Die Muskatprinzessin. Christoph Driessen

Die Muskatprinzessin - Christoph Driessen


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Rechnung nach sich zog, wenn sie erwischt wurden.

      Eva zog das Betttuch ab, schließlich hatte darauf die Maus gelegen. Bettwäsche musste, was sie betraf, immer pieksauber sein. Aus einer Truhe, die unter ihrem Fenster stand, holte sie ein neues weißes Laken hervor. Als sie mit dem Beziehen fertig war, benetzte sie sich Hände und Gesicht mit etwas Wasser aus einer Schüssel. Dann rief sie nach Tanneke, der Dienstmagd. Die stämmige junge Frau musste ihr beim Ankleiden helfen, denn nie und nimmer hätte sie sich selber in das steife Korsett zwängen können. Tanneke war jedes Mal eine ganze Weile damit beschäftigt, die Rückenkordeln festzuziehen, um dadurch Evas Busen platt zu drücken und ihre sowieso schon nicht üppigen Rundungen zu verstecken, so wie es die Mode gebot. Auch das Anlegen des Rockes war nicht gerade einfach: Sie musste ihn über den sogenannten Weiberspeck spannen, eine dick ausgepolsterte Stoffrolle, die weit von der Taille abstand. So fiel der Rock in einigem Abstand vom Körper nach unten, wodurch die Hüften besonders betont wurden. Anschließend half Tanneke ihr noch in ein eng anliegendes schwarzes Leibchen. Darüber kam ein langes, ärmelloses Gewand aus schwarzem Satin. Dann konnte Tanneke gehen. Vor ihrem Spiegel band sich Eva eine weiße Halskrause um und verstaute ihre rote Mähne unter einer Spitzenhaube, die mit Spangen befestigt wurde. So zurechtgemacht, ging sie die Treppe hinunter in den Saal.

      In diesem größten Wohnraum des Hauses befand sich der Schlafplatz ihres Vaters, ein Säulenbett mit Baldachin. Er pflegte jedoch schon in der Morgendämmerung aufzustehen und die Brauerei aufzusuchen. Umso mehr überraschte es Eva, als jetzt die Tür zum Nebenzimmer aufging und ihr Vater hereinkam. „Ah, da bist du ja!“, sagte er. „Guten Morgen. Wir müssen etwas besprechen.“

      „Ihr seid nicht in der Brauerei?“

      „Nein, wie du siehst. Heute gibt es zunächst etwas Wichtigeres.“ Er wandte sich der Treppe ins Souterrain zu und rief nach unten: „Tanneke – Frühstück!“ Mit einer Handbewegung lud er Eva dazu ein, an dem großen Esstisch in der Mitte des Saals Platz zu nehmen. Er selbst ließ sich auf einen der mit Leder gepolsterten Stühle fallen.

      Claes Corneliszoon Ment war ein stattlicher Mann, wie man so schön sagte, was jedoch nichts anderes bedeutete, als dass er außerordentlich fett war. Für seine Wämser und Pluderhosen benötigte der Schneider doppelt so viel Stoff wie normal. In gewaltigen Wülsten hing ihm der Speck im Sitzen über die Oberschenkel. Das Merkwürdige war, dass sein Kopf nicht so recht dazu zu passen schien. Im Verhältnis zu dem massigen Leib wirkte er winzig, und in seinen Gesichtszügen hatte sich Claes Corneliszoon Ment einen Hauch von Jugendlichkeit bewahrt. Es sah aus, als hätte man den Kopf auf den falschen Körper geschraubt.

      Eva konnte sich erinnern, dass ihr Vater früher weit weniger dick gewesen war. Aber je mehr seine Brauerei unter der Konkurrenz zugezogener Bierbrauer gelitten hatte, je radikaler er das Unternehmen hatte verschlanken müssen, desto stärker war er selbst in die Breite gegangen. Nun aber war offenbar der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr weiterging. Dicker als jetzt konnte er nicht mehr werden, und auch die geschäftliche Situation der Brauerei konnte sich kaum noch verschlechtern. Schon einige Male hatte ihr Vater erwähnt, dass er sich zur Ruhe setzen wolle. Unklar war allerdings, wer seine Schulden bezahlen sollte. Denn dass er Schulden hatte – hohe Schulden – war sicher.

      „Kind“, hob ihr Vater jetzt an. „Ich habe eine sehr gute Nachricht für dich. Eine sehr gute Nachricht für uns alle. Du kannst dich freuen!“ In diesem Moment kam Tanneke mit zwei Kannen Frühstücksbier herein. Sie stellte die Kannen auf den Tisch und noch zwei Trinkbecher daneben. Dann hörte man ihre Holzschuhe wieder die Treppe hinunterklappern.

      „Um was geht es?“, fragte Eva. Sie hatte ein ungutes Gefühl.

      „Schau mal“, sagte er, „du weißt, dass unser Geschäft nicht gut läuft. Meine Gläubiger bedrängen mich immer stärker, sie fordern die Tilgung meiner Schulden, sie rauben mir meine letzten Kunden, indem sie mich mit Spottpreisen unterbieten. Das sind Preise, bei denen sie selbstverständlich draufzahlen, aber es ist ihnen alles egal, wenn ich nur zugrunde gehe …“

      „Vater“, unterbrach ihn Eva, „was wolltet Ihr mir sagen?“

      Einen Moment lang blickte er sie überrascht an, so als wüsste er gar nicht, was sie meinte, dann fasste er sich. „Ja, ja, du hast recht.“ Jetzt kam Tanneke zurück und stellte Brot, Butter und einen großen Käselaib auf den Tisch. Claes Corneliszoon Ment schnitt sofort eine dicke Scheibe Käse ab und belegte sich ein Brot. Dann begann er zu kauen. Offenbar wartete er darauf, dass die Magd wieder in der Küche verschwand. „Nimm dir auch etwas, Kind, du musst essen!“ Eva ging nicht darauf ein.

      Sobald sie wieder allein waren, fuhr ihr Vater fort: „Schau, Eva, es geht um Folgendes: Du bist nun achtzehn Jahre alt.“ Er hatte den Satz noch nicht ausgesprochen, da wusste sie bereits, was er als Nächstes sagen würde. Und sie behielt recht. „Das ist ohne Zweifel das richtige Alter, um zu heiraten.“

      Ein Schock durchfuhr sie. Das unangenehme Gefühl baute sich im Bauch auf, stieg empor bis zum Hals und schnürte ihr die Kehle zu. Er wollte sie verheiraten! Von einem Moment auf den anderen hatte sich ihr Leben verändert. Der große Zeiger am Turm der Alten Kirche mochte sich noch nicht einmal bewegt haben, so klein war die Zeiteinheit, die seit der Mitteilung dieser Botschaft verstrichen war, und doch würde ihr Leben fortan in zwei Hälften zerfallen: in die Zeit davor und danach.

      Eva brauchte einige Augenblicke, bis sie wahrnahm, dass ihr Vater weiter auf sie einredete. „… und deshalb glaube ich wirklich, dass es ein Geschenk des Herrn ist! Dass der Herr uns nach einer Zeit der Prüfung nun etwas Gutes tun will.“ Er machte eine Pause. „Nun, willst du denn nicht wissen, wer es ist?“

      Eva rührte sich nicht. „Also. Als ich gestern Abend bei Onkel Pieter war, hat er mir gesagt, er hat den perfekten Bräutigam für dich. Ich konnte es zunächst gar nicht glauben. Es ist wirklich eine fantastische Partie, vielleicht die beste in ganz Holland! Meine liebe Eva, dieser Mann könnte jede Frau haben. Aber er hat ein Auge auf dich geworfen!“

      „Kenne ich ihn?“

      „Er hat dich im Gottesdienst gesehen. Übrigens ist er ein sehr frommer Mann, vielleicht ist ihm deine ehrliche Andacht aufgefallen. Jedenfalls ist er auf Brautschau und hat Onkel Pieter gebeten, einen Kontakt herzustellen.“

      „Warum Onkel Pieter?“

      „Du weißt doch, dass Onkel Pieter enge Verbindungen zur Vereinigten Ostindischen Compagnie hat. Und dieser hohe Herr steht in Diensten der Compagnie.“

      Er schwieg wieder. Vermutlich wartete er darauf, dass Eva nach dem Namen fragen würde, und als sie es nicht tat, sagte er: „Es ist Jan Pieterszoon Coen, der langjährige Generalgouverneur der Compagnie in Ostindien. Er war Herr und Meister über alle Besitzungen der Compagnie auf den Gewürzinseln im Indischen Ozean und an der indischen Küste. Onkel Pieter hält ihn für den fähigsten Mann, auf den die Compagnie je hat bauen können. Und, Eva, die Compagnie hat ihn für seine Dienste reich belohnt. Er ist vermögend.“

      „Und deshalb der Richtige, um unsere Schulden zu bezahlen“, dachte Eva, aber sie sprach es nicht aus. Ihr Vater, der bisher beim Reden meist an die Wand oder an die Decke geschaut hatte, sah ihr nun ins Gesicht, und sie spürte, dass er darin das Maß ihrer Erschütterung ablesen konnte. „Eva!“ Er ergriff ihre Hand. „Eva! Ich kann mir vorstellen, dass das jetzt alles sehr plötzlich für dich kommt. Aber es ist ein Grund zu allergrößter Freude. Wir hätten nie damit rechnen können, dass ein so großer Mann dich erwählen würde. Es ist so unerwartet, dass man dahinter nur das Wirken des Herrn vermuten kann. Du brauchst gar nicht erst auf die Suche nach einem geeigneten Ehegatten zu gehen, dieser Sorge bist du enthoben. Das Glück ist ganz von allein zu dir gekommen.“

      An dieser Stelle trat Tanneke wieder in den Saal. „Ich habe noch Hering – will jemand Hering?“ Evas Vater ließ ihre Hand los: „Ja, gewiss doch, frag nicht erst, bring ihn rauf!“ Dann beugte er sich über den Tisch. Eva wusste, dass er ihr in die Augen schauen wollte, aber sie hielt den Blick fest auf den Eichentisch gerichtet. Nur wenige Dinge auf der Welt kannte sie so gut wie die Maserung dieser Eichenplatte, an der sie seit Kleinkindertagen ihre Mahlzeiten eingenommen hatte. Da war die breite Kerbe, die entstanden war, als sie einmal versehentlich


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