Die andere Seite der Stille. Andre Brink
die ursprünglich für ein Bergwerk in Otavi oder Otjiwarongo gedacht gewesen waren. Und vermutlich war auf diese Weise auch irgendwann der Cognac hier eingetroffen.)
Im Laufe der Mahlzeit werden die Männer, während die Spirituosen in immer größeren Mengen konsumiert werden, immer ausfälliger. Einige fangen an, mit den Händen zu essen und die Zähne direkt ins Fleisch zu schlagen, um es vom Knochen abzunagen. Gläser und Teller gehen zu Bruch, der Cognac wird direkt aus den Flaschen gesoffen, die noch immer unaufhörlich aus den Tiefen des Gebäudes heraufgebracht werden. Und ihrem immer unverantwortlicheren Benehmen nach zu urteilen, müssen auch einige der Serviererinnen sich am alkoholischen Feuer gewärmt haben, denn in immer unvorhersehbareren Schlangenlinien legen sie den Weg zwischen Keller und Speisesaal zurück. Und im selben Maße wie Oberst von Blixens Gesten, die seine Prahlereien über Erfolge auf dem und abseits des Schlachtfelds begleiten, immer ausladender und unkontrollierter werden, erinnert der Mund Frau von Knesebecks mehr und mehr an das zusammengekniffene Hinterteil eines Huhns.
Hier und da den langen Tisch entlang bricht aus den Zechern lärmender Gesang, und zwischen den rivalisierenden Sängergruppen gibt es die ersten Handgreiflichkeiten. Noch mehr Geschirr geht zu Bruch, diesmal nicht mehr aus Überschwang, sondern aus Zorn. Oberst von Blixen hievt sich hoch, stützt sich auf seinen langen Armen ab und donnert einen langen Befehl, der in einer Reihe von Verben gipfelt. Von vier höheren Offizieren geleitet, werden die Anstifter der Keilerei des Saals verwiesen. Ihrer Rangabzeichen ledig, werden sie, wenn der Marsch weitergeht, draußen die Reihen der Fußsoldaten verstärken. Eine kurze Weile lang werden die an dem langen Tisch verbliebenen Männer unter dem drohenden Blick ihres Kommandeurs still und versuchen mit unterschiedlichem Erfolg, die nächste Runde Cognac in ihre leeren Gläser zu gießen. Die Ordonnanzoffiziere kommen wieder die Treppe herauf, zwei davon auf allen vieren.
»Es ist Zeit, einen Toast auszubringen«, erklärt der Oberst, der offenbar vergessen hat, dass das längst geschehen ist.
Die Offiziere erheben sich mit gedrillter Würde. Drei Toasts werden ausgebracht und dreimal die Gläser geleert. Auf ihre liebenswürdige Gastgeberin. Auf das Oberkommando in Windhuk. Auf Seine kaiserliche Majestät, Wilhelm den Zweiten in Berlin.
»Und nun wollen wir uns den anderen Delikatessen zuwenden, die man uns so großzügig zur Verfügung gestellt hat«, kündigt Oberst von Blixen an.
Er rückt den Stuhl zurück, braucht, die Hände auf dem Rücken gefaltet, eine Zeit lang, um gerade zu stehen, und bewegt sich dann gemessenen Schritts auf den nächststehenden an die Wand gedrückten Haufen von Frauen zu. Er hält kurz inne und trocknet sich die schweißnasse Stirn mit einem großen Taschentuch, das er nicht ohne Mühe aus der Tasche gefischt hat. Mit all dem strahlenden guten Willen des siegreichen Eroberers hebt er das Kinn der ersten Frau an, studiert kurz ihre Züge und bewegt sich dann zur nächsten weiter.
»Herr Oberst«, sagt Frau Knesebeck und macht am anderen Ende des Tisches Anstalten aufzustehen.
Er kümmert sich nicht darum. Als er die fünfte oder sechste Frau erreicht hat, wird sein Benehmen immer dreister. Er begnügt sich nicht mehr damit, ein Kinn oder eine Hand anzuheben oder ein Ohrläppchen zu kneifen, jetzt drückt er Brüste, kneift in Brustwarzen oder zwingt die Knöchel in den Mund der Frau vor ihm. Und je weiter er kommt, desto brutaler kneift er. Eine der Frauen stöhnt leise vor Schmerz auf. Da hebt er auch die zweite Hand und kneift in beide Brustwarzen. Diesmal gibt sie kein Geräusch von sich, aber ihr Gesicht wird sehr weiß. Als er die zwölfte Frau erreicht, befiehlt er ihr, sich umzudrehen, und fummelt an ihrem Hinterteil herum, gibt dann ein Grunzen von sich und geht weiter. Bei der folgenden packt er mit beiden Händen den Kragen ihres Kleids und reißt es auf, sodass ihre Brüste zum Vorschein kommen. In einer Reflexbewegung versucht die Frau sie mit den Händen zu bedecken. Von Blixen schlägt sie sehr hart ins Gesicht.
»Herr Oberst«, sagt Frau Knesebeck.
Die Frau lässt die Hände sinken und blickt zu Boden.
Immer weiter schreitet der Befehlshaber. Recht bald macht er sich nicht mehr die Mühe, die Hemden oder Kleider vor ihm aufzureißen, sondern bellt kurze Kommandos und die Frauen tun es selbst. Langsam wird ihm langweilig. Er kehrt zum Tisch zurück, füllt sich sein leeres Glas wieder auf, leert es mit einem einzigen Schluck, wischt sich den Mund mit dem Handrücken ab und kehrt dann zu seiner Abnahme zurück. Der neue Befehl lautet, dass sie ihre Röcke hochraffen und ihre Unterwäsche ausziehen müssen, einige mit dem Rücken zu ihm, andere mit dem Gesicht. Er wirft Blicke auf die Unterleiber, zieht hier und da an einem Schamhaar, steckt einen Finger in eine Vulva und zieht ihn angeekelt wieder heraus, sobald er feststellt, dass die Frau menstruiert. Genauso wie die nächste. Und die übernächste.
»Herr Oberst«, sagt Frau Knesebeck in flehendem Ton.
»Gottverdammt!«, knurrt von Blixen. Er kehrt an den Tisch zurück und gibt seinen Offizieren den Befehl, die Inspektion an seiner Stelle weiterzuführen. Sie stoßen jedes Mal auf Blut. Der Oberst begnügt sich damit, seine Runde in einigem Abstand zu den Insassinnen fortzusetzen, die an die Wand gereiht dastehen, und vertieft den Blick nur hier und da in irgendein Gesicht, das ihn kurz zu interessieren scheint. Dann bedeutet er dem nächststehenden Offizier, sie genauer in Augenschein zu nehmen. Auch hier Blut.
Erst als er zu Katja kommt, hält der Oberst inne.
»Du da«, sagt er. »Komm her.«
Katja versucht, sich hinter Hanna X zu verstecken.
»Herkommen!«, schreit er so laut, dass einige der Frauen einen Schreckenslaut ausstoßen.
Das zitternde Mädchen macht ein, zwei Schritte vorwärts. Er winkt es mit dem Finger zu sich. Dann steht es vor ihm.
»Na komm, Mädchen«, sagt er. »Brauchst keine Angst haben.« Mit überraschender Zärtlichkeit, beinahe väterlich, nimmt er ihr Gesicht in die Hände und beugt sich vor, um sie auf die Stirn zu küssen. »War das jetzt so schlimm?«, fragt er.
»Nein.« Es gelingt ihr, ein wenig zu lächeln.
»Und das hier?« Von Blixen nimmt sie bei den Schultern – was für magere Schultern, die Schulterblätter stehen hervor wie kleine Flügelstümpfe. Er drückt ihren Körper zart gegen seinen, immer noch mit Gesten zärtlicher Behutsamkeit.
Kurzzeitig scheint sie ihre Furcht zu überwinden und lehnt sogar den Kopf an seine Schulter.
»Zeig mir deine Titten«, sagt er.
»Ich hab’ keine«, flüstert sie. Ist der Ton scheu, spitzbübisch, beschämt, verängstigt? Schwer zu sagen.
»Herr Oberst«, sagt Frau Knesebeck.
»Ich nehm’ die hier«, sagt er und fasst das Mädchen bei der Hand.
Hanna X bringt einen tiefen Laut des Protests aus ihrer Kehle hervor.
In die Gruppe der Frauen, der Insassinnen wie der Bediensteten, kommt eine gewisse Bewegung.
»Ruhe!«, brüllt der Oberst. Sein Gesicht glänzt jetzt wieder vor Schweiß. Sogar auf den Härchen auf seinen Fingern schimmert es feucht. Noch immer hält er Katjas kleine Hand mit seiner freien Hand umklammert. Einen Moment lang blitzt er die dastehenden Frauen noch an, dann wendet er sich der nächsten Tür zu und zieht das Mädchen hinter sich her.
»Es tut mir leid, Herr Oberst«, sagt Frau Knesebeck. Mit plötzlicher Entschlossenheit verlässt sie den Tisch und eilt an dem Oberst vorbei, um ihm den Weg zur Tür zu versperren. »Dieses Mädchen können Sie nicht mitnehmen. Es steht unter unserer besonderen Obhut.«
»Beiseite!«, bellt er.
Die kleine Frau zögert einen Moment, dann schüttelt sie den Kopf. »Ich muss Ihnen mitteilen, dass sie hier unter besonderem Schutz steht.«
»Wessen?«, fragt er. »Und was für einen Unterschied soll das machen?«
Die Vorsteherin bleibt fest. »Wir haben Anordnung vom Oberkommandierenden der deutschen Kolonialarmee persönlich, Herrn General Dame«, teilt sie ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, mit.
Er starrt sie wortlos an, dann blickt er