Rosenegg. P.B.W. Klemann
eine Wand meiner Behausung darstellten, eingelassen und mit Steinen und Erde so geschickt umbaut, dass der Rauch kaum ins Innere drang, die Wärme jedoch schon. Stolz war ich auf meinen kleinen Bau, und so niemand mutwillig das Erbaute zerstört hat, mag es heute noch stehen und wohnbar sein.
Tagsüber streifte ich umher und sammelte alles, was mir essbar oder nutzbar schien. Sammelte Nüsse, Eicheln, Pilze und Beeren, Schnecken und Vogeleier. So viele Zunderschwämme nannte ich mein Eigen, dass es mir lebtags zum Feuermachen gereicht. Ein Bächlein nicht weit weg versorgte mich mit frischem Wasser und dem ein oder anderen Krebs.
Am schlimmsten damals waren die Nächte, vor allem zu Beginn. Ich kauerte mich in den hintersten Winkel meiner spärlichen Behausung, die anfänglich einer Tür ermangelte, starrte in die tiefe Dunkelheit des Waldes, hörte allerlei Geräusche und vermeinte allerlei seltsame Schatten und Bewegungen zu sehen. Schreckliche Angst plagte mich, vor Wölfen, vor Bären oder Menschen, am meisten aber vor Geistern und Gespenstern und dergleichen, ließ mich kaum schlafen und viel zittern. Jeden Abend machte ich ein Feuer in der Feuerstelle, das die tiefste Dunkelheit vertrieb, doch schreckte mich dann des Nachts ein Geräusch oder schlechter Traum aus dem Schlaf, war das Feuer meist erloschen und um mich herum so dunkel, dass ich nicht wusste, ob ich die Augen offen oder geschlossen hatte. Oft weinte ich in meiner Schlafkuhle, weinte aus Angst und Kummer, barg mein Gesicht unter der Dunkelheit der Decke, um der Dunkelheit um mich herum zu entgehen. Der Ausbau meines Unterschlupfs machte es ein wenig besser, hatte ich mir schließlich ein dichtes Dach und eine aufklappbare Tür aus Ästen und Lehm gezimmert. Die Geräusche konnten sie freilich nicht fernhalten. Doch der Mensch kann sich an mancherlei Ungemach gewöhnen, und Stück für Stück gewöhnte ich mich an den Wald, an seine Geräusche und seine Dunkelheit.
So verbrachte ich Tag um Tag und Nacht um Nacht in völliger Einsamkeit, begann zu stinken und zu verwildern, aber auch zu vergessen und zu genesen. Hart war es ungefragt und ein knurrender Bauch mein steter Begleiter, doch gab ich mir so viel zu tun, dass mir unentwegt Arbeit verblieb, mich abzulenken, nicht an Vergangenes zu denken. Schlimmste Plage waren die vermaledeiten Läuse, sollten sie ein trefflicher Vorgeschmack auf die harten Kriegstage sein, mag eine ganze Heerschar in meiner Kleidung Unterschlupf gefunden haben, stachen und traktierten mich diese, dass ich ganz toll und wild wurde, mich ganztags lauste und kratzte. Ich versuchte sie zu versaufen am kleinen Bächlein, spritzte mich von oben bis unten nass und schrubbte mich mit Blättern und Ästen und tauchte meine Sachen unter Wasser, doch dauerte es keine drei Tage, plagten sie mich von Neuem. Doch wie mein Körper litt, er verschmutzte und verwilderte, reinigte sich meine Seele, reduzierte sich der Kummer auf ertragbares Maß.
Das milde Wetter des Frühlings, das stetig zunahm, machte vieles leichter, erhöhte den Ertrag meiner Streifzüge und ließ mich manche Zeit gar genießen. Ich weiß noch, wie ich mich freute, fand ich einen besonders dicken Schwamm, erspähte einen Beeren- oder Haselnussstrauch, am meisten aber, fand ich ein Vogelnest samt Eiern. Doch gleichsam meine Ernte zunahm, nahm mein Lager an Notwendigem ab. Pökelfleisch und Butter hatte ich bald durchgebracht, der Speck und das Mehl hielten wenig länger. Als mein Salzstein nur noch die Größe eines Kiesels hatte, wusste ich, dass ich meinen Status als Eremit nicht auf ewig wahren konnte.
Deswegen beschloss ich schließlich, herauszufinden, wo genau ich mich befand und welche Orte in der Nähe lagen. Ich packte einige Zunderschwämme und die Kreuzer, die der alte Amann mir gegeben, zum Handeln ein und brach auf. Schnurgerade versuchte ich, in eine Richtung zu gehen, behielt den Berg in meinem Rücken und lief hangabwärts in flacheres Land. Geraume Zeit dauerte es, eine Stunde vielleicht, bis endlich sich die Bäume lichteten und bald darauf ich einen Fluss erreichte, durch dessen Schneise der Blick in die Ferne möglich wurde. Ich erklomm einen zum Flusse geneigten Baum und spähte flussaufwärts, wo ich deutlich den Hohentwiel, gekrönt von jener größten Burg unserer prächtigen Hegauer Festen, erkannte, dann flussabwärts, wo ich, wenn auch undeutlich, das Blau des Bodensees schimmern sah. Zu Recht, wie später gewiss wurde, vermutete ich, mich an der Aach zu befinden, einem kleinen Fluss durch unser Land, an dessen Mündung ich des Öfteren schon meine Netze ausgeworfen. Flussabwärts also ging es zu meiner alten Welt, zu Klara und dem Heim, das nicht mehr meines war, und zu jenen, die mich fortgeschickt. So schlug ich die entgegengesetzte Richtung ein. Folgte dem Verlauf so lange, bis die ersten bebauten Felder sichtbar wurden und die Häuser eines Dorfes sich abzeichneten.
Ein kleines Dorf war’s, kaum größer als Horn, welches mich verstoßen, doch ragte in dessen Mitte ein stattlicher Bau gen Himmel, der unzweifelhaft ein Schloss sein musste. Daher mit Sicherheit ein Markt und einige Läden ebenfalls zu finden seien, ich also gefunden, was ich suchte, und doch schlich ich entlang des Waldrandes gleich einem scheuen Reh und traute mich kaum, den Schutz der Bäume zu verlassen. Seltsam war jenes Gefühl, lieber Leser, wenn ich heute darüber nachdenke, denn in summa war es keine Ewigkeit, die ich im Wald verbracht, und doch hatte ich die Einsamkeit so verinnerlicht, dem Zivilen so entsagt, dass ich nun wie ein Narr hinter einem Baum versteckt das Dorf anstarrte und mich nicht überwinden konnte, weiterzugehen. Zwei Tage schlich ich ums Örtchen, wie der Wolf ums Aas, und schlich doch immer unverrichteter Dinge wieder in mein Heim zurück.
Erst am dritten Tage konnte ich mich schließlich durchringen und das Örtchen betreten, und schwerlich lässt sich beschreiben, wie seltsam und fremd mir alles vorkam. Ängstlich sah ich zu allen Seiten, empfand Furcht, als bestünde die Gefahr, ertappt zu werden, als habe ich mir etwas zu Schulden kommen lassen und würde im nächsten Moment gefasst. Die Ansässigen musterten mich zudem mit schrägem Blick, was mich desto mehr verunsicherte, aber freilich vielmehr an meinem mitgenommenen Äußeren gelegen haben mag. Mein Haar war inzwischen lang und schmutzig und zerzaust, stand regelrecht zu Berge; mein Antlitz, auch wenn ich es regelmäßig im Bächlein wusch, sah sicherlich nicht arg besser aus, und meine Kleidung, von all der Pirsch durch Wald und Geäst, war verschlissen und zerlumpt. Schüchtern frug ich eine Dame, wo denn der Markt zu finden sei, die mir alsbald den Weg wies. Eine Brücke machte die Aach passierbar, und der Weg dahinter verlief hangaufwärts, genau zwischen Schloss zur rechten und Kirche zur linken Seite. Der Markt war auf einem Platz vor der Kirche. Ein kleiner Markt, kaum zehn Stände wird er gehabt haben, obwohl die Sonne noch nicht zu Mittag stand, zur besten Zeit also.
Ich verkaufte meine Schwämme weit unter Wert, da ich mich kaum aufs Feilschen einließ. Im gleichen Sinne zu viel zahlte ich für die Sachen, die mir nötig schienen, für Zwiebeln und Korn und Speck. Ich kaufte Salz beim Salzmann und eine gute Decke beim Weber. Zuletzt besuchte ich den Bäcker, kaufte mir ein frisches Brot zum Verzehr und einiges an Schwarzbrot. Erst als ich das Dorf verlassen und meine so vertraut gewordenen Bäume wieder um mich hatte, entspannte ich.
Von da an besuchte ich den Ort, der den Namen Bohlingen trug, in regelmäßigen Abständen, und doch stets nur, wenn es um meinen Vorrat bedenklich stand. Ums Geld war es freilich knapp bestellt, und auch wenn meine Zunderschwämme etwas beitrugen, musste ich schwer kalkulieren. Dennoch kam ich, wenn ich mein damaliges Alter bedenke, gut zurecht; hatte mir alsbald die Aach als neues Fanggebiet für Krebse und manche Forelle erschlossen, verbrachte die schönen Sommertage mit unermüdlichem Sammeln, unbehelligt von der Menschenwelt, die ich mied wie der Teufel das Weihwasser.
So verging die Zeit, vergingen weitere Wochen und Monate, bis nach und nach die Blätter sich färbten, die Temperaturen sanken, der Sommer vorüber ging. Mit den Temperaturen fielen meine Erträge, fand ich immer weniger Eier, hatte viele Nuss- und Beerensträucher abgeerntet. Der Winter stand vor der Tür und drohte mir wie das Jüngste Gericht dem Sünder, denn wie er zu überstehen sei, konnte ich mir nicht denken. “Im Sommer wird gsparet, im Winter wird gharret”, wie es bei uns heißt, und ich sparte, was ich konnte. Alles, auf das ich verzichten konnte, was nicht der Hunger sofort in meinen Mund trug, lagerte ich. Vergrub Nüsse, wie es die Eichhörnchen machen, sammelte Brennholz zu großen Haufen, sparte an Mehl und Korn. Doch wurde es immer kälter und damit immer schwieriger.
Wie herrlich muss es sein, in jenen Ländern zu leben, die keinen Winter kennen, wo nie der Schnee die Erde weiß färbt, wo ewiger Sommer ist und ganzjahrs geerntet werden kann. Auch heute noch stelle ich mir solch Leben paradiesisch vor und wunder mich, dass der Mensch nicht nur an solchen Orten lebt.
Damals träumte ich oft von Amerika, dieser fernen neuen Welt mit ihren herrlichen Ländern, voll