darüber nach, würde ein derartig zauberhaftes Gewächs doch bald in jedem Garten wuchern. Doch einerlei, denn ich lauschte gern seinen Ausführungen, und so verbrachten wir beiden die meiste Zeit des Weges unterhaltend. Er schwatzend, ich lauschend. Freundlich waren sie zu uns, und auch wenn sie knauserig waren, was unseren Lohn anging, waren sie spendabel, was die Verpflegung betraf, teilten mit uns großzügig das Mittagsbrot, mit gutem, weißem Brot, mit Wurst und Käse und sogar gesalzener Butter, und verteilten einen Honigkuchen, den seine Frau gebacken.
Nach Aschaffenburg