Rosenegg. P.B.W. Klemann

Rosenegg - P.B.W. Klemann


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       Steckbrief; der hierunter signalisierte Lutz Wagner, ehemals Feldweibel der protestantischen Union, hat sich mit seinem Gefolge der folgenden Verbrechen schuldig gemacht:

      Welch Schändlichkeiten hier aufgezählt und aufgelistet wurden, mag auf keine Kuhhaut passen, kann sich der hartgesottenste Leser wohl kaum imaginieren, ließ es mir selbst ordentlichen Schauer über den Rücken fahren, zumal derartige Scheußlichkeiten meiner reinen Bubenseele noch gänzlich unbekannt waren. Es reichte jedenfalls von Brandschatzung, Raub und Diebstahl zu Schändung, Folter und Mord bis hin zu Entweihung heiliger Stätten und Orte, was alles mit Namen und Ortschaft fein säuberlich dokumentiert war. Und noch während ich diese Schurkenstreiche vorlas, begann unter jenen Kerlen ein schallendes Gelächter und Gegröle, schienen sie sich keineswegs zu schämen und zu grämen ob jener Taten oder diese zu leugnen, sondern im Gegenteil jubilierten und applaudierten sie sich zu und gratulierten sich aufs Trefflichste. Potz Blitz, stimmt, die stramme Dirne hat ich ganz vergessen, der wurd es fürstlich besorgt!, sagte dann der eine, oder: Potz Teufel, der Bastard hat gut gelitten!, ein anderer. Und derart so einiges mehr, dass mir schnell klar war, von welcher Art die Gesellen waren, die hier vor mir standen. Weiter las ich:

      Personal-Beschreibung: Alter: 29 Jahre, Größe: etwa 6 Fuß, 10 Zoll, Haar: dunkles Braun, Stirn: flach gewölbt, Brauen: schwarz, Nase: markant und groß, Augen: blau, Gesicht: oval, Mund: fein, Bart: schwarz, Farbe: frisch, Statur: schlank, doch kräftig, besondere Kennzeichen: Narbe auf der linken Backe bis zum Ohr. Auffällig schönes Antlitz.

      Eben jenes trefflich signalisierte Antlitz schaute mir mit breitem Grinsen entgegen, hätte kaum die Narbe zur Erkennung gebraucht. Auffällig schönes Antlitz?, wiederholte einer der Männer mit Spott. Nu weiß ich, dass es ein anderer Lutz Wagner sein muss. Was mit weiterem Lachen quittiert wurde.

      Ich beendete meine Lesung mit dem Kopfesgeld von fünfzig Gulden, das demjenigen zum Preise ausgeschrieben wurde, der Obgemeldeten bei den pfälzischen Behörden abliefere. Oha, sprach dazu einer. Die fünfzig Gulden sind mir schon gewiss. Worauf ihn der Beschriebene ansah, zwar noch mit lächelnden Lippen, allein mit strengen Augen, und vermeinte, dass der Versuch selbstredend jedem frei stehe. Wieder wurde gelacht, ein anderes Lachen aber als noch zuvor. Den Räuberhauptmann jedenfalls überzeugte meine Vorführung, und er beschloss, meiner sei mitzunehmen. Ob ich nun wollte oder nicht, war keine Option, die mir gegeben wurde, und so fand ich mich kurz darauf im Gänsemarsch hinter diesen so finsteren Gesellen durch den Wald stapfen, und wehmütig sah ich noch mal zurück zu meinem kleinen Unterschlupf, den ich so mühsam mir erschaffen, und verabschiedete mich von diesem Teil meines Lebens. Nicht dass mir der Abschied sonderlich schwergefallen wäre.

      Dies war das erste Mal von dreien, dass die Kunst des Lesens und Schreibens meinen Werdegang entscheidend lenkte und alle Male zum Besseren, will ich meinen, denn auch wenn die Gesellschaft, welcher ich mich hier anschloss, nicht die freundlichste mir dünkte, stand es besser um mich, als wenn ich alleine den Winter zu überstehen gehabt. So begann also meine Karriere als Räubersmann im Winter anno 1613.

      image Kapitel 3 image

      Vom Leben und Treiben eines Hegauerischen Räubers

      Nicht wenig staunte ich, lieber Leser, als wir nach langem Marsch durch dichten Wald endlich an jenem Ort ankamen, den die Ganoven “den Hort” nannten. Gleich seien wir da, wurde zuvor angekündigt, worauf einer der Räuber einen trefflichen Lerchengesang nachpfiff, unser Ankommen zu signalisieren. Ich sah mich um nach allen Seiten, versuchte kleine, schlecht gezimmerte Holzhütten oder notdürftige Zelte zwischen dem Geäst zu entdecken, sah aber weder noch. Wir kamen an einen steilen Hang, zu dessen Grund sich ein schmales Tal längs erstreckte. Ein kleiner Trampelpfad führte hinab, der Boden zertreten und zerstampft vom häufigen Gebrauch. Indessen wir jenem Pfad folgten, ersahen wir die ersten Menschen im Tal, hoben sie die Arme uns zum Gruße, als wir den Grund erreichten. Immer noch sah ich nichts, was einer Behausung glich, gleichwohl man dem Tal die Spuren menschlichen Daseins durchaus ansah. Geäst und Gestrüpp waren kaum vorhanden, und das Bächlein, welches sich durchs Tal schlängelte, umsäumte, dort wo die uns Grüßenden standen, eine Lichtung, die von Menschen erzeugt aussah.

      Als wir diese schließlich erreichten, konnte ich kaum glauben, was ich da erblickte. Da staunste, was?, lachte der breite Räuber, der sich mir als Sebastian Singer vorgestellt, und erbot mir Führung an. Und in der Tat redlich gearbeitet hatte die Bande, denn ihre Behausung war in die Felswand hineingeschlagen und gebaut, welche zu großem Teil aus gutem, festen Sandstein bestand, der sich trefflich bearbeiten ließ und welchen sie bis tief unter die Erde ausgehöhlt hatten. Doch hatten sie nicht schlicht eine Höhle gegraben, sondern gleich mehrere Räume ausgehoben, manche groß und weit, dass viele Mann stehend Platz gehabt, manche nieder und kleiner, etliche bis tief unter die Erde, hatten selbige zudem durch Gänge und Flure miteinander verbunden, dass es mir im Ganzen wie ein unterirdischer Palast vorgekommen. Auch waren diese Räume trefflich ausgebaut mit dicken Stämmen als Stützbalken, dicke Holzleisten als Querbalken, ebenso ausgestattet mit aus Holz gezimmerten Türen, mit Schränken, Tischen, Stühlen und allerhand anderem Mobiliar. Und alles war gut eingeteilt, gab es einen eigenen Raum zum Kochen, einen Wohn- und Speiseraum, mehrere Schlaf- und Lagerräume, außen eingelassene Holz- und Feuerstätten, einen Stall, bestückt mit Schweinen und Hühnern, sogar einen Brauraum, in dem ein dickes Fass mit Bier gärte, in summa also ein Unterschlupf, wie ihn sich der Räuber nur träumen kann.

      Nun wirst du dich freilich, genau wie ich damals, fragen, wie eine solche Bande Derartiges bewerkstelligen konnte? Da dies ja kaum Usus in der Räuberwelt sein könne. Und die Antwort auf diese Frage lautet: Lutz Wagner. Mag dieser Mann zweifellos ein rechter Schurke und Gauner gewesen sein, ein Dieb und Mörder und vieles mehr, war er doch ein hervorragender Kommandant und Anführer. Dem Ursprung nach kam er aus Bremen, was man ihm deutlich anhörte, ich hier jedoch zu imitieren unterlasse. Seit er fünfzehn Jahre zählte, hatte selbiger als Söldner gedient, in Holland, in Venecia, sogar bis nach Ungarn sei er gekommen. Zuletzt kämpfte er beim Erbkrieg “des Reichen” zu Jülich anno 1609 auf Seiten der Union, wo er, wie er es ausdrückte, es wohl zu prächtig getrieben habe. Der Galgen hätte ihn und seine drei Kameraden erwartet, weshalb zu türmen ihnen das Beste erschienen. Seither führten sie ihr Räuberdasein, und aus den anfänglichen vier Halunken waren, als ich zu ihnen stieß, dreiunddreißig Mann und ein Dame geworden. Die Jahre in der Armee hatten ihn zu führen gelehrt, wenngleich ein entsprechendes Naturell wohl schon von Gott gegeben sein Eigen war. Und während er in der Armee kaum je zum Hauptmann, seiner gewöhnlichen Herkunft wegen, ernannt worden wäre, herrschte er hier wie ein König. Ein fleißiger König, wohlgemerkt, der ohne Unterlass nach Besserung suchte, Proviant und Lagerbestand organisierte, Streifzüge plante, dieses zu bessern und jenes zu unterlassen befahl, dabei oftmals auch selber die Ärmel krempelte. Der untätige Soldat ist ein toter Soldat, sprach er oft und hielt sich tunlichst daran. Selbst im Winter, als der Martini schon längst überschritten war, stellte er allerlei Aufgaben, vor allem zum Ausbau unseres Heims, ließ Fenster und Türen dichten, Böden auslegen und allerlei Haushaltiges wie Schustern, Nähen, Waschen und Putzen. Freilich wurde mal gemurrt und gestritten, wollte der eine dieses, der andere jenes nicht machen, doch wagte keiner, sich seinem direkten Befehl zu widersetzen. Zumal er die Leute gut nach ihrer Fasson arbeiten ließ und ihren Fähigkeiten entsprechend. So gab es zum Beispiel Egon Reichenbacher, der zuvor lange Bäcker gewesen und nunmehr unser Küchenchef war; die Brüder Werner und Andreas Linz hatten als Jägerskinder den Posten der Jagdmeister inne; der Sebastian, mein erster Vertrauter und im Späteren mein Freund, der zu schmieden gelernt, durfte sich dementsprechend betätigen. Ferner hatten wir einen Werner als Schreiner, einen Willfried als Schneider, einen Emil als Wasenmeister und dergestalt noch viele mehr, dass uns an keinem Können etwas ermangelte. Eine Hierarchie gab es freilich auch, welche im Groben besagte, wer länger dazugehörig, der auch im Range höher. Und war solche Regel auch mal mehr, mal weniger streng ausgelegt, so in ihrer obersten Maxime jedoch, wer nämlich an unserer Spitze stand, ohne jeden Kompromiss.


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