Das Therapiehunde-Team. Inge Röger-Lakenbrink
1. Historische Entwicklung und Verwendung eines Therapiehundes
Soweit sich die Geschichte der Menschheit zurückverfolgen lässt, besteht eine enge Beziehung zwischen Mensch und Hund. Zwar wandelte sich die Rolle des Hundes im Laufe der Jahrtausende immer wieder, aber kein anderes Tier war in die Domestikation des Menschen und in die Weiterentwicklung des menschlichen Lebens so intensiv eingebunden wie der Hund.
In der Mythologie einiger Urvölker finden sich zahlreiche Beispiele dafür, wie sie den Hund in ihren Vorstellungen durch unterschiedliche Erscheinungsbilder in ihren Glauben und ihre Kulthandlungen miteinbezogen.
Schon im Altertum, während der assyrisch-babylonischen Kultur und Religion im alten Orient, wurde die Göttin »Gula« als Göttin der Heilung verehrt – in der Gestalt eines Hundes. Aus Überlieferungen ist bekannt, dass diese Göttin sehr geachtet war und ihrem Abbild in Hundegestalt große Ehrfurcht entgegengebracht wurde.
In verschiedenen Religionsgemeinschaften, wie beispielsweise dem Hinduismus oder dem Buddhismus, entwickelten sich lange vor dem Christentum ethische Normen, die den Umgang mit Tieren im allgemeinen, so auch mit Hunden, ausdrücklich regelten. Ihre Sozialordnung gestaltete sich im Sinne des Wohlergehens der Tiere. Aber nicht überall auf der Welt schätzte man den Hund als Helfer und Begleiter des Menschen. Selbst in den christlichen Religionen spielten Tiere allgemein eine eher nebensächliche und untergeordnete Rolle – erst im 18. Jahrhundert wurden durch tierschutzähnliche Regelungen ihre Lebensbedingungen allmählich verbessert. In anderen Glaubensrichtungen, wie zum Beispiel dem Islam, hat der Hund in den ethisch-religiösen Normen auch heute noch einen niederen Stellenwert und wird verachtet. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich langsam eine Einstellung unter der Menschheit, dass »ein tier dem herze wol macht«, wie es der Lyriker und Minnesänger Walther von der Vogelweide um 1200 n. Chr. in einem seiner Texte formulierte. Die Verwendung als reines Nutztier – dem Jagdhelfer, der das Überleben sicherte – wandelte sich zunehmend in eine Rolle als Gefährte und Begleiter des Menschen, die über ein reine zweckgebundene Abhängigkeit hinaus ging. Vom reinen Arbeits- und Nutztier änderte sich seine Stellung vielerorts in ein beliebtes Statussymbol. Der Kontakt mit Hunden intensivierte sich für den Menschen in vielfältiger Beziehung – als therapeutische Begleiter wurden seine Qualitäten allerdings erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts verbreitet, ernsthaft wahrgenommen und ansatzweise auch wissenschaftlich belegt.
Die enge Beziehung zwischen Mensch und Hund besteht seit Jahrtausenden – in der heutigen Zeit hat sich ein Hund für viele Kinder auch zum engen Sozialpartner entwickelt.
In Einzelfällen lassen sich bis ins 8. Jahrhundert die ersten konkreten therapeutischen Einsätze von Tieren im Umgang mit Behinderten zurückverfolgen. In belgischen Klöstern wurden geistig kranke Waisenkinder vor allem durch die Mithilfe von Hunden erfolgreich therapiert.
Aus dem 18. Jahrhundert ist aus England überliefert, dass Quäker eine Anstalt für Geisteskranke gründeten, das »York Retreat«, welches in seinen Außenanlagen die Möglichkeit anbot, verschiedene Kleintiere zu halten. Die Patienten wurden in die Betreuung und Versorgung der Tiere gezielt mit einbezogen.
Der therapeutische Nutzen von Tieren für den Heilungsprozess wurde im Bereich der Krankenpflege insbesondere von Florence Nightingale im 19. Jahrhundert erkannt, die sich als Reformerin der allgemeinen Krankenpflege stark engagierte.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde erstmals in Deutschland eine unterstützende Therapie durch unterschiedliche Tierarten bei Epileptikern angewandt. In den Krankenanstalten von Bethel bei Bielefeld entwickelte sich ein beachtenswertes Engagement der Therapeuten – bis hin zum Einsatz einer Reittherapie.
In der darauffolgenden Zeit existierten einzelne Therapieprojekte relativ unbeachtet und ohne Öffentlichkeitswirkung in verschiedenen Teilen der Welt.
Die therapeutisch Aktiven in den unterschiedlichen Einrichtungen haben deren Bedeutung nicht erkannt – oder haben es schlichtweg versäumt, genauere Aufzeichnungen zu überliefern.
Erst seit etwa 1960 wurde der gezielte Einsatz von Hunden als therapeutische Helfer und Begleiter dokumentiert. Vor allem in England, Amerika und Australien setzten sich Psychologen, Ärzte und Therapeuten mit dem Hund als Co-Therapeuten verstärkt auseinander und formulierten ihre Erkenntnisse aus der Praxis in unterschiedlichen Veröffentlichungen. Allen voran Boris M. Levinson, ein Kinderpsychologe aus New York, der seinen Hund auch in die eigene Praxis mitnahm und eher durch einen Zufall feststellte, welchen gravierenden Einfluss die Anwesenheit seines Golden Retrievers auf den Behandlungs- und Heilungsprozess der kleinen Patienten hatte.
1969 erschien sein richtungsweisendes Werk »Pet oriented Child-Psychiatry«, welches den therapeutischen Einsatz von Hunden im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Psychotherapie beschrieb.
In einem seiner vielen Vorträge prognostizierte er vor über 30 Jahren, dass die Nachfrage und das Bedürfnis der Menschen nach einer Tier-Beziehung im Jahre 2000 zu einem »Tierverleihservice« führen würde – er ahnte es damals schon, wie intensiv sich die therapeutisch geprägte Mensch-Tier-Beziehung tatsächlich entwickeln würde.
In der folgenden Zeit, den siebziger Jahren, entstand in Amerika – parallel zu den Erkenntnissen von B. M. Levinson – eine Vereinigung, in der sich Tierärzte, Verhaltensforscher, Psychologen, Therapeuten und Mediziner, Sozialpädagogen und Gerontologen aus England und den Vereinigten Staaten mit der wissenschaftlichen Erforschung von positiven Effekten der Mensch-Tier-Beziehung befassten. Zwar gestaltete sich diese Entwicklung nicht unproblematisch, denn vielerorts existierten enorme Vorbehalte, und anhaltende Überzeugungskraft war notwendig, die nur durch den Erfolg von praktischen Einsätzen entkräftet werden konnten.
Es gründete sich 1977 in Portland / Oregon die Stiftung »Delta Society«, die mit ihrem sogenannten »Pet Partner Program« die tiergestützte (»pet-facilitated«) Therapie flächendeckend in den USA ins Leben rief. Innnerhalb kürzester Zeit arbeiteten Hunderte von »pet partner teams« mit den unterschiedlichsten Organisationen zusammen, die insbesondere Hunde als Co-Therapeuten einsetzten. Heute arbeiten diese Teams im ganzen Land anerkannt und erfolgreich – ständig weitergebildet und mit den neuesten Erkenntnissen ausgestattet, die insbesondere durch die wissenschaftlichen Forscherteams der »Delta Society« fortlaufend erarbeitet und aktualisiert werden.*
Während dieser Epoche warnten schon die ersten Stimmen vor einer Ausnutzung und Überforderung der Hunde – lediglich als Mittel zum Zweck benutzt, ohne Rücksichtsnahme auf ihre individuellen Bedürfnisse, sollten und durften die Helfer auf vier Pfoten nicht verschlissen werden! Es sollte allerdings noch einige Jahre dauern, bis auf nationaler und internationaler Ebene eine Problematisierung dieses Themas aktuell wurde und diesbezüglich klare Forderungen formuliert werden konnten.
Im Jahre 1990 gründete sich der erste »Internationale Dachverband für die Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung« – die »IAHAIO« (International Association of Human Animal Interaction Organisations) mit Sitz bei der Delta Society. Der Dachverband fördert weltweit den Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse und deren Weiterentwicklung.
In den darauffolgenden Jahren erschienen zahlreiche internationale Veröffentlichungen, die sich mit der Erforschung der therapeutischen Wirkung von Tieren im Allgemeinen – und Hunden im Besonderen – beschäftigten, was dazu führte, dass sich auch in den europäischen Ländern das Interesse am Einsatz von Therapiehunden stärker entwickelte.
Das Engagement einzelner Personen, die mit starkem Willen und viel Überzeugungskraft gegen harte Widerstände ankämpfen mussten, bewirkte eine zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit, die dazu führte, dass sich erste kleinere Organisationen und Vereine bildeten. Die Mitglieder organisierten anfangs mit ihren Hunden vorwiegend