Zwischen Gartenbau und Gartenkunst: Gärtner und Gartengestalter in Wien und Umgebung 1918–1945. Erika Karner
die Kurse für Hauspersonal besucht wurden (6.002). An zweiter Stelle standen die Bekleidungskurse (4.129), an dritter Stelle jene für Landwirtschaft (4.065). Erwähnenswert fanden die Verfasser des Berichtes ferner die starke Beteiligung der Frauen an den landwirtschaftlichen Umschichtungskursen (1.178 Frauen, 2.887 Männer).278
In Wien wurde das Gelände der ehemaligen „Höheren Gartenbauschule für Frauen“ in der Kaasgrabengasse der vertriebenen Jüdin Yella Hertzka279 und die Flächen der Staudengärtnerei „Windmühlhöhe“280 von der Israelitischen Kultusgemeinde als Orte für landwirtschaftlich-gärtnerische Umschulungskurse genutzt. Die Gärtnerin Helene Wolf leitete ab Oktober 1938 und bis zu ihrer Ausreise 1939 die Umschichtungskurse in der Kaasgrabengasse und Krottenbachstraße.281
Paul Grosz, Vorstand und Kuratoriumsmitglied des DÖW, 1925 in Wien geboren, überlebte die NS-Zeit ab 1944 als „U-Boot“ lebend in Wien und erinnerte sich an die Umschichtung:
„In der Jugendalijahschule verbrachte ich dann die vielleicht schönsten Jahre meiner Jugend. Während wir, das war eine Ganztagsschule, dort gewesen sind, gab es keinen Stress, nicht die Gefahr, der Juden sonst ausgesetzt waren, und erst nach Kriegsbeginn 1939, als die ersten Transporte in das spätere ‚Generalgouvernement‘ geleitet worden sind, haben auch wir Kinder die volle Gewalt, die da angewendet worden ist, zu spüren bekommen. Wir mussten damals, das war ein Teil der Ausbildung der Jugendalijahschule, täglich in den Rothschild-Gärten im 19. Bezirk beziehungsweise in einer Gärtnerei in der Krottenbachstraße unentgeltlich schwere Arbeit leisten, unter dem Vorwand, dass wir dadurch Übung bekommen. Später wurden dann Kinder von uns zur landwirtschaftlichen Arbeit ins Ruhrgebiet geschickt und blieben dort fast ein halbes Jahr.“282
Bei der von Paul Grosz erwähnten Gärtnerei in der Krottenbachstraße handelte es sich um den ehemaligen Betrieb „Windmühlhöhe“ der jüdischen Staudengärtnerin Hanny Strauss.283
1941 wurden die Umschichtungskurse eingestellt. Die Beratungsstelle für Berufsausbildung und Umschichtung bemühte sich, die Umschulungskurse seitens der IKG wiederaufleben zu lassen. Sie begründete dies damit, dass diese Kurse die Menschen über die schwierige Zeit geführt hätten und ihnen die Arbeit wenig Zeit zum Nachgrübeln lasse. Speziell die jüdischen Jugendlichen müssten rasch wieder einer ablenkenden Tätigkeit zugeführt werden, um nicht untätig, sich selbst überlassen, auf der Straße herumzulaufen und so zu verwildern.284 In einem wahrscheinlich im März 1941 verfassten Exposé betreffend die Aufrechterhaltung handwerklicher und gewerblicher Arbeitskolonnen durch die Umschichtungsabteilung hieß es:
„Die plötzliche Einstellung der Umschulungskurse bedeutete nicht nur für die Kursteilnehmer und Kursleiter einen sehr schweren Schlag, sondern sie wirkte sich für die gesamte Judenschaft von grösstem Nachteil aus. Zur Zeit ihrer Gründung war der ausschließliche Zweck der Umschulung, den Auswanderungswilligen für ihr Leben im neuen Land durch Erlernung manueller Berufe eine Existenzgrundlage zu schaffen. Durch die Umschulung wurden viele Tausende, die unglücklich, aus dem Gleis geworfen, ihre ganze Kraft verloren hatten, wieder aufgerichtet und gestählt. […] Als mit Kriegsbeginn im Jahre 1939 die bis dahin flüssige Auswanderung etwas ins Stocken geriet, war es wieder die Umschulung, welche der ostmärkischen Judenschaft über diese schwere Zeit hinweghalf. Die Umschichtungswilligen besuchten die Kurse in Massen und blieben solange Kursteilnehmer, bis sie zur Ausreise gelangten, die Mehrzahl aber verblieb bis zur erfolgten behördlichen Sperre. […] In den Gartenbaukursen wurden auf drei Plätzen die Grabelandaktion der Umschulung der I.K.G. geführt, wodurch die Fürsorgeanstalten zusätzlich mit frischem Gemüse beliefert werden konnten. Wenn sich die Quantitäten im Verhältnis zum Verbrauch der Wirtschaftsstelle auch nicht besonders auswirkten, so war es dennoch wichtig, dass laufend zirka 150 Erwachsene und 200 Jugendliche beschäftigt und dem Gärtnerberuf zugeführt wurden. […] Zahlreiche Betriebsführer verlangten direkt von der Umschichtungsleitung Arbeitskräfte und jedem Wunsche konnte raschest Rechnung getragen werden. […] Die Leitung der Umschulung stellte das Büro darauf um und war stets bedacht, diese Arbeitskolonnen immer aufzufüllen, für jeden Abgang guten Ersatz zu schaffen. […] Die Bildung von Arbeitskolonnen ist aber auch im Interesse der I.K.G. gelegen, weil sie unerlässlich ist, denn sie würde ein weiteres Herabsinken und eine weitere Verelendung unserer Glaubensbrüder unbedingt verhüten.“285
2.5 Nachkriegszeit
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der damit einhergehenden Zerstörung waren der Wiederaufbau und das Herstellen von „Normalität“ wichtig für das weitere Zusammenleben in Österreich.
Auf politischer Ebene kam es zur Wiedereinführung der Verfassung von 1920/29 und damit zum Versuch, das Leben dort fortzusetzen, wo es vor Hitler aufgehört hatte. Dadurch konnten die alten Eliten rasch wieder Fuß fassen.286 Eine Neuerung der Zeit war die Etablierung einer stabilen Sozialpartnerschaft und die daraus folgende rasche Neubildung von Interessenverbänden. Ernst Hanisch beschrieb, wie leicht dieser Übergang in manchen Berufsgruppen fiel:
„Bei der Handels- und Landwirtschaftskammer gelang der Sprung vom ‚Dritten Reich‘ in die Zweite Republik ziemlich reibungslos – über die Salzburger Handelskammer wird berichtet: ‚Die Beamten versahen wie selbstverständlich ihren Dienst und nicht einen Tag ist der Parteienverkehr abgerissen.‘ Nur der Reichsadler und das Hakenkreuz wurden aus dem Stempel herausgeschnitten.“287
Zwei wichtige Fragen stellten sich in der nun folgenden Zeit: die des Umgangs mit ehemaligen Mitgliedern der NSDAP und das Problem der Restitution von Vermögenswerten an die noch lebenden Juden bzw. deren Erben.
Auch einige bekannte Gartenarchitekten fanden sich nun auf den Registrierungslisten für Nationalsozialisten und vertriebene jüdische Gärtner versuchten ihre Vermögenswerte wiederzuerlangen.
2.5.1 „Entnazifizierung“
Der Begriff „Entnazifizierung“ bzw. das US-amerikanische Original „denazification“ ist eine Wortkreation, entwickelt im politischen Beraterstab des US-Generals und späteren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower.288 Der Begriff umfasste ursprünglich folgende Aufgabengebiete: Auflösung der NSDAP, Entfernung des Nationalsozialismus aus Gesetzen und Verordnungen, Abschaffung von NS-Symbolen, Straßennamen und Denkmälern, Beschlagnahme des Vermögens und der Unterlagen der NSDAP, Internierung von NS-Führern, Verbot von aus der NSHerrschaft herrührenden Privilegien, Ausschluss von mehr als nur nominellen Mitgliedern der NSDAP vom öffentlichen Leben, Unterbindung von NS-Indoktrination in jeder Form und Verbot von Paraden und NS-Demonstrationen.289 In Österreich verstand man unter dem Begriff „Entnazifizierung“ meist die Entfernung von „Reichsdeutschen“ aus beruflichen Positionen.290
In Wien gingen unmittelbar nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs Wiener Lokalstellen an die Registrierung von Nationalsozialisten. Diese sogenannten „Vorregistrierungen“ erfolgten ohne gesetzliche Grundlage und wurden von der vom Bürgermeister damit betrauten Magistratsabteilung abgelehnt.291