Rosenegg. P.B.W. Klemann
eben das Gotteshaus. So gingen wir zusammen hinüber zum großen Marktplatz, wo schon die Narren ihr Unwesen trieben, tranken dann gutes Frühjahrsbier aus großen Krügen, von welchen mir der Wagner ein ganzes spendierte, beobachteten die Tänzer und Musizierer, und alsbald hatte ich den schaulustigen Gesellen ganz vergessen.
Nachmittags dann beschloss der Wagner, in ein bekanntes Wirtshaus zu gehen, liebte selbiger doch das Spiel, die Würfel, aber vor allem den Karnöffel, bei dem ihm keiner was konnte. Es roch nach Rauch und Essen, nach Bier und Wein, war laut und fröhlich, und schöne Kurzweil hatten wir. Der ein oder andere nahm sich eine der Dirnen, die sich feilboten, meist dann, wenn das Spieleglück den Beutel füllte. Und ich und Bastian hatten den besten Spaß, uns im Biersaufen zu messen, von unseren Kameraden angefeuert, wobei ich bei Weitem den Kürzeren zog, was mir allein nicht zum Nachteil gereichen sollte, denn alsbald waren wir beide so trunken und fröhlich, dass wir mit den Spielleuten um die Wette tanzten. Als die Sonne schon niedrig stand, wurde endlich zum Aufbruch geblasen, hatten wir doch noch einen rechten Weg vor uns. Ans Gehen machten wir uns also, schwankend gen Ausgang hin, da fiel mir erneut der Kerle von vorhin ins Auge. Am Tresen saß er mit einem weiteren noch, was freilich keiner Rede wert wäre, doch wieder hatte ich den unbestimmten Eindruck, er habe an unserem Volk besonderes Interesse. Noch ehe ich jemandem von meiner Entdeckung berichten konnte, schwang der Bastian seinen Arm um meine Schulter, zog mich aus dem Wirtshaus und stimmte ein Marschlied an, und sei es meinem trunkenen Zustande geschuldet, war jedenfalls kurz darauf der seltsame Kerle erneut meinem Geiste entschwunden.
Der Wagner hatte noch zwei Schläuche guten Wein für den Rückweg spendiert, war ihm das Spieleglück wie meist hold gewesen, was auch daran gelegen haben mag, dass ich, holte ich ihm neuen Wein oder anderes, unauffällig in die Karten der Mitspieler spickte und so ich den Karnöffel oder die böse Sieben entdeckte, es ihm sogleich signalisierte. Wir spazierten jedenfalls fröhlich durch die Lande, spritzten uns gegenseitig Wein ins Maul, schuckten und rauften uns und sangen aufgeschnappte Lieder, waren so unbeschwert, wie Räuber es sich nicht gestatten sollten, und erkannten deshalb die Gefahr erst viel zu spät.
Eine vertraute Brücke über die Aach überschritten wir, hernach der Weg eine strenge Kurve rechtswärts nimmt, als vor uns auf dem Wege eine rechte Zahl an Kürassieren steht. Einfach da standen sie, als erwarteten sie jemand bestimmten, allesamt zu gutem Ross und schwer bewaffnet, was zu jener Zeit, als der Krieg seinen Einstand noch nicht gegeben hatte, ein durchaus ungewöhnlicher Anblick war. Entsprechend stockten wir, machten große Augen und blieben stehen. Da vernahmen wir hinter uns Geräusche, und als wir uns umblickten, ersahen wir weitere Berittene, die uns den Fluchtweg zur Brücke hin abschnitten, und wieder andere kamen von der dem Fluss gegenübrigen Seite hervor, uns endlich auch des letzten Fluchtwegs zu berauben.
Erschrocken sahen wir uns um, doch kein Ausweg verblieb und an Kampf wäre selbst dann nicht zu denken gewesen, wenn wir unsere Waffen dabeigehabt. Ein dicker, kräftiger Kerl, der seine Rüstung derart ausfüllte, dass die Schnallen im letzten Loch steckten, kam mit seinem Gaul zwischen den Kürassieren hervor. Wer wir Burschen denn seien?, fragte er. Der Hauptmann antwortete, nur Tagelöhner seien wir und auf dem Weg nach Hause. So, so, meinte jener. Tagelöhner also? Seht allein zu gut gekleidet aus, will ich meinen. Zwar waren meine Begleiter nicht so ausstaffiert, wie sie es bei ihren Raubzügen zu tun pflegten, doch ließ es sich der Hauptmann nicht nehmen, den guten Stoff zu tragen und einen schönen breiten Hut mit Feder. Es sei wohl nichts Verwerfliches daran gelegen, sich dergestalt zu kleiden, gab der Wagner zurück, und ich staunte über seine ruhige Art, mit der er solches erwiderte. Da deutete der Dicke auf mich und orderte seine Männer, mich zu ihm zu bringen. Gegen den Protest der Unseren packten sie mich, zerrten mich weg und hin zum Dicken, der derweil vom Ross gestiegen war und mir seinen schweren bewehrten Arm um die Schulter legte. So, mein Junge, sprach dieser zu mir. Nun sag mir mal schön leise ins Ohr, wo ihr denn genau wohnt und schafft? Ich durchschaute freilich sogleich seinen Plan und dachte scharf nach, doch hatten wir nichts abgesprochen, waren auf keinerlei Gefahr gefasst gewesen, sagte daher ausweichend, dass wir verschiedentlich wohnen und schaffen würden. Da packte er mich feste am Genick, rüttelte mich und sagte: Treib keine Spielchen, Lümmel! Sag mir, wo zum Beispiel jener dort wohnt, und zwar genau, und sag’s leise! Auf Gustav hatte er gezeigt. Was hätte ich wohl sagen sollen in dieser Situation? Ich wusste es nicht, dachte mal dieses, mal jenes, überlegte, mein altes Heim in Horn zu beschreiben, doch würde danach der Gustav befragt, wie sollte jener solches je richtig erraten? Weißt es wohl nicht, was? Na, ihr seid Kameraden! Und wo wohnt der da?, fragte er weiter und zeigte auf einen anderen, und wieder wusste ich nicht, was sagen. Und der?, brüllte er. Und endlich sagte ich gar nichts mehr, brauchte nichts mehr sagen, denn augenscheinlich war, wie die Sache stand. Einen rechten Haufen Schelme haben wir hier. Jetzt wird der nächste Baum mit euch geschmückt! Meine Kameraden stellten sich dicht zusammen, bereit, ihr Leben zu defendieren. Die Kürassiere zogen blank und mancher richtete eine Pistole auf die Unsrigen. Da hob der Dicke den Arm und sagte: Ruhig Blut, meine Freunde, wohl wissen wir, wer ihr Schelme in Wirklichkeit seid. Von der Wagnerischen Bande seid ihr, will ich meinen. Dann direkt zu unserem Hauptmann: Mag sich gar der Räuberfürst in persona unter euch befinden. Der Wagner trat einen Schritt vor, zwecklos wäre die Leugnung gewesen, so fragte er: Was wollt ihr? Die Frage ignorierend, fragte der Dicke zurück: Stimmt es denn, was mancher spricht, dass unter eurem Regiment an die hundert Mannen sich befinden? Was deutlich übertrieben war, zählten wir zu jener Zeit etwas über sechzig. Worauf der Hauptmann erwiderte: Stark genug seien wir wohl und auch willig, einen Preis für unser Leben zu bezahlen, der höher ausfalle als ausgeschriebenes Kopfgeld. Der Dicke lächelte erneut, ein Lächeln, dass sich einem die Nackenhaare sträubten. Ich will euch jemanden vorstellen, werter Hauptmann, der gerne das ein oder andere Wort an euch richten würde. Stumm gab der Hauptmann sein Einverständnis.
Zwei Kerle stiegen von ihren Pferden, visitierten den Wagner gut, nahmen ihm seine verborgenen Messer ab. Dann führten sie ihn zwischen den Ihren davon. Als sie ihn zwischen den Reihen wegführten, entdeckte ich hinter den Kürassieren eben jenen schaulustigen Gesellen von Radolfzell zuvor, und da verstand ich. Nicht der Zufall war’s, der uns zusammengeführt. Der Dicke ließ mich los und schickte mich zu den Meinen. Gegenseitig warfen wir uns Blicke zu, machten fragende Gesten, doch was verblieb schon als zu warten? Ich versuchte, zwischen den Reitern hindurch den Wagner zu erspähen, doch er war tief zwischen den Bäumen verschwunden. Eine ganze Zeit lang warteten wir gleich dem Verurteilten auf seinen Henker, als schließlich der Wagner retour kam. Gut sehe ich ihn noch vor mir, mit jenem gespannten Ausdruck im Gesicht, der zeugte, dass ihm Übles schwante. Sie ließen ihn nicht zu uns kommen, sondern, von den Kerlen bewacht, blieb er hinter den Reitern stehen. Dann sprach er zu uns: Sie werden euch jetzt mitnehmen. Lasst es geschehen. Es wurde mir gesichert, dass euch keine Gefahr drohe und dass wir beizeiten euch wieder auslösen können. Der Zweifel klang in seinen Worten mit.
Sie brachten einen leeren Wagen heran, den wir zuvor nicht gesehen hatten. Nacheinander packten sie uns, visitierten jeden nach Waffen, banden uns die Hände hinter den Rücken fest und hießen uns, auf dem Wagen Platz zu nehmen. Als wie alle gesessen, suchten meine Augen die des Wagners, der machtlos zusah, wie sie uns wegführten, und als unsere Blicke sich kreuzten, sagte er: Bleib ruhig! Es wird schon gut werden. Ich hole euch da raus. Ernst meinte er es, das wusste ich. Sie holten Säcke hervor, sie uns über den Kopf zu ziehen und die Sicht zu nehmen. Zuletzt beobachtete ich den schaulustigen Gesellen, der unsereins ausgespäht und verraten hatte, sah, wie der Dicke ihm einen Beutel Münzen zuwarf. Dann dunkelte grobes Leinen meine Sicht.
Ruckelnd fuhr der Wagen los, hörte ich die Reiter sich Befehle zurufen, und bald schaukelte ich blind ins Ungewisse. Kaum nach der Abfahrt lauschte ich einem Flüstern des Korporals Stätter. Ob einer von uns etwas ersehen könne?, fragte er, da rief sogleich eine Stimme nah bei uns, dass das Maul zu halten sei, und ich hörte einen Schlag und ein Stöhnen. Danach war Ruhe. Ich schärfte meine Sinne, zu erspüren, wohin sie uns brächten, allein ganz vergebens, müssen wir über eine Stunde unterwegs gewesen sein. Irgendwann hielt der Wagen an. Einzeln führte man uns in ein Gebäude, etliche Treppen hinab, endlich in einen Raum, wo man uns die Säcke von den Köpfen zog. In einem Verlies fanden wir uns wieder. Ich und vier weitere Kameraden, Korporal Volker Brand, Christoph Stelzer, Martin Zimmermann und der Bastian, mussten