Rosenegg. P.B.W. Klemann
heranzulassen, doch als wir das letzte Stück des Weges gingen, gerade auf das Burgtor zu, füllte sich mein Maul, das zuvor ganz ausgetrocknet gewesen, als sei ich am Verdursten, mit einem Mal mit Speichel, dass ich besorgte, ich müsse speien.
Seltsam sind sie, die Reaktionen des Körpers, sei doch der Geist Herr über das Fleisch, und dennoch kommt es zu solcher Wirkung, deren Ursache man nicht zu steuern vermag. Auch später noch im Krieg war dies steter Usus bei mir, ging es an eine Schlacht oder Scharmützel, ging es ans richtige Kämpfen, wurde mein Maul zuerst trocken, dass ich kaum schlucken konnte, wonach plötzlich mir das Wasser in Strömen zusammenlief, dass ich glaubte, bald spucken zu müssen, und nicht selten musste ich tatsächlich würgen.
Hier jedenfalls schaffte ich, dem Drang zu widerstehen, als wir auf die zwei Wachen zugingen, die uns am Tor, mit Hellebarden bewaffnet, erwarteten und unser Begehr erfragten. Gute Waren anzubieten sei unser Begehr, sprach der Wagner mit so freundlicher und ruhiger Stimme, dass ich staunte. War meine Kehle doch derart zugeschnürt, dass ich kaum ein Wort über meine Lippen zu bringen vermeinte und nur betreten zu Boden schaute. Gute Stoffe hätten wir dabei, aus Holland und Spanien, wobei er die Plane des Wagens anhob, um eine Rolle roten Stoffes aus Spanien zu zeigen, die wir zuoberst platziert. Von feinster Qualität sei alles und noch einiges Lohnenswertes mehr hätten wir zu bieten, pries er weiter mit jener hochtrabenden Stimme, welche den guten Händlern so eigen. Kaltes Blut nannten wir später im Kriege jene Eigenschaft, die nur eine spezielle Gattung des Menschen innehat, sie befähigt, in extremen Situationen kühl und überlegt zu handeln. Wagner war ein solch seltener Menschenschlag, und hier zeugte er davon, spielte die Händlerrolle mit solchem Selbstverständnis, dass kein Zweifel aufkam.
Der Hofmeister wurde gerufen und geleitete uns durch die Vorburg, vorbei an den Stallungen und einer kleinen Kapelle, über eine zweite Zugbrücke, die zur Hauptburg führte. Im Zwinger befanden wir uns nun, und was Gefühl mich hier überkam, als zu beiden Seiten hoch die Wehrmauern ragten, lässt sich wohl nur mit dem vor einer Schlacht vergleichen, wusste ich doch, dass es jetzt kein Zurück mehr geben konnte. Unauffällig versuchte ich zu erspähen, wo der geheime Zugang sich befände, entdeckte ganz im hintersten Winkel des Zwingers gemeldete Stallung und vermeinte, hinter den losen Brettern, etwas zu erspähen, was einer Pforte glich. Dort musste er sein, gedachte ich bei mir, und stellte mir vor, wie gleich dahinter meine Kameraden kampfbereit auf der Lauer lagen. Weiter geleitete uns der Hofmeister durch das innere Burgtor in den Burghof, wo linkerseits von uns der Palas und das Zeughaus lagen und rechterseits das Wachhaus und der Bergfried sich befanden. Er werde nun die Herrschaften informieren, kündigte der Hofmeister an. Einiges Gesinde war bereits aus dem Palas und andernorts hergekommen, zu sehen, was vor sich ging. Freilich, freilich, sagte der Wagner zum Hofmeister, und als dieser sich umdrehte und in Richtung Bergfried lief, ging der Hauptmann in aller Ruhe zum Wagen, griff nach seiner versteckten Pistole und schoss dem Hofmeister in einer fließenden Bewegung in den Rücken.
Der laute Knall riss mich aus meinem apathischen Zustand, in dem ich gewesen, machte meinen Kopf mit einem Male klar. An die Waffen!, brüllte der Hauptmann. Wir schnappten uns jeder seine Waffen. Ich meine Armbrust und meinen kurzen Spieß. Sah mich um. Der Schuss hatte das Gesinde flüchten lassen, sie stoben auseinander, zurück in den Palas und weg vom Hof. Warnrufe wurden gebrüllt: Räuber, Räuber! Schon kamen die zwei Knechte aus dem Torhaus, direkt neben uns, gleich den Torwachen mit Hellebarden bewaffnet. Den Ersten streckte der Wagner nieder, der seine Pistole bereits wieder geladen hatte. Den Zweiten erwischte einer der Armbrustbolzen, die die Jäger fast gleichzeitig verschossen. Zum Tor, haltet das Tor!, hieß nun das Kommando. Wir positionierten uns zu beiden Seiten je zu dritt. Der kräftige Siegfried hatte sich einige Holzkeile geschnappt, die er nun mit der großen Axt, die er sich zur Waffe gewählt, unter die Torflügel schlug, indem er sie verkehrt herum wie einen Hammer nutzte. Nun lauf!, rief der Wagner den Andreas an, der sogleich hinaus und aus unserer Sicht rannte.
Ich sehe noch die Witwe vor mir, mit ihrem wilden Blick, den kurzen Spieß in der Hand, bereit, ihn dem Nächsten in den Hals zu stoßen. Sehe den Wagner, wie er Befehle brüllt, indessen er Pistole und Degen führt. Den großen Siegfried mit seiner Axt, den Werner mit seiner Armbrust. Das Tor galt es zu halten, komme, was da wolle!
Eine ganze Zeit lang aber geschah schlechterdings gar nichts, erhörten wir wildes Rufen und manchen Schrei, allein der Hof verblieb menschenleer und ganz verlassen. Immer wieder schauten wir über die Schultern und durchs Tor, in Hoffnung, die Unsrigen zu erspähen, doch niemand war da, nichts zu hören. Dann kam das Gegenteil!
Mindestens zehn Mann müssen es gewesen sein, kamen aus dem Palas gestürmt mit Musketen und Hellebarden, und ein fetter Mann mit auffällig rotem Wams und breitem Hut trieb sie an. Der Vogt musste es sein. Kaum waren sie auf dem Hof aufgestellt, da legten sie schon an in ungeordneter Reihe. Schießt sie nieder!, rief der Vogt. Wir sprangen in Deckung, die Witwe und ich zwängten uns zwischen Torflügel und Mauer. Wagner und die anderen warfen sich schlicht zu Boden. Da knallte schon die Salve. Hörte das typische Pfeifen der Kugeln, das so vertraut mir noch werden sollte, hörte die Kugeln schadlos einschlagen in Mauer und Burgtor. Denn schlecht hatten sie geschossen und keinen von uns getroffen. Ja, dies war der Moment, der entschied, der Augenblick, der unser Untergang hätte sein müssen.
Heute weiß ich es, verstehe, wie’s im Kampf zugeht. Nur sechs waren wir, standen mit dem Rücken zur Wand, konnten nicht durch das Tor, denn wäre es geschlossen worden, stünde unser Scheitern fest. Wären sie einfach näher heran, hätten auf zwanzig, gar zehn Schritt Entfernung sich gestellt und eine Salve gefeuert, würde ich diese Historie hier nicht in Tinte verewigen können. Doch überhastet hatten sie gefeuert, undiszipliniert und von Angst getrieben. Keine Soldaten waren sie nun mal, waren Burgknechte ohne Kampferfahrung, ohne Kriegserfahrung. Eine Muskete braucht Zeit zum Laden, zum Stopfen und Schießen, und in derlei Kampf bleibt meist nur der eine Schuss – und diesen hatten sie vertan.
So schmissen sie ihre Musketen weg, packten ihre Hellebarden, uns damit den Garaus zu machen. Stellung!, brüllte der Wagner. Wir sprangen aus der Deckung hervor und stellten uns Schulter an Schulter ins Burgtor. Zielen!, schrie er. Warten! Feuer! Welch Tölpel ich zu jener Zeit war! Noch bevor ich richtig gezielt, drückte ich bereits den Hahn, und wirkungslos sauste mein Geschoss über den Boden. Der Wagner und Werner hatten es besser gemacht und zwei des Gegenteils gestreckt. Dann waren sie bei uns. Schon gingen die ersten Hellebarden auf uns nieder. Wichen wir zurück. Ich erwehrte mich mit meinem Spieß, doch mühsam nur, war doch mit seiner kurzen Reichweite kein Mittel gegen die langen Hellebarden. Der Wagner schaffte es, mit einem mutigen Ausfall seinem Gegenüber in die Brust zu stechen, doch ich sah aus dem Augenwinkel, wie noch einiges Gesinde, mit Spießen bewaffnet, ihre Reihe stärken wollte. Da packte mich die Witwe und zog mich zur Seite, als just selbigen Moments eine Hellebarde dort einschlug, wo ich soeben noch gestanden. Die beiden Torwächter, die uns eingelassen, bedrängten uns auch noch von hinten. Halb im Fallen, vom Stoße der Witwe aus dem Gleichgewicht gebracht, stach ich dem ins Bein, sein Oberschenkel war’s, den ich erwischte, derweil die Witwe dem anderen gezielt einen Stoß in den Hals versetzte. Beide gingen übereinander nieder. Zu Boden gegangen rappelte ich mich auf, sah mich um und glaubte uns verloren. Lag der Siegfried niedergestreckt am Boden, regungslos. Mühte sich der Werner gegen zwei Hellebardiere mit seinem kurzen Spieß, die nach ihnen pikten und hieben, erwehrte sich die Witwe, das Gesicht zur Fratze verzogen, gegen den Vogt selber, und der Wagner, der ‚wie vom Teufel getrieben focht und nach allen Seiten schlug, konnte sich nur durch seinen wilden Eifer seiner drei Kontrahenten erwehren.
Als würde die Zeit selbst dick und träge, erlebte ich alles mit göttlicher Klarheit, verstand, was die Lage war. Da machte ich mein Kreuz, bat den Herrgott um Vergebung, packte fest meinen Spieß, und mit lautem Gebrüll auf den Lippen stürzte ich mich auf das Gegenteil vor mir. Der Kerle bekam große Augen, und schreckliche Furcht stand ihm plötzlich ins Gesicht geschrieben, dass er alsbald kehrtmachte und Hals über Kopf floh. Ich setzte ihm nach, versuchte ihn zu piken, allein mein Stoß geriet zu kurz, dass ich ein weiteres Mal die Balance verlor und stürzte. Hier magst du spotten, lieber Leser, und freilich habe ich mich nicht gerade prächtig angestellt, doch meinen Mann habe ich gestanden, bin im schlimmsten Augenblick tapfer gewesen, was nicht selbstverständlich ist und auch nicht leicht. Sogar Stolz verspüre ich heute, denke ich darüber nach,