Rosenegg. P.B.W. Klemann
werde; denn Krieg lag in der Luft, schien schon damals nur eine Frage der Zeit, wann die Großen zu den Fahnen riefen, und Zeitung von kommendem Unheil gab es überall.
Kaiser Matthias war müßig zu jener Zeit, hatte sich nach erfolgreichem Bruderzwist, als er seinen Bruder Rudolf ausgestochen, an seinen Hof zurückgezogen, aus Altersgründen wohl, doch wenn das Oberhaupt der Macht der Machtausübung entsagt, so finden sich stets jene Menschen, die begierig sind, sich ihrer zu bedienen. Bruder Martin hier sagte mir mal, denn ein schlauer Fuchs ist er und weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen, dass Macht stets nach ihrer Ausübung strebt und, so die Mächtigen sich ihrer verweigern und sie nicht zu nutzen wissen, sie sich anderweitig bedient. Er sprach von ihr, als sei sie ein eigenes Wesen, habe Verstand und Willen. Und so käme es, dass, wenn die gottgewollten Herrscher zu alt oder zu jung oder zu dumm sind, die Macht sich anderweitig bediene, entstünden all jene großen Männer, die begierig die Ruder ergriffen, käme es zu einem Olivares in Spanien, einem Buckingham in England und einem Richelieu in Frankreich, welche im Namen der Könige und Prinzen handeln und ihrer statt die Politik bestimmen, was freilich nicht gut Zeugnis hinterlässt für unsere Herrscher. Khlesl war damals der Mächtige im Dienst des Kaisers, und gewiss wirst du den Namen schon vernommen haben, doch hinter ihm lauerten noch Eifrigere, noch Gierigere und noch Gefährlichere, die letztlich den Krieg beschworen, lauerte ein Erzherzog Ferdinand, der spätere Kaiser, ein Maximilian, der listige Bayer, und manche mehr, die sich den alten Glauben auf die Fahne geschrieben, ihn zum Siege zu führen.
Damals im Wald verstand ich noch nichts von Politik und Welt, waren es alles böhmische Dörfer für mich, kannte zwar wie die meisten die großen Namen jener Zeit, doch wie sie verstrickt und was ihr Begehr, davon wusste ich so wenig wie vom Kriege selber, und erst viel später lernte ich das Spiel der Mächtigen deuten, wobei mein Herr mir trefflicher Lehrmeister war. Meinen schurkischen Kameraden ging es ganz ähnlich, träumten sie nur davon, zu kämpfen und zu kriegen, auf wessen Seite und für wen war den meisten egal. Nur die Brüder Linz nannten sich offen Lutheraner. Nicht mal ihnen vertraute ich an, was ich des Ursprungs mal gewesen. Ja, gewesen sag ich, denn was ich im Walde war, das weiß ich nicht, dachte ich nicht darüber nach und ging auch freilich nicht zur Kirche. Gott war mir fern damals, so glaube ich, war verstritten mit ihm, und auch wenn ich mein Kreuz machte und oftmals ein Gebet aufsagte, in schwerer Lage, war in meinem vernarbten Herzen kein Platz für ihn, und erst viel später fand ich zu ihm zurück und ließ ihn ein; ich fürchte leider zu spät.
Erzählt von der unzufälligen Begegnung mit einem Teufel ohne Namen
So lebte ich jedenfalls als Räuber dahin und lebte dergestalt fröhlicher, als es sich wohl für einen Predigersohn gebührt, bis schließlich im Frühjahr anno 1616 es zu jener unglückseligen Begegnung kam, die manches Leben verändern und manches kosten sollte, mich jenem Mann vorstellte, der für so viel Gräuel und Leid in meinem eigenen Werdegang Verantwortung trug.
Wir im Süden lieben unsere Feste, vor allem die im Frühjahr, feiern am St.-Burkhards-Tag, wo kräftig Most ausgeschenkt wird und dazu die gute Sau serviert, ganz besonders aber feiern wir die “Fastnacht”, was man dort die “Fasnet” nennt, lieben doch die Hegauer, sich zu verkleiden und zu tanzen und zu saufen, haben viele Ortschaften dann ihre eigenen Feste an bestimmten Tagen und laden die umliegenden Dörfer ein, trifft man sich auf großen Festwiesen, wo Zelte und Stände aufgebaut werden, es gutes Essen und Trinken gibt, tragen die Damen dann gewobene Blumenkränze auf dem Haupte, auf den weißen Hauben sitzend, haben die Haare schön geflochten zu langen Zöpfen, ihre besten Kleider an; laufen Horden von Narren umher, verkleidet mit den buntesten Kostümen, verziert mit klimpernden Glöckchen und ratternden Holzrasseln, andere binden sich Strohbündel um die Arme, um die Beine, um den ganzen Körper, tragen geschnitzte Holzmasken dazu, manche lachend mit halbmondförmigen Augen, andere schrecklich grinsend oder grausig schauend mit spitzen, gruseligen Zähnen und schlitzigen Augen, führen sie allesamt grobe Besen, die Wintergeister auszukehren.
Herrlich wird dann getanzt und Musik gespielt, tanzen und springen und lachen die Jungfrauen mit den Kerlen ihrer Wahl, lassen sich im Kreise drehen, an den Hüften halten und hochwerfen, dass es die Kleider hebt und die Mieder drückt, man Dinge sieht, dem Beichtvater zu berichten.
Aufs Trefflichste feierten auch wir Räuber damals, ließen uns den Spaß nicht nehmen, uns unters Volk zu mischen. Allerorts hieß es dann saufen und fressen, als gäbe es kein Morgen, wurde aufs Herrlichste Völlerei betrieben, dass einem Franziskus das Herz geblutet haben möge. Und redlich getan haben sie’s, die guten Hegauer Leute damals, denn zu feiern gab es einige Jahre später wahrlich nicht mehr viel, ist viel schönes Brauchtum verschwunden und vergessen seither, gefressen vom Kriege und seinen Kindern.
Damals jedenfalls ging es noch hoch her, war der Höhepunkt, der “schmotzige Dunschtig”, wie man bei uns sagt – wo jedes Dorf wetteifert mit dem nächsten, wer die schönste Festlichkeit ausrichte, und wir von Ort zu Orte zogen und blieben, wo es uns gerade gefiel –, bereits vorüber gewesen und galt es nun, den letzten der Festtage zu genießen, den Aschermittwoch, bevor die guten Katholiken sich ans Fasten machten.
Ich durfte mit dem Hauptmann und einigen anderen mit nach Radolfzell, war jenes bekannt für seinen schönen Aschermittwoch. Wie stets hatten wir ausgelost, wer mit dürfe, hatten Stöckchen gezogen, ließ der Wagner doch nicht zu, dass mehr als zehn Mann auf einmal an einen bestimmten Ort gingen, um kein zu großes Aufsehen zu erregen, aus Sorge, dass wir erkannt würden, kamen viele der Unseren aus den umliegenden Dörfern und Städten, waren bekannt und standen zur Verhaftung ausgeschrieben. Bastian war auch mit von der Partie, der Wagner selbst war freilich stets dabei, so er denn Lust verspürte, was er meist tat.
Gut kann ich mich an jenen Tag entsinnen, waren wir zusammen zur Messe gegangen zu Radolfzell im Münster dort, und ich, der ich zeitlebens kein katholisches Gotteshaus betreten hatte, machte große Augen, als ich unter den hohen Kuppeln durchschritt, hoch zur hohen, verzierten Decke starrte und ernstlich dachte, es müsse eine der größten Kirchen überhaupt sein. Selbst heute noch gaukelt mir das Gedächtnis ihre Größe vor, obzwar ich wohl weiß, dass jenes Münster nichts Besonderes ist, weder berühmt noch bekannt. Voll war es dort gewesen, voll die Straßen und die Plätze, voll das Gotteshaus, und wir drängten uns vor zu den Pfaffen, von denen eine ganze Meute vor dem Altar aufgereiht stand, in ihrer Mitte ein besonders prächtig Ausstaffierter, mit goldbestickter Mitra nebst goldbestickter Kasel, einem goldenen Stab mit gewundener Spitze, goldenen Ketten mit Kreuzen daran und goldenen Ringen, mit Edelsteinen geziert, fast an jedem Finger einen, ein Bischof, wohlgemerkt. Sie streuten den Leuten Asche über die Häupter, und auch meine Kameraden gedachten, sich dergestalt segnen zu lassen. Die meisten drängten zu jenem Goldpfaffen, doch mir war es einerlei, und so ging ich zu einem weniger frequentierten am Rande, lauschte dem Chor, der über dem Altar auf einem Balkon beisammenstand und lateinische Lieder trällerte, mit vielen “Deus” und vielen “Sanctus”, indessen der Pfaffe mir kreuzförmig die Asche übers Haupt streute und mich segnete.
Froh war ich, wieder draußen zu sein, fühlte ich ein schlechtes Gewissen, waren mir noch zu sehr die Predigten meines Vaters in Erinnerung, vom lästerlichen Prunk und Protz der Katholischen, von ihren abergläubischen Sitten und Gebräuchen, dass ich mir gramvoll die Asche vom Haupt schüttelte. Indessen ich draußen auf meine Kameraden wartete, denen es wichtig war, sich vom Bischof persönlich zu salben, beobachtete ich die holde Damenwelt, war ich damals noch sehr schüchtern und unbeholfen, wagte nur verstohlen hinter schönen Röcken herzuschauen, und sah, dass sie den Weibern mit der Asche ein Kreuz auf die Stirn gemalt statt wie bei unsereins übers Haupte gestreut.
Ich beschaute mir gerade ein besonders schönes Exempel jener Gattung, als ich einen Kerle bemerkte, der mir irgendwie bekannt vorkam und der, wie ich mir einbildete, meiner Wenigkeit mehr Beachtung schenkte, als ein Dahergelaufener gemeinhin zu tun pflegt. Kaum dass er bemerkt hatte, dass ich ihn bemerkte, wandte er schnell den Blick ab und tat, als interessiere ihn allein das Treiben vor dem Münster. Doch bevor ich mir