Rosenegg. P.B.W. Klemann
Händler nicht weit weg an ihrem saßen. Und dort erfuhr ich von der anderen Plan, die Händler zu überfallen, in selbiger Nacht noch oder im frühen Morgengrauen. Ich frug, wieso wir sie denn überfallen müssten? Und weiß noch, dass ich etwas sagte wie: ’S sind doch gute Leut. Da spottete gleich der Amon: So, so, gute Leut sind’s also. Da wissen wir ja, was du für einer bist. Ich verstand nicht recht, was er meinte, und frug daher, was ich denn wohl für einer sei? Na, ein Judenfreund bist du oder gar selber einer! Da runzelte ich die Stirn: Juden sind sie? Freilich, vermeinten die anderen darauf, ob ich denn nichts bemerkt habe?, fragten sie, was ich verneinte. Hast nicht die wunderlichen Worte gehört, die sie manchmal sprechen?, fragte der Friedrich: Die Art, wie sie reden? Ferner ihr Schmuck, den sie tragen, die Ketten und Ringe? Außer Frage stehe, dass jene Juden seien. Da nickte ich bloß, als verstünde ich, und hielt fortan mein Maul und lauschte ihren Plänen, denn in Wahrheit war mir niemals zuvor ein Jude über den Weg gelaufen, bestand mein ganzes Wissen über sie aus der Bibel und Geschwätz.
Früh am Morgen wurde ich geweckt, die Sonne war kaum zu sehen, und dunkel war es. Leise machten wir uns daran, unser Lager aufzuräumen, packten alles zusammen, mit Obacht die Händler nicht zu wecken, welche in ihren Wagen schliefen. Als wir fertig angekleidet waren, bewaffneten wir uns, hatten wir zwar die meisten guten Waffen verkauft, doch besaßen wir alle noch unsere Beile oder Äxte, die für den Räubersmann so unerlässlich sind, denn schwer lassen sich Holz hacken und Bäume fällen, schwer Gruben heben und Stöcke schnitzen mit Säbel oder Degen, ja selbst als Soldat kann ich dir sagen, dass ein gutes Beil und scharfes Messer wichtiger sind als jedes Schwert. So standen wir jedenfalls da in Reihe, jeder sein Beil in der Hand, der Wagner seinen edlen Degen, als selbiger mit einem Nicken uns das Zeichen gab loszulegen. Dann wurde gebrüllt und die Wagen gestürmt. Aufstehen und raus mit euch!, befahlen wir, packten die Schlaftrunkenen und stellten sie in die kalte Morgenluft einen zum anderen, brüllten sie an und drohten. Sie zogen grimmige Gesichter, hatten bald verstanden, wie der Hahn krähte, und einige schimpften uns räudige Gauner und ehrlose Schurken. Jakob sprach kein Wort, hielt nur den Arm schützend um seine Judith. Wir machten uns ans Visitieren, machten es mit unserer reichlichen Erfahrung, kannten die guten und üblichen Verstecke, unter dem Kutschbock oder in dessen Futter, unter den Wagendielen oder über den Achsen, und passable Beute machten wir, brachten einiges an Gulden und Talern zum Vorschein. Dann fledderten wir die Händler, nahmen uns einen nach dem anderen vor, nahmen ihnen alles an Schmuck und Münzen, was sie am Leibe trugen. Als Judith an der Reihe war, was Amon übernahm, regte sich der Jakob zum ersten Mal und befahl, die Finger von ihr zu lassen. Glaubst, ich vögl so ’ne hässlich alte Jud? Aber ich schlitz ihr gern die Kehle auf, wenn noch mal dumm daherkommst!, drohte Amon und hielt ihr seinen Dolch an die Kehle, dass Jakob ganz bleich wurde und sein Maul geschlossen hielt. Amon visitierte sie besonders gründlich, nahm ihr eine schöne Kette ab. Als er an die Hände kam, fragte er: Wo ist der Ring? Ich wusste sogleich, was er meinte, hatte Judith zuvor einen auffälligen Silberring getragen, der eine würfelförmige Silberarbeit, einer Truhe oder einem kleinen Haus nachempfunden, oben aufgesetzt hatte. Beide schwiegen. Wo ist der Ring, sag ich?, wiederholte Amon, hieb dann plötzlich aus und schlug dem Jakob kräftig ins Gesicht, dass dieser zu Boden ging. Im ersten Augenblicke glaubte ich, er habe ihn mit dem Dolch niedergestreckt, doch hatte er Jakob mit der den Griff umklammernden Faust getroffen. Judith beugte sich zu ihrem Mann und jammerte, da sah ich auf dem Boden silbernes Funkeln, den Ring, wie ich erkannte. Ich tat ein paar Schritte vor und stellte meinen Fuß darauf. Ich glaube, Judith hat es gesehen, doch sicher bin ich nicht, ist es letztlich auch einerlei. Amon setzte nach und drohte, bis endlich der Hauptmann intervenierte: Genug sei es!, orderte er streng. Da spuckte Amon zum Abschied noch auf den liegenden Jakob, und der Egon tat es ihm gleich, und manch anderer vielleicht auch, und wir zogen ab auf den geraubten Gäulen. Immerhin hatten wir ihnen ihre Waren und Wagen gelassen, vermeinte der Wagner nämlich, solches zu versilbern sei zu aufwendig, mag ihn vielleicht das Gewissen ein wenig gezwickt haben. Und ja, ich geb’s gern zu, lieber Leser, auch mir taten sie leid, die Juden, denn leichter ist zu rauben, wen du noch nie zuvor gesehen, mit dem du nicht Speis und Trank geteilt hast, und ich schämte mich ob des Geschehenen, obzwar und auch obwohl sie freilich Juden waren.
Ihr Pech, wie es ja so heißt, war allerdings fraglos unser Glück, denn schön gefüllt waren nunmehr unsere Beutel, und anständig beritten konnten wir unseren Weg fortsetzen und gelangten dergestalt gut ausgestattet nach Frankfurt zur römisch-deutschen Kaiserkrönung, ein Erlebnis, lieber Leser, das ich dir, ich mir, ja ich der ganzen guten Welt zu erleben wünsche. Denn jene himmlischen Vergnügungen – ist “himmlisch” wohl unpässliches Adjectivum, waren es vielmehr sodomsche und gomorrhische Freuden und Gelüste, welchen hier in aller Freiheit nachgegangen wurde – mögen der guten christlichen Seele des einen oder anderen manchen Flecken beschert haben, gleichzeitig aber zaubert mir die bloße Erinnerung daran bis heute ein Lächeln ins Gesicht, doch hiervon später mehr.
Im frühen September, den sechsten oder siebten vielleicht, kamen wir an, gedachten in der Stadt Unterkunft suchen, doch wurden wir sogleich harsch abgewiesen, und kein Torgeld vermochte uns Einlass verschaffen. Nur mit Passbrief könne man passieren, vermeinte die Torwache, uns mit einem Blick bemessend, der dem räudigsten Köter hätte gelten mögen. Wir probierten es noch an einem anderen Tor mit gleichem Ausgang, beschlossen daher, erstmals Quartier zu suchen, welches sich allerdings als ebenso schwierig erwies bei dem ganzen angereisten Volk, dass wir endlich weit außerhalb, zwischen Frankfurt und Offenbach, mit einer kleinen Herberge vorlieb nehmen mussten und selbst dort noch Wucherpreis bezahlten. Dafür besaß jene einen großen, guten Stall, wo wir die ganzen neuen Gäule unterbringen konnten, die wir den Juden geraubt, warme Zimmer mit nur leicht wanzigen Betten, war der Besitzer zudem ein trefflicher Gauner und Halunke, Hans Blocher mit Namen, mit dem sich gleich gut verstehen ließ, konnten wir ihm obendrauf die überflüssigen Pferde als Zahlung überlassen.
Von selbigem ließen wir uns auch unterrichten und belehren, welcher Gestalt die Situation in Frankfurt sei, meinte dieser sogleich, dass er uns einen ordentlichen Passbrief besorgen könne ohne großen Aufsehens, empfahl uns allerdings, doch etwas schlichter uns zu kleiden, im schlichten Mantel, braun oder schwarz, mit holländischem Hut und weißem Kragen, wie man in Frankfurt trage. Mit solcher Tracht, die ihr da traget, hängen sie euch alsbald den Stein um den Hals!, vermeinte er warnend, zumal es in der Stadt nur so von Schergen und Bütteln wimmle. Ferner ließen wir uns unterrichten, wie es um den Kurtag stand. Gedauert hat’s. Haben gar die Stadt ’ne Woche oder mehr verschlossen und keinen rein- noch rausgelassen. Ward jeden Tag Session gehalten und viel verhandelt und mehr noch gemauschelt. Aber endlich haben sie doch den Habsburger gewählt, wen verwundert’s?, berichtete er. Sei das Volk allerdings nicht sonderlich glücklich über den Entscheid, seien im Großteil Lutheraner in Frankfurt, und schon beim Einmarsch des Habsburgers habe es Schimpfreden und etliches Geschrei gegeben, und gut habe der künftige Kaiser daran getan, meistenteils nicht in Frankfurt selber zu residieren, sondern in den Umlanden sich die Zeit beim fröhlichen Jagdgelage zu vertreiben. Nun warte man nur noch auf die Kleinodien, dann könne die Festivität beginnen, worauf wir ihm zu erzählen wussten, dass diese baldigst da sein müssten, waren sie schließlich kurz nach uns aus Würzburg aufgebrochen. Werde mir den Spaß wohl auch gönnen!, vermeinte der Blocher, denn ein solches Fest dürfe man sich nicht entgehen lassen, erlebe man lebtags nur das eine Mal, und machte uns mit seinen Ausführungen mehr noch als ohne schon das Maul gut wässrig.
Ferner machten wir uns kundig über die Stadt, wo es gute Schänken gäbe und Wirtshäuser und die besten Freudenhäuser, wobei er bei letzterer Materia vermeinte, die ganze Stadt sei eine einzige Kupplerhütte. Von weit her, aus Mannheim, Mainz und Darmstadt, aus Koblenz, Gießen und Aschaffenburg hätten sie die Huren in ganzen Scharen hergeschafft, so erzählte er fröhlich, hätten sie gleich Rinder- oder Schafsherden in die Stadt getrieben, die Kuppler ihre Hirte. Wir gaben ihm Auftrag, den Passbrief zu besorgen wie uns mit notwendiger Kleidung zu versehen, wenngleich so günstig wie möglich, worauf er vermeinte, die Hüte könne er uns wohl zur Leihung besorgen. Beides sei bereit zum nächsten Tage, ließen wir es daher für jenen Tag gut sein und uns bewirten von unserem Gastgeber. Eine junge Frau hatte dieser zum Weibe – mag sie kaum die zwanzig Jahre gezählt haben, indes sein Haar schon längst ergraut war –, die er mächtig scheuchte und drillte, zu putzen und zu waschen und zu kochen,