Zwischen Gartenbau und Gartenkunst: Gärtner und Gartengestalter in Wien und Umgebung 1918–1945. Erika Karner
wurden diese Gesetze oft nur halbherzig oder in sehr bürokratischer Weise vollzogen, sodass viele Opfer bei dem Versuch, ihr geraubtes Vermögen wiederzuerlangen, Kompromisse zulasten ihrer Ansprüche eingehen oder im Falle von Bargeld, Autos, Kunstsammlungen etc. gänzlich darauf verzichten mussten.309
Die vertriebenen jüdischen Gärtnerinnen Hanny Strauss und Yella Hertzka beantragten die Restitution ihrer Vermögenswerte, erlebten die Rückgabe jedoch persönlich nicht mehr. Einzig Helene Wolf erhielt ihre, unter Zwang an ihren „arischen“ nunmehrigen Ex-Ehemann verkauften Grundstücke restituiert und konnte verkaufen. Zu diesem Zweck kam sie Anfang der 1960er-Jahre aus den USA nach Österreich, kehrte jedoch nach dem erfolgreichen Geschäftsabschluss nach Kalifornien zurück.310
2.6 Zusammenfassung
Der am Beginn des Betrachtungszeitraums stehende Zerfall der Habsburger-Monarchie ging einher mit großen territorialen Verlusten ebenso wie mit einem, in heutiger Zeit unvorstellbaren, Bedeutungsverlust des Staates Österreich – von der europäischen Großmacht zum Zwergstaat.
Die territoriale und politische Neuordnung Europas führte in Österreich zur Republiksgründung, gepaart mit dem Wunsch, sich an Deutschland anzuschließen – dies wurde jedoch im Friedensvertrag von Saint Germain untersagt. Das Trauma der Bedeutungslosigkeit wirkte noch lange im kollektiven Bewusstsein der Bürger nach.
Für die Gärtner bedeutete das Ende der Monarchie auch das Aus für die Berufsgruppe der Herrschaftsgärtner und einer besonderen Form der Weiterbildung, nämlich des praktischen Austausches im Rahmen von Arbeitsaufenthalten auf verschiedenen Besitzungen ihrer Arbeitgeber. Mit der Abschaffung des Adels verloren die Gärtner zudem nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Förderer des Berufsstandes.
In Österreich gab es in den ersten Jahren der neuen Republik, getragen durch die Vormachtstellung der Sozialdemokratie auf Bundesebene, beachtliche sozialpolitische Fortschritte. Die neu geschaffenen Arbeits- und Sozialgesetze hatten auch für Gärtnereiarbeiter in gewerblichen Betrieben Geltung und verhalfen ihnen zu sozialer Absicherung und, im Falle der Landschaftsgärtner, zu Kollektivverträgen.
Nach dem politischen Wechsel auf Bundesebene – die Christlich-Sozialen hatte ab 1920 die Mehrheit – wurde das „sozialpolitische Experiment“ im „Roten Wien“ fortgeführt. Hier gelang es durch den kommunalen Wohnbau, die drückende Wohnungsnot zu lindern und wirtschaftliche Impulse zu setzen. Ermöglicht wurden diese Schritte durch die Loslösung Wiens von Niederösterreich und dem 1922 erlangten Bundesländerstatus, mit dem das Steuerfindungsrecht verbunden war. Die Politik des sozialdemokratischen Wien bildete damit ein Gegenmodell zur christlich-sozialen Politik auf Bundes- und Länderebene.
Die österreichweite schlechte Wirtschaftslage und der damit einhergehende Währungsverfall verbesserten sich mit Hilfe der „Völkerbundanleihe“ und der Währungsumstellung langsam. Die unabhängig davon weiter bestehende schlechte wirtschaftliche Situation der Gartenbaubetriebe, die meisten davon Gemüseanbaubetriebe, lag zum Teil am geringen Mechanisierungsgrad, der geringen Kapitalausstattung, unsicheren Pachtverhältnissen und der mangelhaften fachlichen Ausbildung der Inhaber und ihrer Mitarbeiter. Die der Sozialdemokratie nahestehenden Branchenvertreter sahen einen Lösungsansatz in der Regulierung und Steuerung der Produktion, also einer Planwirtschaft – dies wurde jedoch von den Christlich-Sozialen strikt abgelehnt, die ihrerseits die „hohen sozialen Lasten“, geschaffen durch die neuen Gesetze, als ein Grundproblem sahen und zudem Einfuhrbeschränkungen bei gärtnerischen Produkten sowie Zölle verlangten.
Mit der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre verschärfte sich die Situation der Gärtner zusätzlich. Die Gemüseproduzenten hatte Mühe, ihr Gemüse zu verkaufen, da aufgrund der stark gestiegenen Arbeitslosigkeit die Zahl der potenziellen Kunden sank; Gemüseimporte brachten zusätzliche Konkurrenz. Auch die Gartenarchitekten waren von der Krise betroffen, die Auftragslage war schlecht und renommierte Firmen wie die von Wilhelm Debor oder Albert Esch mussten Ausgleich anmelden. Sogar die damals größte Privatgärtnerei in Wien, die Rothschild-Gärtnerei, war gezwungen, Gärtner zu entlassen und Teile der Anlage zu schließen.
Die Arbeits- und Sozialgesetze stellten eine bedeutende sozialpolitische Verbesserung dar und erleichterten die Lage der zum Gewerbe gehörigen Gärtnereigehilfen zumindest auf dem Papier; in der Praxis war die Umsetzung oft schwierig. Acht-Stunden-Tag und Krankenversicherung, Arbeitslosengeld und Pensionssystem gab es für die Beschäftigten im Bereich der Landwirtschaft nicht. Von der hohen Arbeitslosigkeit waren die Gärtnereiarbeiter doppelt betroffen: erstens durch die wiederkehrende saisonale Arbeitslosigkeit und zweitens durch die hohe Arbeitslosigkeit aufgrund der schlechten Wirtschaftslage.
Die Machtübernahme durch Engelbert Dollfuß war begleitet von einem Verbot aller politischen Parteien, massivem Sozialabbau und der Ausschaltung demokratischer Strukturen einerseits und einer Bedeutungssteigerung der Landwirtschaft andererseits. Die geplante berufsständische Ordnung konnte nur in Ansätzen verwirklicht werden. In Wien kam der kommunale Wohnbau zum Erliegen, und Bürgermeister Schmitz versuchte durch Investitionen im Straßenbau (Höhenstraße, Wientalstraße), realisiert mit Hilfe des „Freiwilligen Arbeitsdienstes“, gegenzusteuern. Die Gartenarchitekten und Gartengestalter sahen darin unlautere Konkurrenz, konnten sich jedoch aufgrund der geringen Bedeutung ihres Gewerbes nur schlecht dagegen wehren.
Eine weitere bedenkliche Entwicklung dieser Zeit stellte der wachsende Antisemitismus dar.
Mit dem „Anschluss“ änderte sich die Situation, die hohe Arbeitslosigkeit wurde durch die anlaufende Rüstungsindustrie und die Vertreibung von Juden aus der Arbeitswelt stark gesenkt. Die drängende Wohnungsnot wurde infolge von Vertreibung und Deportation ebenfalls gemildert, aber nicht wie ursprünglich versprochen durch ein neues Wohnbauprogramm gelöst.
Viele Österreicher versuchten aus unterschiedlichen Gründen NSDAP-Mitglieder zu werden und entgegen späteren Aussagen erfolgte der Beitritt freiwillig. Die Antragsformulare mussten eigenhändig unterschrieben werden, Aufnahmen ohne eigenes Wissen waren demzufolge nicht möglich.
Die jüdische Bevölkerung hatte massiv unter den neuen Machthabern zu leiden. Neben dem Berufsverbot und den „Arisierungen“ jüdischer Betriebe (auch Gärtnereien) trug der Vermögensentzug rasch zur Verarmung der Betroffenen bei. Die zu Beginn des Dritten Reiches forcierte Auswanderung und die später immer weiter eingeschränkten Ausreisemöglichkeiten der jüdischen Bevölkerung wurden begleitet von „Umschichtungskursen“ der IKG mit dem Ziel, die Ausreisewilligen mit handwerklichen Fähigkeiten auszustatten, die ihnen in ihren Zielländern ein Überleben erleichtern sollten. Neben Kursen für holz- und metallbearbeitende Berufe wurden in Wien Kurse in Hauswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau angeboten.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen neben dem Wiederaufbau die Fragen der Entnazifizierung und der Restitution ganz oben auf der politischen Agenda.
So rasch die Wiedereingliederung ehemaliger registrierter Nazis erfolgte – bereits 1948 wurden 480.000 „Minderbelastete“ amnestiert, weitere Amnestien folgten –, so schleppend kam die Gesetzgebung in Sachen Restitution voran. Im Juli 1946 wurde ein erstes und im Februar 1947 ein zweites und drittes Rückstellungsgesetz verabschiedet. Die eigentliche Restitution entzogener Vermögenswerte ist jedoch bis heute nicht abgeschlossen, wie zahlreiche in den Medien kolportierte Fälle belegen.
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24 Sandgruber, 2003, S. 30.
25 Eigner, 1999, S. 132.
26 Pfeiffer, 1894, S. 1–27; Pfeiffer, 1905, S. 13.
27 Solkim,