Rosenegg. P.B.W. Klemann
kannten die beiden schon geraume Zeit, bevor sie sich ihr selber angeschlossen, waren den Räubern bei ihren Streifzügen durch den Wald das ein oder andere Mal über den Weg gelaufen. Das erste Mal, so erzählten sie mir, hätten sie freilich geglaubt, nun ordentlich gefleddert zu werden oder gar Schlimmeres, doch der Hauptmann habe sogleich Befehl gegeben, den guten Jägersleuten sei kein Haar zu krümmen. Im Gegenteil stellte er sich gut zu ihnen, kaufte fortan häufig Wildfang ihnen ab zu gutem Preis, dass sie in Folge, so sie guten Fang gemacht hatten, ihn gezielt der Räuberbande anboten. Solcher Umgang mit dem hiesigen Volk war ein Usus, welchen der Hauptmann häufig praktizierte, getreu dem Grundsatze, dem Nachbar besser Freund als Feind zu sein. Das Verhängnis, das den beiden Jägersleuten zuteil geworden, war eines, das vielen ihrer Zunft schon widerfahren, denn so sie auch leben konnten von dem ihnen zustehenden Weidwerk, vornehmlich Hasen, Enten, Rebhühnern und Wildsauen, fiel es ihnen doch schwer, das gute Reh oder gar den schönen Hirsch zu verschmähen, so sie dessen Wege kreuzten. In dem kleinen Örtchen zu Fuße des Hohentwiels, wo beide Heimat hatten, herrschten zu jener Zeit die Württemberger, und zwar mit strenger Hand, insbesondere was die Einhaltung des Jagdrechts anbelangte, weswegen, als sie in flagranti vom Burgjagdmeister beim Zerteilen eines prächtigen Zwölfenders gesichtet wurden, die schlimmsten Strafen zu erwarten waren. Sie eilten heim, verabschiedeten sich dort von ihren anderen zwei Brüdern und dem kleinen Schwesterlein, gaben der Mutter einen Kuss und marschierten schnurstracks zum Wagner, um Asyl zu bitten, was dieser gerne gewährte.
Als Letztes sei der Werdegang der einzigen Dame hier beschrieben, Ottilie Zahner, von allen nur die Witwe oder Wittib genannt und nebst unserem Hauptmann, dessen Name sich in der Hegauer Gegend schon gewisser Bekanntheit erfreute, die berühmteste Person der Unsrigen. Sie entstammte aus einem kleinen Dorf bei Tuttlingen, Neuhausen ob Eck genannt, und war die Frau eines erfolgreichen Ziegelbrenners. Zwei Kinder hatte sie diesem geschenkt, einen Bub und ein Mädel, erfreuten sich guten Wohlstands, so gut, dass sie acht Knechte und vier Mägde als Gesinde aushielten. Ich habe ihre Geschichte aus ihrem eigenen Munde vernommen, wenngleich ich sie schon zuvor in den haarsträubendsten Varianten von anderen erhört hatte, wurde die Historie doch unter den Räubern mit Freude erzählt und ausgeschmückt, besonders Neuankömmlingen gegenüber, die sich über die Frau verwunderten. Eines Tages jedenfalls, so erzählte mir die Witwe, kam sie von ihrem Elternhaus früher heim, hatte sie irgendwas vergessen oder dergleichen, sah durch das Küchenfenster und fand ihren Mann mit einer jungen Magd inmitten des Küchentischs beim Liebesspiel. Alles habe sie ihm gegeben!, wie sie, die Witwe, es sagte, allein das Sprichwort missachtet: “Stellt der Mann ein Mägdlein ein, so sollt dies besser hässlich sein!” In die Küche sei sie gestürmt, ihn zur Rede zu stellen. Doch statt den bußfertigen Sünder zu geben und auf getrockneten Erbsen gen Canossa zu ziehen, bedachte dieser die Gehörnte mit abfälligem Sprüchlein und ordentlicher Maulschelle obendrauf. Schlecht muss der Leichtfertige sein eigenes Weib gekannt haben! Der Witwe Reaktion jedenfalls fiel ungleich heftiger aus. Schon hatte sie das nächstbeste Hackebeil gegriffen und verfuhr mit dem Treulosen wie der Fleischer mit der Herbstsau. Holzkopf hab ich ihn immer genannt, sein Schädel aber ließ sich leichter spalten als jeder Schweins- oder Kalbskopf, sagte sie mal. Ihren Liebhaber derart traktiert zu sehen, habe das Mägdlein zu schreien angefangen, dass man es im Nachbardorfe noch gehört haben mag. Erst da sei der Witwe klar geworden, was ihr nun bevorstand, welche Tat sie begangen. So flog sie aus, so, wie sie war, ohne Hab und ohne Plan, und wurde vor Ort niemals wiedergesehen.
Dass ihre Historie endlich die gewaltigen Wellen schlug, die sie schlug, und der Witwe regelrechte Berühmtheit in ihren Landen bescherte, indessen sie alleine durch die Wälder streifte, mag durchaus am Zeugnis jener Magd gelegen haben, welche nämlich folgend steif und fest behauptete, nur ganz zufällig in gemeldete Küche gelangt zu sein und dort zu ihrer schrecklichsten Überraschung die Witwe beim Zerlegen ihres Mannes erwischt habe. Nicht lange dauerte es, da wurde die Witwe als Hexe und Teuflerin verschrieen und ausgerufen, ihre Geschichte immer weiter verfeinert und ausgeschmückt, wie bei derlei Historien nun mal zumeist und mannigfaltig geschieht; dass sie ihren Mann verzaubert und verhext habe, seine Leiche zu verspeisen gedachte oder gar ihren Gästen vorzusetzen, dass sie ohnehin schon immer verdächtig und wunderlich gewesen, man sie bei dieser Zauberei und jenem seltsamen Verhalten gesehen habe. Und solcherlei noch etliches mehr, dass man sich in summa also bald einig war, was selbige doch für ein absonderliches und liederliches Hexenweib gewesen sei. Von Ort zu Ort wurde ihre Geschichte getragen, dass sie schließlich fast zur Legende wurde in unseren Hegauer Landen. Hochtrabende Namen erhielt die Witwe: das Satansweib, die Schlächtertilie, die Teufelswitwe und dergleichen mehr. Ein Kopfgeld wurde ausgesetzt, und Tuttlinger Schergen visitierten Häuser, Wald und alles, wo sie die Witwe zu finden hofften, beließen dabei kaum einen Stein unumwendet. Die Witwe aber hielt sich fern von ihrer alten Heimat, war gewarnt durch die vielen Zeitungen über ihre Person, schlich durch die Wälder von hier nach dort, bis sie schließlich von unserer Räuberbande aufgegabelt wurde. Wagner nahm sie in die Bande auf und bald darauf auch in sein Bett, was ihr sicherlich zugute kam, denn der eine oder andere Schurke mag gierig auf das Kopfgeld gewesen sein, hernach bekannt geworden, wer sie in persona. So aber schützte sie der Wagner, der schnell redlichen Gefallen an ihr fand, an ihr selbst wie an ihrem Renommee.
Eine schöne Frau war sie, wenngleich ihre Schönheit erst auf den zweiten Blick sich offenbarte, um die vierundzwanzig Jahre muss sie damals gezählt haben, als ich zu ihnen stieß, mit glatter Haut und kantigen Gesichtszügen, goldenem Haar und blauen Augen. Ich frug sie mal, ob sie bereute, was sie getan, worauf sie mich lange ansah und dann sagte: Bist der Erste, der mich das fragt. Sie dachte eine Weile nach. Vielleicht hätte sie dem Dirnchen noch selbige Behandlung zukommen lassen sollen wie ihrem Mann, vermeinte sie dann im Spaß, um gleich darauf ernst hinzuzufügen, um ihre Kinder dauere sie es sehr wohl. Sie nicht mehr sehen zu können, sie nie wieder sehen zu können. Vielleicht waren es ihre mütterlichen Gefühle, die sie so große Sympathie für mich hegen ließen, denn sie gab gut Acht auf mich und schaute stets, dass mich die anderen nicht zu arg traktierten. Und von Gewicht war ihr Wort unter den Räubern, genoss sie ordentlich Respekt, und keiner wagte, sie zu kommandieren.
Obzwar ihre Version des Geschehenen unter uns Räubern durchaus bekannt war, vermeine ich, dass mancher sich dennoch fragte, ob nicht mehr dahinter stecke, ob nicht am Ende doch stimme, was die Magd und das Volk so erzählten, und endlich auch, ob nicht, wie es in unserer Zeit so gerne vermutet und auch angenommen wird, der Teufel seine listigen Finger im Spiele habe. Und so schaute mancher gewiss zwiespältig auf die Witwe, und des einen oder anderen Mals wurde ich gewahr, wie hinter ihrem Rücken getuschelt wurde und auch jenes eine Wort fiel, das so leicht ausgesprochen und umso viel schwerer zurückgenommen ist: “Hexe!” Und ich muss gestehen, dass ich selber anfänglich mir gleichfalls die Frage stellte, ob es bei ihr nicht doch mit dem Teufel zugehe.
Noch gut kann ich mich an den Fall erinnern, als einst die Witwe einen Neuling zum Küchendienst abkommandieren wollte, dieser aber vermeinte, Weiberarbeit sei solches, warum daher die Witwe Befohlenes nicht selber verrichte. Da zog sie ihr langes Messer, das sie stets an der Seite trug, hielt es ihm vor das Gesicht und vermeinte, dass sie als Weib freilich gerne koche, am liebsten Zunge, weshalb sie wohl in der Nacht ihn um die seine zu erleichtern gedenke, damit die anderen kosten mögen, wie solch räudige Zunge schmecke, und damit zog sie ab. Oje, meinte darauf einer der Korporale, Hans Schuhmann war’s, mit besorgtem Ton: Da hast dir aber üble Suppe eingeschenkt. Worauf die anderen eifrig nickten. Der Neue meinte trotzig, dass er doch keine Angst vor einem Weibe habe. Ob er denn nicht wisse, mit wem er sich da eingelassen?, fragte man ihn, was dieser verneinte. Worauf sie ihm erzählten wer die Witwe sei, was ihr zu Lasten gelegt und was man über sie so erzählen würde. Unterließen dabei freilich nicht, ihre Berichte auf das Prächtigste auszuschmücken und auf das Bildlichste zu schildern und obendrauf mit allerlei Grausamkeiten zu würzen, dass Menschenfleisch zu kredenzen ihre größte Freude sei, dass keiner wirklich sagen könne, wie viele sie schon geschlachtet und verfressen, und dieser Art noch vieles mehr, versuchte ein jeder die Geschichte seines Vorredners an Graus und Schrecken noch zu übertrumpfen, dass der arme Kerl endlich ganz weiß um die Nase geworden. Ja ob denn keiner etwas gegen die Hexe zu unternehmen gedächte?, vermeinte dieser darauf. Gegen die Witwe?, erwiderte der Schuhmann und streckte die Handflächen von sich. Bin doch nicht des Lebens müde! Mit der will ich keinen Händel. Musst die Suppe, die dir eingebrockt, schon allein löffeln.