Die Muskatprinzessin. Christoph Driessen

Die Muskatprinzessin - Christoph Driessen


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will mich verheiraten.“

      „Was?“

      „Ja. Heute hat er’s mir gesagt.“

      „Und mit wem?“

      „Irgendein hohes Tier von der Compagnie. Vierzig Jahre oder älter. Der könnte mein Vater sein.“

      „Hat er Geld?“

      „Ja, was denkst du denn? Das ist doch der Grund, warum ich ihn heiraten soll. Ich soll ihn heiraten, damit Vater seine Schulden bezahlen kann.“

      „Verdammt!“, fluchte Gerrit. „Das ist heftig, richtig heftig. Du darfst dir das nicht gefallen lassen! Du musst dich weigern!“

      „Das werde ich vielleicht auch. Aber Vater ist völlig begeistert.“ Sie äffte seinen Tonfall nach: „Das hättest du niemals erwarten können, dass sich so ein hoher Herr um dich bemüht!“

      „Wenn du dich weigerst, kann er dich nicht zwingen!“, meinte Gerrit. Er schien ehrlich schockiert. „Stell dich quer!“

      „Das sagt sich so leicht“, wandte Eva ein. „Du weißt doch, dass Vater kurz vor dem Bankrott steht.“

      In diesem Augenblick rannten drei Gestalten auf Gerrit zu und warfen ihn zu Boden. Einer beugte sich über ihn und machte sich an seinem Gesicht zu schaffen. Eva packte ihn an der Schulter und versuchte, ihn wegzuziehen. „Lass das, lass ihn los!“ Doch der Unbekannte ließ sich davon nicht beeindrucken. Als er schließlich aufhörte und sich wieder hinstellte, sah Eva, dass Gerrits Gesicht weiß war. Es war ein alter Kirmesscherz, dass sich junge Leute überfielen und das Gesicht ihres Opfers mit Wachs und Mehl einrieben. Eva musste bei dem Anblick unwillkürlich an den geschminkten Schauspieler denken, der auf der Bühne den Tod verkörpert hatte.

      Gerrit hatte sich inzwischen aufgerappelt und versuchte zu Evas Entsetzen, seinen Degen zu ziehen. Weil der sich aber irgendwo verhakt hatte, gelang ihm das nicht – wütend rüttelte er am Knauf seiner Waffe. Die drei Männer, die ihn niedergeworfen hatten, brachen in schallendes Gelächter aus. Gereizt bis aufs Blut, wollte Gerrit mit bloßen Händen auf sie losgehen, doch mit einem Mal ließ er die geballten Fäuste sinken und begann ebenfalls zu lachen: „Willem … Lucas … Nicolaes …“, prustete er. „Ihr seid wohl verrückt geworden, was? Na wartet, ich werd’s euch schon noch heimzahlen!“

      Nun schlugen sich alle vier begeistert auf die Schulter und boxten einander gegen die Brust. Dazu grölten sie französische Begrüßungsformeln. Gerrit wandte sich an Eva: „Ich dreh noch kurz eine Runde mit denen.“

      „Gerrit, Vater hat gesagt, du musst heute pünktlich zu Hause sein!“

      Seine Kumpane lachten, doch Eva achtete nicht darauf. „Ich bin dagegen, dass du mitgehst. Man muss um dein Leben fürchten. Der geringste Anlass, und du verlierst die Beherrschung und greifst zum Degen, wie man eben gesehen hat. Das kann sehr schnell böse enden, besonders auf der Kirmes.“

      „Keine Angst“, rief ihr einer der jungen Männer zu, „wir passen auf ihn auf!“ Schon verschwanden sie mit ihm in der Dunkelheit.

      „Das ist die schlimmste Kirmes, die ich jemals erlebt habe“, dachte Eva. Und jetzt musste sie sich auch noch ohne männliche Begleitung auf den Heimweg machen. Eine Frau am Kirmesabend allein auf der Straße – das war das reinste Spießrutenlaufen. Sie zog den Kopf ein und beeilte sich wegzukommen. Aus den Augenwinkeln fiel ihr ein junges Liebespaar auf: Er hatte ihr gerade an einem Stand einen Kirmeskuchen gekauft. Mit Zuckerguss stand darauf geschrieben: In Liebe. Eva ging noch schneller.

      Am nächsten Morgen war Gerrit nicht zu Hause. Claes Corneliszoon Ment bekam einen Wutanfall, so wie Eva ihn selten erlebt hatte. Sein kleiner Kopf lief puterrot an. Weil Gerrit nicht anwesend war, musste sich Eva einiges anhören. Sie habe nicht auf ihren kleinen Bruder aufgepasst, hielt der Vater ihr vor. „Kleiner Bruder?“, entgegnete sie. „Der ist einen Kopf größer als ich.“

      Insgeheim freute sich Eva, dass der Tag, dem ihr Vater so große Bedeutung beimaß, nicht so begann, wie er sich das vorgestellt hatte. Gerrits Verschwinden fand sie allerdings beunruhigend. Doch für Nachforschungen blieb keine Zeit, sie mussten zur Kirche.

      Eva hatte sich so verhalten wie möglich gekleidet. Auf keinen Fall wollte sie den Eindruck erwecken, Coen gefallen zu wollen. Ihr Vater hatte sie zwar kurz gemustert, aber nichts gesagt – für einen Gottesdienstbesuch hielt er die dezente schwarze Aufmachung vermutlich angemessen.

      Bis zur Alten Kirche ging es nur über eine Brücke. Eva hätte den Weg mit verbundenen Augen gefunden, so gut kannte sie ihn. Das alte Gemäuer war ihre Taufkirche, und solange sie zurückdenken konnte, war sie mindestens einmal in der Woche dort gewesen.

      Eva hatte schon den ganzen Morgen ein brennendes Gefühl in der Magengegend, und als sie nun auf dem Platz vor der Kirche eintrafen, nahm es an Heftigkeit zu. Mehrere kleine Gruppen von Kirchgängern standen beisammen. Ihr Vater sah sich kurz um, dann entdeckte er ihren Onkel, und sofort geschah, was Eva schon so häufig an ihm beobachtet hatte: Wahrscheinlich ohne es selbst zu bemerken, beugte ihr Vater den Oberkörper ein wenig vor und setzte ein anbiederndes Lächeln auf. Dies hatte ohne Zweifel damit zu tun, dass er in Pieter Hasselaer alles sah, was er auch gern gewesen wäre: guldenschwer und geachtet. Hasselaers Brauerei stand im Ruf, eine Goldgrube zu sein, doch mehr noch hatte der Herr Schwager mit Grundstücksspekulationen verdient. Dabei kam ihm zugute, dass er als Ratsmitglied immer etwas früher als die anderen wusste, wo als Nächstes neues Bauland für den nie abreißenden Strom von Neubürgern erschlossen werden sollte.

      Eva fragte sich, ob einer von Onkel Pieters Gesprächspartnern ihr künftiger Ehemann sein könnte. Es fiel ihr auf, dass einer von ihnen – er stand mit dem Rücken zu ihr – ein geradezu hünenhafter Kerl war. Sollte das etwa …?

      Pieter Hasselaer hatte sie nun auch gesehen und winkte sie ein wenig gönnerhaft heran. Schon im Näherkommen nahm Evas Vater den Hut ab. Die Männer öffneten den Kreis. „Guten Morgen, Onkel Pieter“, grüßte Eva. Hasselaer zog den Hut. „Guten Morgen, Eva. Das hier ist Herr van Neck, ich glaube, ihr seid euch schon begegnet.“ Eva senkte ehrfürchtig den Kopf – der alte van Neck war eine Amsterdamer Berühmtheit, denn er hatte ein Vierteljahrhundert zuvor als Pionier des Ostindienhandels sagenhafte Profite erzielt. „Das hier“, fuhr Hasselaer fort, „ist Herr Visscher.“ Der Name sagte Eva nichts. Sie verbeugte sich routiniert.

      Hasselaer wandte sich nun dem Letzten in der Runde zu. Es war der Hüne. „Und das hier ist General Coen.“ Eva durchzuckte es. Langsam hob sie den Kopf. Ihre Augen befanden sich gerade einmal auf Brusthöhe des Mannes. Sie musste zu ihm emporschauen. Er war hager, fast ausgezehrt, mit hervorstehenden Backenknochen und einem schmalen Mund, der von Knebel- und Spitzbart eingerahmt wurde. Die Nase war groß und gebogen wie der Schnabel eines Raubvogels. Die kleinen Augen lagen tief in den Höhlen, doch ihr Blick war so durchdringend, dass Eva unwillkürlich wieder zu Boden schaute.

      Jetzt erinnerte sie sich, dass ihr Coen in der Kirche schon einmal aufgefallen war – sie hatte ihn nur von Weitem gesehen, und doch hatte er ihr Respekt und sogar etwas Furcht eingeflößt. Es war nicht allein seine Riesenhaftigkeit, es war der Ernst, der von ihm ausging, gepaart mit einer, wie es schien, natürlichen Überlegenheit. Zusammen ergab dies eine Ausstrahlung von zwingender Autorität.

      Coen hatte noch nicht gesprochen, und Eva hatte ebenfalls geschwiegen. Ohne den Blick ganz zu heben, brachte sie ein „Sehr erfreut“ heraus. Es war eher gehaucht als gesprochen. Coens Lippen bewegten sich nicht. Eva sah erneut zu ihm auf. Nun endlich rührte er sich. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite, verehrtes Fräulein Ment.“ Seine Stimme war nicht ganz so tief, wie sie erwartet hatte. „Sollten wir jetzt reingehen?“ Die anderen nickten. Für Eva entstand ein Augenblick der Unsicherheit, da sie nicht wusste, ob sie hinter Coen hergehen sollte. Doch da war schon ihr Vater zur Stelle und bedeutete ihr, sich neben ihm zu halten. Auch die Ehefrauen von Hasselaer, van Neck und Visscher, die sich nahe der Eingangstür miteinander unterhalten hatten, schlossen sich an.

      Die Gesellschaft verteilte sich über zwei Bänke. Eva versuchte, sich zu sammeln. Es beruhigte sie immer, in der Kirche zu sein. Die kahlen, weiß getünchten Wände und Säulen


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