Rosenegg. P.B.W. Klemann
hinderte es die Beraubten, schnell Hilfe holen zu können, so wir fort waren, war zudem immer gutes Handeln mit den Tieren.
Manchen grämte es, wenn er sich großzügig zeigte, doch war es gute Strategie, verhinderte es doch, dass zu großer Groll entstand, dass uns zu hartnäckig nachgestellt wurde von der Obrigkeit. Dementsprechend ging unser Hauptmann besonders ehrerbietig mit Edelleuten um, so uns welche im Wald in die Netze gingen, was eher selten der Fall war, da diese häufig mit zu großer Knechtschaft zu verreisen pflegten und wir uns vor Bewaffneten meist hüteten. Geschah es aber doch, dass wir eine schöne Kutsche erspähten mit mäßigem Begleitschutze, so überfielen wir auch diese, und dann präsentierte sich der Wagner von seiner nobelsten Seite. Grüßte die Bedrohten mit größter Liebenswürdigkeit, zog den Hut und bat um Verzeihung für die kommenden Unannehmlichkeiten, um sie folgend von ihren Wertsachen und Pferden zu erleichtern. Sogar manch Kompliment entsprang dann seinen Lippen, beschied etwa einmal einer alten, hässlichen Gräfin so herrliche Schönheit, dass der Verlust ihrer goldenen Ohrringe und der Kette dem kaum Abbruch haben könne. Die alte Schachtel nahm es gar mit Entzücken.
Nun mag sich hier der Leser vielleicht gedenken, welch nobler, edler Räubersmann hier geschildert ist, welch gutmütige Seele hier vorgestellt, so gut und edel, dass sie kaum mit der Wahrheit korrespondieren könne, denn Räubertum ist Grausamkeit, ist Raub, ist Mord, ist Schändlichkeit. Und recht und unrecht hätte er zugleich, denn obzwar der Wagner wie beschrieben seine edlen Seiten besaß, sich seine Gaunereien in der Tat derart zugetragen haben, er meist verständig und vernünftig war, gab es auch die andere Seite in seinem Charakter, die herrische, bestimmende und sogar grausame. Tatsächlich scheint mir dieses ein Charakteristikum zu sein, das viele Männer seines Schlages eint, zwei Herzen in der Brust, das sorgende und gebende sowie das herrschende und fordernde. Auch in meinem Herrn vermeine ich Ähnliches erkannt zu haben, genauso wie im Maximilian, im Friedländer oder manch anderem großen Mann, den ich im Laufe der Zeit kennenlernen durfte, der hier im Späteren noch beschrieben sein wird.
So sei auch Zeugnis abgelegt von diesem Wesenszug des Wagners, dass du, lieber Leser, dir ein ganzes Bild machen kannst. Einmal etwa überfielen wir einen Grafen, der mit kleiner Eskorte reiste, vier Knechte an der Zahl. Hatten sie gut gestellt, an einem Weg, der beidseitig durch Felswände umsäumt war und keine Möglichkeit der Flucht hergab. Die Knechte wurden entwaffnet, und als es an die Plünderung ging, trat ein Graf mit Frau und Tochter aus der Kutsche. Wie es seine Art war, grüßte sie der Hauptmann freundlich und sagte seine Sprüchlein auf, da spuckte ihm der Graf mitten ins Gesicht und sagte: Treib nur dein Spiel, du Schuft, und dann bete, dass ich dich nicht in meine Finger kriege! Lange sah ihm der Wagner in die Augen, wich seinem Blick um keine Haaresbreite aus und wischte sich den Speichel ab. Nun wird deine Tochter den Preis für dein Maulwerk zahlen!, sprach er dann und befahl, den Grafen gut festzuhalten. Worauf er das junge Mädel packte, sie bäuchlings auf einen Felsen niederdrückte und sie vor den Augen des tobenden Vaters und der jammernden Mutter schändete. Ich blickte zur Witwe, in Sorge, wie sie es nehmen würde, sah sie allein herzlich grinsen. Danach fledderten wir sie bis auf das letzte Hemd, steckten ihnen zuletzt noch die schöne Kutsche an.
Mit besonderer Härte ging der Hauptmann gegen andere Räuberbanden vor, ließ nicht zu, dass sich eine andere Bande auch nur in der Nähe unseres Waldes niederließ. Als solches mal erfolgte, wir erfuhren, dass eine Bande von zwölf bis fünfzehn Mann sich im Wald aufhielt, brachen wir mit voller Mannschaft und kräftiger Bewaffnung auf. Wir stellten sie bei ihrem Unterschlupf, hatten sie gut von allen Seiten umzingelt. Dann trat der Wagner vor sie hin und fragte, was sie in seinem Wald zu schaffen hätten und wer ihr Anführer sei? Ein großer, furchteinflößender Bursche meldete sich als Anführer, ein mutiger Kerl zweifellos, denn er zeigte keine Spur von Angst, trat selbstbewusst auf den Wagner zu und sagte, dass im Wald ja wohl genug Platz sei für beide Parteien. Jener nickte nur langsam, als sei er der gleichen Meinung, zog dann mit fließender Bewegung seine gute Pistole und schoss dem Gegenüber mitten ins Gesicht, dass mächtig Blut und Hirn aus dem Hinterkopf spritzten. Danach sah er sich um, als sei nichts geschehen, sah von einem zum anderen, als habe er eben die trefflichste Unterhaltung geführt, und sagte schließlich, wer von den Übrigen sich seinem Kommando unterstellen wolle, dem stehe dies frei, der Rest habe noch zu gleicher Stunde seinen Wald zu verlassen. Die Mehrzahl schloss sich uns an.
Auch wenn der Kommandant meist freundlichen Fußes zu allen seinen Untergebenen stand, sich mal hier, mal dort nach dem Befinden erkundigte, Mut zusprach und Lob austeilte, konnte er, so der Anlass es erforderte, auch hier sein anderes Gesicht aufsetzen. Gut in Erinnerung ist mir die Szene geblieben, als der Wagner mit der Witwe und mir im Gefolge von unserem Pferdegatter heimwärts lief – hielten wir die Gäule nämlich entfernt vom Hort, da diese zu laut und auffällig seien und deswegen zu leicht entdeckt werden könnten, wie der Wagner bestimmte – und wir den Amon bei zwei anderen Kameraden große Reden schwingen hörten. Welch Natter sich der Hauptmann da ins Bett geholt, tönte dieser lautstark; dass ihres armen Mannes Schicksal bald das selbige des Wagners sein werde, prophezeite er. Ich glaub, ich sollt mal ein Beil nebens Bett legen, dann ist der Hauptmann bald ein anderer, spottete der Amon zuletzt. Das folgende Lachen blieb ihm freilich gut im Halse stecken, als er den Wagner hinter sich erblickte. Oh, du göttlicher Augenblick! Dieser schritt daraufhin auf Amon zu und packte mit der einen Hand des Gegenübers Nacken und zog dessen Gesicht fingerbreit an seines ran. So, so, und du willst dann wohl meine Nachfolge antreten, was?, fragte er dann. Nein, nein, stammelte der Amon, er habe es doch nicht derartig gemeint. Du kannst dir vorstellen, lieber Leser, dass ich herzlich genoss, den Finsterling so reuig zu sehen, der mich so fleißig geschunden, und sehr bedaure ich, das folgende Schauspiel verpasst zu haben, das ich nur aus Wiedergaben schildern kann. Der Amon jedenfalls wurde so kräftig geprügelt und gedrillt, dass er an die zwei Wochen brauchte, um sich zu erholen. Und magst du nun glauben, dass jener hernach bittere Rache schwor, den Wagner fortan kräftig hasste und nur noch Zetermordio schrie, so sei dieses hier widerlegt, denn e contrario gab es nach jenem Vorfall wohl kaum einen demütigeren Fürsprecher des Hauptmanns als eben diesen.
Was mich dem Schauspiel fern gehalten, war die Witwe gewesen, war diese nämlich, als wir jene Reden hörten, davongelaufen. Ich lief ihr hinterher und fand sie auf einem Baumstamm sitzend und weinend, ein Bild, das durchaus ungewöhnlich war, denn kaum je ist mir eine wackerere Frau begegnet, konnte sie es an Mut mit jedem Manne aufnehmen. Als sie mich sah, zwang sie sich ein Lächeln ab. Was los sei?, frug ich besorgt. Erst sagte sie nichts und wischte sich nur die Tränen ab, was mir die Zeit gab, mich neben sie zu setzen. Ach weißt, sagte sie dann. Ich liebt ihn doch so, und schaute betreten zu Boden. Ich wusste nicht recht, was damit anfangen. Den Wagner? Da sah sie mich an, als sei ich blöd. Doch nicht den, antwortete sie, den Holzkopf mein ich, meinen Mann, und begann wieder kräftig zu weinen.
Dieser Art jedenfalls herrschte unser Hauptmann, gab mit der einen Hand, um mit der anderen zu peitschen: So wird Politik gemacht! Und mit Erfolg, denn in jenen ersten beiden Jahren, die ich als Räubersmann verbrachte, litten wir kaum je des Hungers, verloren nur zwei Männer an Krankheit und wuchsen stetig an Mannschaft, dass schließlich unser prächtiges Heim kaum reichte, alle zu beherbergen.
Ich erinner mich an schöne Zeiten, die wir verbrachten, wenn wir abends nach getanem Tagewerk beisammen saßen und über offener Flamme Fleisch brieten, nach Soldaten Art, wie wir es nannten, und dazu selbstgebrautes Bier tranken. Dann erzählten die vier Kriegsknechte, der Wagner und die Korporale, von ihren Abenteuern und Kriegen, und wir anderen hörten zu und machten große Augen. Wie eine andere Gattung erschienen sie mir dann, Helden aus einer anderen Welt, mit ihren Geschichten von Schlachten und von Kämpfen, von fernen Ländern und mächtigen Fürsten. Und nicht nur mir ging es so, auch die anderen sahen zu ihnen auf, waren es doch Bauern und Handwerker, Tagelöhner und Gesindel allesamt. Harte Männer, ungefragt, doch nun mal keine Soldateska, und so wurde allgemein versucht, diesen großen Vieren nachzueifern, sei es in der Art sich zu kleiden und zu schmücken – konnte kaum eine Hose weit genug geschnitten, mussten die Stoffe so bunt als möglich sein –, und hart wurde gestritten um die prächtigsten Hüte, den schönsten Schmuck und die edelsten Waffen, die wir auf Raubzug ergatterten. Ferner in der Art zu sprechen, wie es in der Armee Usus ist, ging es zum “Fouragieren” und auf “Patrouille”, den “Wachdienst” verrichten und ans “Visitieren”. Der