Zwischen Gartenbau und Gartenkunst: Gärtner und Gartengestalter in Wien und Umgebung 1918–1945. Erika Karner
der „Zentralstelle“ neuerlich erweitert und mit dem „Auswanderungsfonds Wien“ ein Instrument zur Übernahme und Verwaltung des Vermögens jüdischer „Auswanderer“ geschaffen. In den darauffolgenden Jahren wurde dem „Auswanderungsfonds Wien“ eine größere Anzahl von Liegenschaften in ganz Österreich „eingewiesen“.262
2.4.4.2 Jüdische „Umschichtung – Hachschara“
Bis zum „Anschluss“ 1938 war die „Alijah“, wie die Einwanderung nach Palästina in der zionistischen Terminologie genannt wird, für die österreichischen Juden eher eine ideelle Möglichkeit, wahrscheinlich auch deshalb, weil sie mit dem Verlust des gewohnten Lebensstandards und vielen Schwierigkeiten verbunden war.263
Zwischen 1919 und 1934 wanderten laut Aufzeichnungen des Wanderungsamtes 1.183 Personen von Österreich nach Palästina aus.264 Zwischen 1933 und 1937 erhöhte sich die Zahl der Auswanderer nach Palästina auf 2.713 Personen.265 Ein starkes Motiv für die Bereitschaft zur Auswanderung nach 1930 war, neben der steigenden Arbeitslosigkeit, der erstarkende Antisemitismus.266
Eine dieser bereits Anfang der 1920er-Jahre nach Palästina emigrierten Personen war die aus Czernowitz stammende und in Wien Naturwissenschaften studierende Miriam Kellner267. Sie absolvierte eine gartenbauliche Ausbildung bei Hanna Maisel in Nahalal und arbeitete danach im Kibbuz En Harod, wo sie eine große Gärtnerei aufbaute.268 Eine andere war Hanka Huppert-Kurz. Sie stamme aus Krakau und absolvierte in Wien die Gartenbauschule für Frauen von Yella Hertzka. Huppert-Kurz emigrierte allerdings erst 1929 nach Palästina, wo sie zuerst im Kibbuz Bet Alfa lebte und später in den Kibbuz Ramat Yohanan übersiedelte. Dort gestaltete, bepflanzte und betreute sie den Garten und begann auch für andere Kibbuze Gärten zu gestalten.269 Der aus Budapest stammenden Klari Neumann gelang 1939 die Flucht und sie kam mit einem Immigrantenschiff nach Palästina und arbeitete als Gärtnerin in einem Kibbuz in Rishon LeZiyyon.270
Die für zionistische Auswanderung in der Zwischenkriegszeit zuständige zentrale Organisation war die österreichische Landesorganisation des „Hechaluz“ („Pionier“). „Hechaluz“ hatte sich 1921 als Weltverband konstituiert und war sehr straff organisiert. Von den Mitgliedern wurde eine vollkommene Unterordnung unter die Satzungen der Bewegung sowie das Erlernen der hebräischen Sprache und die berufliche „Umschichtung“ („Hachschara“) erwartet und zur Bedingung für die Auswanderung nach Palästina gemacht.271
Die Umschichtung war in den Augen der zionistischen Ideologen notwendig, um die „typisch jüdische“ Berufsstruktur zu ändern und von den nicht produktiven intellektuellen und kaufmännischen Berufen zu manuellen Tätigkeiten, vor allem in der Landwirtschaft und im Handwerk, zu gelangen, um damit ein neues Leben in Palästina beginnen zu können.272 Nach dem „Anschluss“ wurde Palästina zu einem wichtigen Fluchtziel, weswegen sich tausende Jugendliche „in der Hoffnung auf irgendeine Fluchtmöglichkeit in einen Jugendbund, vielfach sogar in mehrere gleichzeitig“ einschrieben oder sie „ließen sich für verschiedene Zielländer registrieren“.273
Nach dem „Anschluss“ wurde in der Auswanderungsabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien eine eigene Beratungsstelle für Umschichtung eingerichtet, zu deren Leiter Dr. Abraham Schmerler ernannt wurde. Er berichtete regelmäßig über den Verlauf und die Erfolge der Umschichtungsaktion die im ersten Halbjahr ihrer Tätigkeit 12.000 jüdische „Umschichtler“ vorzuweisen hatte. In seinem Jahresbericht 1938 schrieb er:
„Nach dem Umbruch des Jahres 1938 kam man zur Erkenntnis, dass die bisherige Berufsschichtung der Wiener Juden im Falle der Auswanderung eine Existenzgründung im Ausland häufig erschwere. Das Bestreben, einer möglichst grossen Zahl handwerkliche und gewerbliche Fertigkeiten beizubringen, musste unverzüglich unter Einsatz aller in Betracht kommenden Kräfte in die Tat umgesetzt werden. Nicht nur Arbeitern, sondern auch bisherigen Angehörigen kaufmännischer, intellektueller und administrativer Berufe musste die Möglichkeit geboten werden, manuelle Berufe derart zu erlernen, dass sie sich im Ziellande mit den erworbenen Kenntnissen eine bescheidene Existenz gründen oder zumindest als qualifizierte Hilfsarbeiter ihr Brot verdienen können.“274
Abb. 2: Artikel über „Jüdische Umschichtung“.275
Die jüdische Presse im „Altreich“ – soweit sie noch existent war – berichtete über diese Aktion in Wien. So schrieb die „Jüdische Rundschau Berlin“ in ihrer Ausgabe vom 14. Juni 1938:
„In der Auswanderungsabteilung der Gemeinde [Anm.: Gemeint ist die Israelitische Kultusgemeinde Wien] wird nach wie vor an der Sichtung der eingereichten Auswanderungsbögen gearbeitet. Parallel zu dieser Tätigkeit geht die Vorbereitung der Umschichtungsarbeit, für die die Gemeinde eine eigene Beratungsstelle für jüdische Berufsausbildung und Umschichtung errichtet hat, vor sich. Einzelne Beratungsstellen, so für Ärzte wie für andere Berufsgruppen haben ihre Tätigkeit bereits aufgenommen. Andere wieder sind in Vorbereitung. In der richtigen Erkenntnis, dass im Mittelpunkt einer planmäßigen Emigration die Berufsumschichtung zu stehen habe, geht die Gemeinde daran, schon in allernächster Zeit eine Reihe von Umschichtungskursen einzurichten. So sind vorgesehen für männliche Berufe: Kurse für die diversen Zweige der Metallbearbeitung (Mechaniker, Schlosser, Dreher u. a.), der Holzbearbeitung (Bau- und Möbeltischler), des Baugewerbes, der Photographie, der chemischen Betriebe, des Bekleidungsund Nahrungsmittelgewerbes. Für weibliche Berufe werden Umschichtungskurse in der Hauswirtschaft, dem Bekleidungsgewerbe und der Körperpflege eingerichtet. Die Umschichtungsstelle in der Gemeinde sucht gegenwärtig dringend auf diesen Gebieten fachlich ausgebildete Lehrkräfte. Im Zuge der Umschichtungskurse sind auch landwirtschaftliche Umschulungskurse für Auswanderer geplant. Für diesen Zweck will die Gemeinde etwa im jüdischen Besitz befindliche landwirtschaftliche Betriebe, womöglich in der Nähe von Wien pachten, und sie für Hachschara verwenden.“276
In einem Bericht vom 29. Juli 1938 konnte die Auswanderungsabteilung der IKG bereits landwirtschaftliche Betriebe vorweisen:
„Zu den bereits bestehenden 77 Kursen mit einer Teilnehmerzahl von rund 1200 kommen noch vier landwirtschaftliche Umschulungskurse, die gegenwärtig außerhalb Wiens, und zwar in Stadlau, Lang-Enzersdorf (beide bei Wien), Unterholz-Brunnhof und Eichgraben am Stein in Betrieb sind. In diesen Kursen erhalten 350 Schüler in allen Fächern der Landwirtschaft, der Gärtnerei und Kleintierzucht ihre Ausbildung.“277
Im September 1939 legte die Israelitische Kultusgemeinde Wien statistische Daten der Berufsumschichtung auf Grund der von ihr durch die Beratungsstelle für Berufsausbildung und Umschichtung veranstalteten Kurse vor. Bis zum Stichtag 30.