Rosenegg. P.B.W. Klemann

Rosenegg - P.B.W. Klemann


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und zurück verblieben wir, ohne zu wissen, wohin noch weshalb man uns hergebracht, umgab uns alsbald völlige Dunkelheit in dem niedrigen, fensterlosen Raum.

      Die Jungen schlafen besser als die Alten, heißt’s, und wahrlich so, schlief ich der widrigen Umstände zum Trotze die ganze Nacht hindurch. Und mag auch der Rausch das Seine dazugetan haben, würde ich heute unter ähnlichen Umständen gewiss kein Auge zubekommen haben. Ich erwachte jedenfalls, recht munter und zuvorderst schien mir Erlebtes als ein böser Traum, bis ich merkte, wo ich mich befand. Der Geruch alter Pisse stieg mir in die Nase, und als ich mich aufrichtete, erhörte ich die Stimmen meiner Kameraden. Der Kleine ist wach!, stellte Martin Zimmermann fest. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich die Gestalten meiner Kameraden, kauerten sie verteilt auf dem steinernen Boden. Eine winzige Öffnung unterhalb der Decke ließ einen dünnen Strahl morgendliches Licht hinein, der kaum reichte, unsere Gesichter zu erhellen. Was haben die mit uns vor?, frug ich. Korporal Brand war’s, der antwortete: Wenn wir das nur wüssten, Lakai. Zum fröhlichen Bankett werden sie uns aber nicht hergebracht haben. Ich sagte: Der Hauptmann meinte, er werde uns auslösen. Worauf Christoph Stelzer ärgerlich antwortete: Sah er für dich aus, als glaubte er, was er da schwätzte? Und Korporal Brand ihn anfuhr: Mach dem Kleinen keine Angst, Herrgott! ’S steht schlimm genug. Dann an mich gewandt: ’S wird schon alles gut kommen, Lakai. Was meiner Angst freilich keine Linderung verschaffte.

      Der Tag war schon nicht mehr jung, als schließlich die Tür aufgesperrt und zum ersten Mal der enge Raum ausreichend beleuchtet wurde, dass ich gut sehen konnte. Drei Bewaffnete standen in der Tür, deuteten auf unseren Korporal und befahlen ihm, ihnen zu folgen. Er tat wie geheißen, und bald darauf umgab uns wieder Dunkelheit. Einige Stunden blieb er fort. Als sie ihn wiederbrachten, stießen sie ihn grob zu uns hinein, um augenblicklich die Türe wieder zu verriegeln. Geschunden und gemartert hatten sie den armen Kerle, dass selbst im fahlen Licht das Blut zu erkennen war. Was sie von ihm gewollt hätten?, fragten wir, nachdem er sich ein wenig erholt hatte. Wie viele Mannen wir wären, hätten sie wissen wollen, wie bewaffnet wir seien und in welcher Gegend unser Unterschlupf gelegen, berichtete er uns. Keiner fragte, was er erzählt habe, weiß doch jedermann, wie’s sich verhält. So grübelten wir, was solches wohl bedeuten möge. Wären sie hinter der Bande selber her, so mutmaßten wir, niemals hätten sie den Hauptmann ziehen lassen, war auf ihn zudem das höchste Kopfgeld ausgesetzt. Weshalb dann aber unsere Stärke und Lokalität erfahren? Suchten sie jemand anderen? Hinten und vorne passte solches nicht zusammen, weswegen uns endlich nichts verblieb als weiter abzuwarten.

      Sieben Tage vergingen so, schreckliche sieben Tage, weiß Gott! Einen Klumpen harten Brotes gab es täglich, den wir uns teilten mussten, dazu abgestandenes Wasser. Allzeit war es so dunkel um uns herum, dass uns das Licht blendete, die wenigen Male, wenn sie die Türe öffneten. Wir konnten nicht aufrecht stehen, der niederen Decken wegen, selbst ich nicht, der ich noch so jung war, und es stank, dass einem übel werden konnte. Und immer wieder kamen sie und nahmen einen von uns mit. Traktierten ihn übel, und geschunden brachten sie ihn zurück. Immer einen anderen holten sie, doch niemals mich. Und war ich freilich die erste Zeit froh darum, ein jedes Mal, dass ich der Marter entkam, begann ich mich irgendwann zu schämen, dass mir allein solches erspart blieb.

      Ich entsinn mich noch, mag es der sechste Tag gewesen sein, da kamen sie den Christoph Stelzer holen, zeigten auf ihn und hießen ihn zu kommen. Da jammerte er gottserbärmlich, dass er nicht mehr könne, er’s nicht mehr verhalte, er doch bereits alles gesagt habe, was sie wissen wollten, bettelte, dass einem das Herz blutete. Endlich sagte er, sie sollten doch mich nehmen. Nehmt doch den da! Den da!, jammerte er und zeigte auf mich. Ich wäre mitgegangen, ohne zu klagen, ich wär’s wirklich. Doch der Anführer der Kerle sagte: Nein, der nicht! Du kommst mit. Und muss ich dich holen, so wirst du’s bereuen. Sie mussten ihn holen, kein Zureden half. Halb tot war er, als sie ihn wiederbrachten.

      Dann am siebten Tage holten sie mich. Beinahe froh war ich, als unsere Kerkermeister auf mich deuteten, statt auf einen Kameraden, und ich kroch zu den Wachen hinaus und konnte dergestalt seit Langem wieder aufrecht stehen, dass ich zuvorderst meinen Rücken durchdrückte. Durch enge Gänge führten sie mich dann, mussten wir unter der Erde uns befinden, war mir durch den Kopf gegangen, ohne recht zu wissen, woher die Einsicht kam. Etliche Treppen ging es hinauf, manchen Flur entlang und endlich in einen Raum, gänzlich verschieden zu dem, was ich erwartet und auch befürchtet. Denn ein möbliertes Zimmerlein betraten wir, beschien lang entbehrtes Sonnenlicht durch ein offenes Fenster das heimelige Interieur, gab es Tisch und Stühle, Schränke und einen Arbeitstisch, an dem bereits eine Person saß, uns zu erwarten.

      Hier nun, lieber Leser, begegnete ich jenem obgemeldeten Menschen zum ersten Male, der freundlich lächelnd hinter seinem Tischlein saß, und was sag ich Mensch zu ihm, nein, kein Mensch war er, denn nichts Menschliches hatte dieser in sich, bloß Teufel nenn ich ihn daher, und nicht im Mindesten hätte mich verwundert, so zwei gespaltene Hufe zum Vorschein gekommen wären, hätte man seine Stiefel ausgezogen. Ganz unteuflisch allerdings war sein Erscheinen, denn milde waren seine Gesichtszüge, harmlos sein Blick. Seine Kleidung war bescheiden, ließ, bis auf den Hut mit einer langen, buschigen Straußenfeder, keinerlei Eitelkeit erkennen, mit schlichtem blauem Wams und schlichter brauner Hose. Schlicht war auch sein Antlitz, das mich bis heute in meinen Träumen verfolgt. Oval war’s und rundlich, ohne Kanten oder Ecken, kindlich fast, mit plumper Nase und müden grauen Augen. Die Haare, die unter dem Hut vorstanden, waren hellbraun und kraus, trug er weder Bart noch Schnauzer. Ideenlos sein Aussehen, ein besseres Wort fällt mir nicht ein, und trefflich barg es jenen teuflischen Geist, der sich dahinter verbarg. Nur ein rundes dunkles Mal inmitten seiner rechten Backe verlieh ihm ein spezifisches Charakteristikum, vom Teufel markiert, gedachte ich mir einmal, als einer seines Schlages oder, so dachte ich ein anderes Mal, von Gott selbst gezeichnet zur Warnung an die Menschen, was Dämon in Menschengestalt man vor sich habe.

      Konnte ich damals freilich noch nicht von seinem infernalen Geiste wissen, kann ich durchaus behaupten, dass ich, seinem täuschenden Äußerem zum Trotze, sogleich einen Widerwillen gegen diesen Menschen verspürte. Doch keine Zeit verblieb mir, selbigen zu ergründen, denn kaum war ich im Raum, da packte mich der dicke Kürassier, der unbemerkt von mir neben der Türe gestanden, grob an den Schultern und befahl mir, Platz zu nehmen. Er drückte mich auf einen Stuhl nieder, dass der Unbekannte mir im Rücken saß, indessen der Dicke selber mir gegenüber Platz nahm. Die Wachen hatten den Raum verlassen, dass nur wir drei verblieben. Da war mir klar, dass ein anderes Traktament meiner vorgesehen sein musste, zumal keiner meiner Kameraden von jenem Mann berichtet. So, mein Junge, begann der Dicke, wir haben da eine kleine Aufgabe für dich. Ich hielt mein Maul geschlossen, zu erhören, was jener ferner zu sagen hatte. Du verstehst mich doch, oder? Ich nickte bloß. Teufel, wir haben uns doch keinen Stummen oder gar Schwachsinnigen übergelassen? Gebrauch dein Maul, Bengel, so du in der Lage bist! Ich antwortete, dass ich sehr wohl sprechen könne und, meines Dafürhaltens nach, auch nicht schwachsinnig sei. Fügte brav ein “Mein Herr” an, und gab mich unterwürfigst. Gut!, sagte dieser darauf. Dann höre! Du sollst deinem lieben Anführer nämlich etwas überbringen. Eine Botschaft sollst du ihm bringen. Und ich hoffe, dein Gedächtnis schafft besser als dein Maulwerk, denn sonst ergeht es deinen Freunden schlecht. Ich erwiderte, dass mein Gedächtnis gut sei, und frug zudem: So werde ich denn freigelassen? Darauf der Dicke: Wie in drei Teufels Namen könntest du sonsten eine Botschaft überbringen? Dann an den Unbekannten hinter mir gewandt: Mögen wir den Falschen geschont haben, dieser hier dünkt mir nicht allzu verständig. Da ergriff jener das Wort. Er wird schon genügen. Dann zu mir: So höre und höre gut! Ich traf mit deinem Hauptmann eine Abmachung. Einen Handel, könnte man sagen. Er solle etwas für mich erledigen. Solchem zu entsprechen, bedarf er allerdings noch mancher Information. Und du, mein Lieber, bist erwählt, ihm diese zu überbringen. So du scheiterst oder aber dein Hauptmann sich verweigert, werden den Preis deine armen Kameraden zu zahlen haben, und hoch wird der Preis sein. Der Klang seiner Stimme war befreit von jedem Affekt. Drum höre aufmerksam, denn im Sinn musst du behalten, was ich dir jetzt sage. Kennst du die Burg Rosenegg? Ich nickte, fügte dann ein “Ja, Herr”hinzu, damit man mich nicht erneut schimpfe. Gut! Auf der Rückseite jener Burg, den Berghang hinab, findet sich ein alter Unterstand, sehr verfallen, aber gut sichtbar


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