Rosenegg. P.B.W. Klemann

Rosenegg - P.B.W. Klemann


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Edelsteine zu erbeuten, ersann mein Bubengeist in den buntesten Bildern samt den abenteuerlichsten Geschichten. Doch die Realität ist nun mal kein Traum und Amerika so weit weg wie für mich der Himmel heute.

      Als schließlich der Winter kam und der erste Schnee seinen Einstand gab, kam er plötzlich und hart, ähnlich wie das Jahr zuvor. Mein spärlicher Vorrat würde hinten und vorn nicht reichen, war mir schnell klar, und wenn dieser Winter den Verlauf des letzten nähme, wär mein Erdendasein baldigst vorüber. In meiner Not tat ich, was der Verzweifelte meist tut; er stiehlt, er klaut, er handelt. So begann ich damit, auf den Feldern nach allem Ausschau zu halten, was noch nicht geerntet worden. Eine kleine Rübe, kaum die Größe eines Apfels, war meine erste Beute und das Erste, was ich je gestohlen habe. Ich sehe sie heute noch vor mir. Seltsam, woran der Geist sich erinnert! Bei diesem Diebstahl blieb es freilich nicht. Die meiste Feldfrucht war lange abgeerntet, weswegen ich mich schnell an Riskanteres wagte, Scheunen und Schöpfe durchsuchte und letztlich die Höfe selber zu meinem Jagdrevier erklärte. Mein anfänglich schlechtes Gewissen und meine Vorsicht wichen bald einem wilden Jagdtrieb, gefüttert durch Hunger und Verzweiflung. Hatte ich mich vormals noch gefreut, wenn ich ein schönes Vogelnest entdeckte oder ein schöner Fisch meine Beute wurde, bestand mein Glück nunmehr darin, einen Sack mit Korn aus einem Schopf, Dörrfleisch und Wurst aus einem Rauchfang oder gar ein frisches Brot aus einer Küche oder Backstube zu ergattern. Durchaus gefährlich war, was ich so trieb, und mehr als einmal musste ich Reißaus nehmen. Und sehr wohl wusste ich, dass im Minimum die Peitsche mich erwartete, so sie mich erschnappten, weshalb ich mit Geschick agieren musste.

      Der Galgenberg – wie man den Hügel nördlich von Bohlingen nannte – war stete Warnung an das Schicksal, welches solche Schelme wie mich erwartete, sah man die Stricke und die Körper, die an der großen Eiche zuoberst des Hügels am Galgenbaum baumelten, aus weiter Ferne. Eine Mahnung an jeden und insbesondere an mich, doch was hatte ich schon Wahl? Selbst nächtens begann ich bald auf die Pirsch zu gehen, wenn tiefe Dunkelheit mich umhüllte, allerdings nur, wenn der Mond gut schien. Mit bedecktem Himmel bestand Gefahr, nicht zurück in mein Heim zu finden, machte mir zudem die gänzliche Dunkelheit immer noch Angst, ist sie doch das Reich von Geistern und Schlimmerem. So schlich ich im Mondesschein von Hof zu Hof und stibitzte, was ich konnte, war mir keine Gefahr zuwider, spähte durch offene Fenster, kletterte durch lose Dielen in Scheunen und Schöpfe, und mancher, der mich vorbeihuschen sah, mag mich selber gar für ein Gespenst gehalten haben.

      Die verdammten Köter waren die häufigste Schwierigkeit, wenn sie zu bellen anfingen, oder schlimmer, wenn sie mir nachjagten oder mir nachgejagt wurden. Einen guten Knüppel hatte ich mir alsbald geschnitzt und musste ihn das ein oder andere Mal gegen solcherlei Widersacher schwingen. Noch heute zeugt eine Narbe an meiner linken Wade von einem besonders halsstarrigen Sauhund, dem ich den Kopf blutig hauen musste, ehe er mich freigegeben.

      Ins Dorf traute ich mich seit Beginn meiner neuen Geschäfte nicht mehr, hätten mich doch einige der beraubten Bauern erkennen mögen. Ohnehin war mir kaum etwas geblieben, mit dem zu handeln sich rentiert hätte. Gott allein weiß, wie lange ich so durchgehalten, wäre ich denn früher oder später bestimmt erwischt worden, hätten mich ansonsten Krankheit, Hunger oder Kälte dahingerafft. Doch der Herrgott geruhte andere Pläne mit mir zu haben, und gedankt sei es ihm an dieser Stelle!

      Und so geschah, als ich eines Tages von einem meiner täglichen Streifzüge zurück kam und in meinem Heim das Wenige deponierte, was ich gefunden oder ergaunert hatte, dass von draußen eine Stimme ertönte: He, Bursche, komm da raus! Ich fuhr mächtig zusammen und gedachte freilich sogleich, es müsse einer jener Bauern sein, die ich so unredlich erleichtert. Türmen war mein erster Instinkt, doch hatte mein Häuslein nur einen Zu- und Ausgang, dass die Flucht sich schwierig gestalten würde. Still verharrte ich weswegen in meinem Bau, in der törichten Hoffnung, der Schrecken möge einfach vorüberziehen. Nu komm schon raus! Wir wissen, dass du da drinnen bist, rief es dann von draußen, und das “wir” sagte mir, es müsse mehr als einer sein. Als ich endlich meine aus Ästen geflochtene Türe aufschlug, um ins Freie zu treten, fand ich mich gleich einer ganzen Truppe von Männern gegenüber. Dass diese Gestalten kaum den Bauern zuzuordnen waren, ließ schon der flüchtige Blick erkennen, denn obzwar ihre Kleidung an Qualität augenscheinlich ermangelte, mit ihren fadenscheinigen Stoffen, ausgeblichenen bunten Farben und übersät von Flicknähten, waren diese Galgenvögel drapiert und ausstaffiert wie die ärmsten Edelmänner, trugen weite faltige Pluderhosen, verzierte rüschige Hemden mit breiten, gestärkten Kragen, ferner glitzernden Schmuck, wie silberne Ringe und silberne Ketten, dazu lange Mäntel und Umhänge. All mein Leben lang galt augenscheinliche Regel, dass sich der Bauer wie ein Bauer kleidet mit seiner Schnürhose, Hemd und schlichter Haube, der Zünftler wie ein Zünftler mit Wollmantel, Lederhose und Filzhut und der Bürger wie ein Bürger mit Wams, Kragen und Pluderhose, ein jeder also aussieht wie seinem Stande entsprechend. Doch diese Schelme nun sahen aus, als hätten sie dem Gutdünken nach in jedes Standes Kleiderkiste hinein gegriffen und sich derart Erschnapptes unbesehen übergezogen, so wie es sich gerade ergeben, dass meine Bubenaugen erst nicht recht wussten, ob sie für Edle, Gaukler oder Hausierer zu halten. Zudem waren sie bis auf die Zähne bewaffnet, trugen Messer, Keulen und Flegel, ferner Äxte, Spieße und Schwerter, hatten drei von ihnen gar eine Muskete geschultert. Der Anführer, welcher gleich als solcher erkennbar war, durch seinen schönen Rock und bunte Pluderhose, gekrönt durch einen prächtigen breitkrempigen Hut samt roter Feder, kam mit einem Lächeln im Gesicht mir entgegen und sprach: Was haben wir denn da für ein Bürschchen in meinem Wald? Ich gab das Erste zurück, was mir in den Sinn kam und antwortete: Aber das hier ist doch mein Wald. Er quittierte es mit einem Lachen. Wenn du dich da mal nicht täuschst, mein Junge, sagte er dann und schickte zwei von ihnen meine Behausung zu durchsuchen. Diese schmissen alles nach draußen, was ihnen wertlos erschien, und steckten anstandslos ein, was ihnen nützlich, nahmen mein Feuerzeug, die guten Messer, meinen Topf und viel an Vorrat. Das sei alles meines, protestierte ich verzweifelt, worauf mich ein finsterer Geselle kräftig am Nacken packte. Pass bloß auf, Bursche, sonst setzt’s was! Ich sah ihn an und blieb still, denn reine Bosheit blitzte in seinen Augen.

      Als die Plünderung beendet war, hatten sie mir fast alles genommen. Mager sei die Ausbeute gewesen, resümierten sie, was mir die Zornesröte ins Gesicht trieb. Vielleicht sei aus dem Burschen ja noch etwas rauszukitzeln, schlug der Finstere vor. Was willst aus dem Bürschlein denn kitzeln?, meinte der Anführer darauf verächtlich. Schau ihn dir doch an! Sie schickten sich an zu gehen, da jammerte ich, dass ohne jenes, was sie mir genommen, ich den Winter niemals überstehen würde, ob sie mir denn nicht wenigstens einen Teil des Vorrats und zumindest das Feuerzeug überlassen könnten. Worauf der Finstere eine Klinge zog, die er am Gürtel hatte, und sagte: Der Bursche hat recht! Der übersteht’s doch keinen Monat mehr! Ich zauber ihm ein rotes Grinsen an den Hals, dann hat er’s wenigstens hinter sich. Ich starrte ihm ins schräge Gesicht, in dem nichts gerade, nichts symmetrisch war, mit dem schiefen Kiefer, der krummen Nase, dem einen Auge höher als dem anderen, und in keinem von beiden konnte ich Mitleid sehen, nur Grausamkeit. Er machte sich daran, Gesagtem zu entsprechen, da schritt ein anderer ein und packte ihn am Arm. Lass bloß den Bub in Ruhe, Amon!, sprach dieser streng, und ich staunte über seinen Mut, denn schien er mir nur einige Jahre älter zu sein als ich, wenngleich schon von erwachsenem Wuchs und von eindrucksvoller Statur. Kurze Zeit blitzte es zwischen den beiden, und ich dachte, gleich gehen sie sich an die Gurgel, als der Anführer brüllte, mit dem Unsinn sei sofort Schluss zu sein. Dem Burschen passiert nix, und damit basta!, bestimmte er, worauf die zwei von sich abließen. Warum nehmen wir ihn nicht mit?, schlug dann der Stämmige vor. Ham genug Mäuler zu stopfen, widersprach der Finstre. Was willst noch mit ’nem Bub? Ich hätte doch ein redliches Lager aufgebaut und offensichtlich einige Zeit im Walde überlebt, argumentierte der Breite, vielleicht sei ich von Nutzen. Dies versetzte den Anführer ins Grübeln, worauf er sich vor mir aufbaute und mir in die Augen sah. Was kannst denn, Bursche? Kannst schießen oder jagen? Ich verneinte, nur fischen könne ich. Mit Fischen ist’s im Wald meist Essig, was kannst denn sonst? Ich überlegte, und da mir nichts Besseres einfiel, sagte ich, dass ich wohl Schreiben könne und auch Lesen. Da guckten sie verdutzt. Woher ein Lümmel wie ich denn derlei vermöge?, fragten sie, das glaubten sie nicht. Doch, doch, versicherte ich, es sei die Wahrheit. Der Anführer zückte eine metallene


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