Rosenegg. P.B.W. Klemann
den Hort. Na, wo ist er auch hin?, fragte dann einer spöttisch, und der Schuhmann erwiderte: Meinen rechten Arm, dass ihn in der Küche findest. Worauf wir alle lachten.
Übertrieben hatten sie freilich und sich ihren Spaß gemacht, und dennoch war der Respekt ernst gemeint, zumal sie gern mit ihrem Ruf kokettierte, die Witwe, war er Schild und Drohung zugleich, und lachen muss ich, denke ich an den Burschen, wie er die nächsten Nächte geschlafen haben muss, die beiden Hände vor das Maul geschlagen. Doch sei dem Leser hier versichert, denn ich lernte sie gut kennen und viele Jahre war sie an meiner Seite, dass alles Gerede und üble Unterstellung kein Fünkchen und kein Korn an Wahrheit enthielten, so wahr mir Gott helfe, sie e contrario ein trefflich Weibe war und gute Kameradin. Gottesfürchtig war sie zudem, besaß sie einen hölzernen Rosenkranz, den sie versteckt im Beutel immer mit sich führte, habe ich sie oft heimlich beten sehen und jenen küssen, so die Zeiten schwierig waren, ob im neuen oder alten Glauben habe ich nie erfahren, auch nie gefragt.
Mit den genannten und weiteren Gesellen fristete ich also mein Dasein, lernte schließlich auch das Räuberhandwerk, und kaum einen besseren Lehrer als den Wagner hätte ich mir wünschen können. Auch diesem will ich hier in kurzen Zügen ein Bildnis zeichnen, auch wenn genannter Steckbrief schon gute Vorarbeit geleistet hat. Verwegen war sein Antlitz, dies Wort trifft es gut, denn Abenteuer und Draufgängertum standen ihm ins Gesicht geschrieben, mit jenen kleinen stechenden Augen, den spitzen Brauen und schwarzen Haaren, das Gesicht kantig und symmetrisch, nur durch die Schmarre linkerseits entstellt, was ihm jedoch nicht zum Nachteil geruhte, sondern im Gegenteil das Wilde seines Charakters zu unterstreichen vermochte. Ein Andenken aus Ostende, nannte er seine Narbe, die ihm ein Spanier während der Belagerung jener Stadt hinterließ. Er lachte viel und gern, hatte ihn das harte Soldatenleben nicht der Lebensfreude berauben können, wobei sich sein breiter Knebelbart, den er trug, wie es damals die Mode war, dann zu beiden Seiten nach oben bog. Großen Wert auf Äußerlichkeiten legte er bei sich, eitel mag man es nennen, rasierte sich oft und zwirbelte den Bart sich spitz, fand Gefallen an schöner Kleidung, wie weiten und farbigen Pluderhosen und gut genähten Röcken mit weit geschnittenen Ärmeln und breitem, rüschigem Kragen, besaß er eine große Truhe voll teurer Kleidung. Der Umfang seines breitkrempigen Hutes suchte seinesgleichen und die Länge seiner Feder konnte es mit der manchen Edelmannes aufnehmen. Seine ledernen Stiefel liebte er sauber und eingefettet, eine Aufgabe, mit der er fortan mich betraute und gehörig die Leviten las, so ich sie nicht zu seiner Zufriedenheit erfüllte. Ein langer Spanischer Degen, ebenfalls Kriegsbeute, während seiner Zeit bei den Holländern, schwang an seiner Seite, und trefflich damit umzugehen verstand er. Er mochte mich, so glaube ich, und ich auch ihn, sucht der junge Geist sich doch den starken Charakter aus zur Orientierung. Wie ein Edlendiener schwänzelte ich um ihn herum, war stets zur Stelle, so er etwas brauchte, freute mich, wenn er mir lobend den Kopf tätschelte, und grämte mich, wenn er mich schimpfte. Und gefallen ließ er sich mein Dienertum, behandelte mich ordentlich und lehrte mich dabei auch allerhand.
Jener selbst war es, der mich im Umgang mit den Waffen unterwies, lehrte mich ein wenig Fechten, auch wenn mein Talent, wie ich gestehe, nicht übermäßig war. Besser stellte ich mich mit der Muskete an, die er mich auch zu nutzen lehrte, wenngleich wir uns nur mit kleinster Ladung zu schießen trauten, macht eine Muskete doch, wie der Leser vielleicht weiß, einen gewaltigen Knall. Er zeigte mir, wie mit einer Lunte umzugehen, wie sie zu halten und die Glut versorgen, dass man sie an beiden Enden anzuzünden habe, damit, falls die Lunte beim Schuss ausgehe, man sie verkehrt herum aufziehen könne. Lehrte mich die Pfann gut zu füllen mit Zündkraut, Pulver und die Kugel ordentlich zu stopfen. Ermahnte mich des fleißigen Ausblasens von Pfann und Rohr, dessen Unterlass schon manch einen Leben oder Augenlicht gekostet hat. Übte mich, wie das schwere Gewehr zu halten und zu legen sei, zeigte mir, wie damit zu zielen. Auch durfte ich mich an seiner schönen Pistole probieren, einem prächtigen Stück mit fein gearbeitetem Schlosse, das er einem Edelmann abgenommen.
Sobald der Winter vorüber war und das Wetter sich besserte, ging ich mit los auf Streifzug. Mit ungefähr zwanzig Mann zogen wir dann aus für einige Tage, kümmerte sich der Rest indessen um den Hort oder trieb Handel mit den umliegenden Dörfern. Es war allen streng verboten, in naher Gegend Räuberei zu betreiben, sondern im Gegenteil hatte der Hauptmann bestimmt, dass sich gut zu benehmen sei; keinem Bauern wurde auch nur ein Korn gestohlen, keinem Händler zu nahe getreten, keiner Magd nachgestellt. Ordentliche Preise wurden gezahlt und zu guten Preisen verkauft. Was Folge hatte, dass unsere Bande sich keines allzu schlechten Rufes erfreute, gute Kontakte und Handel pflegen konnte, teils sogar bewundert und beschützt wurde vor der Obrigkeit. Kaum waren wir aber eine Tagesreise von daheim entfernt, begannen wir unser Tagewerk, welches schwerlich rühmlich gelten kann. In Gruppen schwärmten wir aus entlang gut befahrener Waldwege, hielten Ausschau nach Reisenden, nach Kutschen und Konvois. Hier lernte ich, wie zu kommunizieren über Pfeifgesang, die Lerche, sich zu sammeln, die Amsel, wenn man Beute fand, die Drossel, so Gefahr im Verzug, wie zu orientieren im Walde, die Himmelsrichtungen bestimmen über Sonne und Moos, Fährten und Geräusche deuten. Viel half mir damals meine vorherige Lehrzeit im Wald, die mich gut anstellen ließ und mir manches Lob einbrachte.
Endlich lernte ich auch, wie ein Überfall vonstatten ging, und gut kann ich mich des Kitzels entsinnen. Eine Händlerkolonne sollte meine Premiere sein. Zwei Kutschen waren es samt einigen Maultieren im Anhang. Von Weitem hatten wir sie kommen sehen, und eiligst wurde in Fahrtrichtung eine Barrikade aus Holzstämmen und Gestein aufgestellt, hinter einer Biegung verborgen. Als die Kutschen um die Biegung kamen, muss ihnen schnell klar gewesen sein, dass Unheil drohte, doch schon sprangen die Unsrigen hinter den Bäumen hervor, verstellten die Kutschräder mit Holzklötzen, dass die Wagen weder vor noch zurück konnten, und drohten mit den Waffen. Ich wurde als Späher eingeteilt mit dreien Weiteren, den Weg zu sichern, zu schauen, sollte jemand kommen, und zu verhindern, sollte jemand zu fliehen suchen. Mit lauter Stimme rief der Wagner dann seinen Spruch, den er, wie ich noch lernen sollte, in gleicher Manier bei allen Überfällen vorzutragen pflegte. Nicht nach dem Leben würden wir den guten Leuten, wie er es sagte, trachten, sondern nur nach deren Gut, und wären sie bereit, Letzteres herzugeben, solle ihnen auch Ersteres gelassen werden. Die Leute wurden aufgefordert, von den Kutschen abzusitzen und sich in Reihe aufzustellen, worauf sie durchsucht und gefleddert wurden und anschließend, von den Unsrigen bewacht, zuschauen durften, wie ihre Ladung geplündert wurde. Alles von Nutzen oder Wert wurde auf die Pferde geschafft, die, von den Kutschen befreit, uns als Lasttiere dienten. Die Maultiere wurden, wie sie waren, weggeführt. Zuletzt verkündete der Hauptmann noch, dass wer wage, uns zu verfolgen, sein Leben verlieren müsse, worauf wir abzogen.
Nach jenem Überfall war es auch, dass mir meine erste Beute zugesprochen wurde, ein schönes langes Messer samt lederner Scheide. Nichts Besonderes war es, hatte eine gute Klinge mit gut gearbeitetem hölzernen Griff, bestand die Scheide schlicht aus zwei Lederstücken, die zusammengenäht waren, doch mächtig stolz war ich darauf. Der Hauptmann gewährte mir die erste Wahl bei der Beuteverteilung, durften nach jedem Überfall sich die Beteiligten etwas aussuchen von den Gütern, die wir ergattert, von den Waffen, vom Schmuck oder der Kleidung, der Hauptmann als Erster in der Regel, die Korporale danach, der Rest nach abgesprochener Reihenfolge, wobei Letzteres mal besser, mal schlechter klappte und häufig auch manchen Streit zur Folge hatte. Doch jenes eine Mal durfte ich zuerst zugreifen, selbst vor dem Hauptmann noch, und so erwählte ich mein Messer. Und gute Wahl war es, will ich meinen, denn gut gedient hat es mir viele Jahre lang.
In der beschriebenen Art jedenfalls liefen die Überfälle meistens ab, und, ob du es nun glaubst oder nicht, lieber Leser, nur seltenst musste Gewalt angewendet werden und in meiner ganzen Zeit im Hegau musste kein Einziger der Überfallenen sein Leben lassen. Ich glaube, das Geheimnis bestand in Wagners ruhiger Art, die Sicherheit vermittelte, die Beraubten nicht das Schlimmste befürchten ließ. Er sprach ruhig, aber bestimmt, dass es als Wahrheit galt. Zudem sorgte er mit Strenge für die ordentliche Behandlung der Beraubten, wandte nur Gewalt an, so sich einer besonders widerborstig gab. Selbst handeln ließ er teils mit sich, denn oftmals begannen die Händler oder Bauern zu jammern und zu klagen, ob sie denn nicht dieses oder nicht jenes behalten könnten, da wurde der Wagner zuerst streng und forsch und stauchte sie ordentlich zusammen, das Maul zu halten sei, er ihnen die Zunge rausreiße oder Ähnliches, dann aber lief er auf und ab, scheinbar sinnierend, und gab schließlich seinen Kompromiss ab. Dass nur die