Mombasa. Jürgen Jesinghaus
des Vorberges im Nordwesten von Oplyr gesichert und vor dem Zugriff der Bagger geschützt. Der Franzosenwald, wo zur Zeit der Revolutionsarmeen die Kanonen des Generals Lemartell hinter Erdwällen aufgepflanzt und auf den Rhein gerichtet waren, sollte ursprünglich zum Hotelpark umstilisiert und dem öffentlichen Verkehr entzogen werden. Doch gegen dieses Vorhaben wandte sich die öffentliche Meinung mit vielen Stimmen. Von Grein, der befürchten musste, dass aus Trotz ein wichtiger Teil seiner Kundschaft ausbleiben würde, verzichtete auf die Privatisierung sogar leichten Herzens, nachdem ihm Zuschüsse aus der Stadtkasse zugestanden worden waren. Jeder Spaziergänger und Radfahrer in diesem, der Öffentlichkeit erhalten gebliebenen Waldstück wird auch heute noch durch geschnitzte, buntbemalte Schilder darauf gestoßen, dass ein Besuch des Turmkellers im Greinschen Hotel „ein Muss“ sei.
In diesem Turmkeller trafen sich an einem Juni-Nachmittag die Herren von Grein, Hartkopf und Radebusch, um den Verkauf des Hartkopfschen Kieswerks zu verhandeln. Nach dem Einsturz des Beton-Baldachins über dem Eingang der neuen Kirche hatte sich von Grein auffällig stark an dem Kieswerk interessiert gezeigt. Um in dieser wichtigen Angelegenheit so genau wie möglich zu sein: interessiert gezeigt kurz nach dem Besuch des Herrn Ministers für Raumordnung! Die Herren in der ministeriellen Umgebung mögen über vieles geschwätzt haben, sogar darüber (wie aus zuverlässiger Quelle zu erfahren war), dass der Hagel den „tragischen Einsturz“ der Überdachung des Kirchenportals verursacht habe, denn wer Glasscheiben von der Größe zweier Fußballfelder zerschlägt, der wird auch eine Betonplatte von vielleicht 50 Quadratmetern zerstören können. Nicht, dass der Minister solchen Unsinn persönlich verbreitet hätte! So dumm sind im Nachkriegsdeutschland die Minister nicht. Aber von ihm stammte, launig vorgetragen in einer entspannten Atmosphäre (nach Verrichtung der üblichen „politischen Grausamkeiten“), eine Kombination betreffend die weiten Kiesabbauflächen und den zunehmenden Bedarf an „Müllentsorgungspotenzialen“. Diese Kombination hatte den Geschäftsmann von Grein elektrisiert und ihn innerlich mit der Hand vor die Stirn schlagen lassen.
Dem Gustav Hartkopf andererseits war daran gelegen, seine Firma zu verkaufen, einmal weil durch die Baldachin-Affäre sein Ruf gelitten hatte und zum anderen, weil der Maschinenpark überaltert und die Investition in eine neue Technik (wie sie ihm nach einem Besuch der Hannover-Messe vorschwebte) nicht zu finanzieren war. Banken hatten ihm davon abgeraten. Erst später erkannte er, dass es vielleicht ein Fehler gewesen sei, sich auf das Urteil der örtlichen Kreditanstalten zu verlassen (denn von Grein war ein einflussreicher Mann). Trotzdem, ein Verkauf würde ihm wenigstens alle Schuldenlasten abnehmen.
Von Grein empfing die beiden Herren Hartkopf und Radebusch umständlich und freundlich – im Beisein ergebener dienstbarer Geister, denen er knapp und leise kommandierte. Einer von ihnen, offenbar der Sekretär, öffnete einen Aktenkoffer, nahm flink einen Stoß Papiere heraus und unterbreitete sie seinem Chef, ohne dabei ihn oder einen der Gäste anzusehen. Der andere Geist, eine Dame in den besten Jahren, eine Mischung aus Empfangsdame und Serviermädchen, die ihren Busen hinter eine eng geknüpfte Jacke zwängte, vermutlich um dem geschlechtslosen, ins Erhabene zielenden Teil ihrer Erscheinung nichts entgegenzustellen, was die Aufmerksamkeit ehrbarer Kaufleute von dem bebrillten Gesicht ablenken könnte. Der andere Teil ihres Leibes wurde von einem Plisseeröckchen kaum verhüllt. Die schönen Beine staken in roten Stiefelchen, die der Erscheinung ab der Hüfte abwärts etwas Ordinäres und Erholsames verliehen. Sie hatte drei Schoppen Wein vor die Herren gesetzt und ließ sich auf eine unerträglich chevalereske Art – wie Hartkopf fand – verabschieden (der hat sie noch nicht herum, und wenn sie ein kleines Biest ist, woran ich nicht zweifle, wird sie ihn noch lange hinhalten, bevor sie ihn stehen lässt).
„Das ist meine Tochter.“
„Entschuldigung.“
„Wie bitte?“
„Ich hätte nicht versäumen dürfen, ihr einen Platz in der Runde anzubieten.“
Als wäre es Hartkopfs Angelegenheit gewesen, im Turmkeller des von Greinschen Hotels jemandem in Gegenwart des Hausherrn einen Platz anzubieten!
„Ein andermal, meine Herren. Stoßen wir zuerst einmal an.“
Nach der peinlichen Stille des Gläserhebens und gegenseitigen Anschauens, nach der Stille, die durch das Schlürfen keineswegs aufgehoben, sondern durch das gemeinsame Knacken der Gurgeln eher in ihrer lähmenden Anwesenheit bestätigt wurde, fielen die erlösenden Worte des jungen von Greins:
„Sie kennen mich.“
Radebusch und Hartkopf schwiegen vorsichtshalber. Es erschien Hartkopf überflüssig, Fritz Radebusch noch einmal vorzustellen. Er hatte ihn bereits beim Empfang im Flur des Hotels als seinen engsten Vertrauten aus Kriegszeiten bekannt gemacht.
„Sie kennen mich. Ich bin ein Mann, der umsichtig zu Werke geht. Niemand vermag etwas Gegenteiliges von mir zu behaupten. Die Leute schätzen mich, so darf ich wohl sagen, als ausgleichendes Element. Ich suche den Interessenausgleich, wie Sie sich vielleicht erinnern. Und in Ihrem Interesse, Herr Hartkopf, Herr …“
„Radebusch“
„habe ich mich der Sache des Verkaufs Ihrer Firma angenommen, obwohl, das sage ich ausdrücklich mit Nachdruck, die Arrondierung von Greinschen Besitzes, auf den ich stolz bin, als abgeschlossen angesehen werden darf. Aber nun breche ich zu neuen Ufern auf.“
An dieser Stelle hätte von Grein ein dünnes Lächeln zeigen müssen, auch wohl das Glas heben sollen, um das Präludium zu enden und zur Sache zu kommen. Aber von Grein zeigte vielmehr ein energisches Gesicht und war von seinem Standpunkt aus betrachtet offenbar schon in medias res geschritten. Hartkopf beeilte sich, den Ausführungen von Greins ab jetzt erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken.
„Da besteht das Problem der Rekultivierung.“ Also etwas, was zwischen Grein und den anderen als ein ernstes Hindernis aus dem tosenden Wasser ragte und gefährliche Strudel erzeugte, die nur jemand überwinden konnte, der sich in den Vorteil eines Preisnachlasses brächte. „Eine Aufgabe, die sehr ernst genommen werden will, eine Aufgabe, die man gar nicht ernst genug nehmen kann. Sie dient der Volksgesundheit durch Schaffung von Naherholungsräumen. Sie dient der Fauna und Flora als Biotop, ich betone, als notwendiges Biotop.“ Herr von Grein griff zum Glas, setzte es aber wieder ab, bevor es die Strecke zum Mund des Schönredners durchmessen konnte. Der Mund stieß die Luft heraus und ließ sich weiter vernehmen: „Das wird teuer, denn es ist keineswegs billig, meine Herren. Der Umweltschutz will ernst genommen werden und die Fauna, ich betone, die Flora wollen eine Heimstätte haben.“
Radebusch hatte seinen Arm auf den runden Tisch gestützt und betastete nachdenklich die Unterseite seines Kinns, wie um die Qualität seiner morgendlichen Rasur zu prüfen. Das schabende Geräusch irritierte den Hotelier und ließ ihn fragend auf Radebusch schauen.
„Ich habe nichts gesagt“, so Radebusch, „ich möchte aber folgendes fragen: Sie stellen uns die Muttererde, die ihre Erdhobel oben im alten Bauernland auf dem Vorberg wegkratzen, kostenlos, und wir holen sie uns mit Lastern ab und verteilen sie auf dem Kies, ja? Das wäre eine Lösung in Ihrem Sinne? Ihnen ist damit zweimal geholfen: Sie kriegen den Humus, der über dem Quarzsand liegt, fortgeschafft und könnten zweitens hier unten ein schon rekultiviertes Grundstück kaufen. Der Umweltschutz hat einiges für sich.“
„Meine Herren, ich möchte unser Gespräch in einer sachlichen, ich betone, freundlichen Atmosphäre führen. Mir scheint, dass die Betrachtungsweise Ihres Mitarbeiters, Herrn …“
„Radebusch“
„nicht geeignet ist, dem schwierigen Gespräch zum Durchbruch zu verhelfen. Lassen Sie mich daher die Vielfalt der Fragen, die noch zu lösen wären, zu einem Paket schnüren und gewissermaßen den gordischen Knoten durchhauen: 40% Ihres mir schriftlich mitgeteilten Verkaufsangebotes. Prost, meine Herren.“
Herr von Grein griff zum Glas und trank gierig zweimal, ohne darauf zu achten, ob die anderen Herren Anstalten träfen, auch zum Glase zu greifen. Radebusch schabte sein Kinn, und Hartkopf drehte am Stiel des gefüllten Glases, als läge ein Geheimnis in den Glanzlichtern des Kelches und im Feuer des Weins.
„Herr von Grein, ich halte