Der Geruch des Todes. Cat Warren

Der Geruch des Todes - Cat Warren


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Hund, der einen Teil unserer Zeit und Energie in Anspruch nahm: eine wunderschöne Irische Setterhündin, die wir vor einigen Jahren von meinem Vater übernommen hatten. Er war mit einer liebenswerten Frau zusammengezogen, die nicht an große, nahezu unkontrollierbare Hunde gewöhnt war, und wir boten an, Megan aufzunehmen, um die Belastung der neuen Beziehung durch die Hunde zu lindern. Ich log David an und versprach, dass es nicht bloß töchterliche Pflicht war, sondern Spaß machen würde, eine einjährige läufige Hündin zu adoptieren.

      Obwohl Megan mittlerweile vier war und die Tage, an denen wir wünschten, sie an einen netten Bauernhof am Land abzugeben, selten geworden waren, hatte sich meine Einstellung zu Irischen Settern seit meiner Kindheit kaum verändert. Sie hatten unser kleines Haus in Oregon mit Lebensfreude, mangelndem Gehorsam und einem nahezu unheimlichen Ausbruchstalent erfüllt. Sie verschwanden regelmäßig im dunklen Nebel des Willamette-Tals, liefen querfeldein ins Nirgendwo und verirrten sich meilenweit von unserem kleinen Haus in den Hügeln − und zwar ausschließlich nachts. Ihre übrigen Sünden waren unerheblich: Sie sprangen an Gästen hoch, klauten leere Toilettenpapierrollen, um damit zu spielen, und rollten sich in unbeobachteten Momenten lautlos auf Betten und Lehnstühlen ein. Mein Vater liebte ihre Streiche; er liebte es, die seidigen Setterköpfe zu streicheln. Sie lenkten ihn von seinem mühsamen Alltag ab: einer fordernden Forschungskarriere, seiner pflegebedürftigen gelähmten Frau und drei mitunter wilden Kindern, die erzogen werden wollten. Die Setter und ihr Übermut waren sein einziger Urlaub.

      Anders als mein Vater erfüllten Hunde für mich nicht den Zweck einer Ablenkung. Ich wollte Hunde, die sich vollkommen auf mich einließen − und umgekehrt. Anfang zwanzig waren Deutsche Schäfer meine Lieblingsrasse geworden. Einerseits, weil ich ihre Intelligenz und Würde und ihre körperliche Ähnlichkeit zu Wölfen liebte, andererseits, weil sie eine Antithese zur Rasse der Setter darstellen. Als ich David kennenlernte, war mein zweiter Schäfer noch ein junger Hund; er verliebte sich in uns beide. Zev war ein unkomplizierter Botschafter für seine Rasse.

      David und ich beschlossen, dass der zerdrückte Maulwurf einen Namen brauchte, der besser zu ihm passte als Coda. Seine Ankunft in dieser Welt fühlte sich weniger wie das Ende einer Komposition und mehr wie eine Improvisation an. David, ein Jazzliebhaber, nannte ihn Solo.

      Verhaltensforscherin und Autorin Patricia McConnell widmet einen Großteil ihrer beruflichen Laufbahn und Forschung Hunden mit Verhaltensproblemen. Eines ihrer Bücher enthält ein Kapitel zum Thema Aggressionsbewältigung bei Hunden. Sie berichtet über ihre Reaktion, als ihr Lieblings-Border-Collie einen einzelnen Welpen auf die Welt brachte: „Ich sollte doch den Menschen helfen – und nicht genau jene Probleme verursachen, die zu lösen meine Aufgabe war! Als der Tierarzt bestätigte, dass der Wurf aus einem einzigen Welpen bestehen würde, war ich außer mir. Man würde annehmen, dass diese Nachricht kein Drama wäre − doch genau so fühlte es sich an.“ McConnell überlegte kurz, den Welpen einzuschläfern, verwarf die Idee jedoch, sobald sie das kleine, warme Fellbündel in Händen hielt. „Im Laufe der Jahre hatte ich eine überdurchschnittlich große Anzahl Einzelwelpen mit ernsten Verhaltensproblemen gesehen.“ Sie war die Verhaltenstrainerin, die zu viel wusste. Dennoch entschied sie, das Experiment zu wagen − zugunsten ihrer Forschung und vielleicht im Sinne zukünftiger Klienten, die, an ihren Einzelwelpen verzweifelt, ihre Hilfe suchten.

      Bereits im zarten Alter von fünf Wochen, schreibt McConnell, schenkte ihr der Border-Collie-Welpe ein grimmiges Knurren, die Lefzen über die winzigen Milchzähne zurückgezogen. „Ich hatte nichts weiter getan, als ihn zu berühren.“

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      Joan gab dem Einzelwelpen den Spitznamen „Seine königliche Hoheit“. Solo war der Herrscher über seine Welt. Schon bevor er acht Wochen alt war, hatte er das Äquivalent eines Oxford-Studiums in der Tasche. Der einzige Welpe im Wurf zu sein hatte seine Vorteile. Joan nahm ihn überallhin mit: zu Akupunkturterminen, in den Baumarkt, zu Besuchen bei Freunden und auf Erkundungsspaziergänge in die Wälder. Ich folgte seinen Heldentaten über E-Mail und Fotos. Er hatte alles, was ein Welpe sich wünschen konnte, und mehr. Das heißt − nicht ganz: alles außer anderen Welpen, mit denen er hätte interagieren können. Seine junge Mutter Vita, eine triebstarke Importhündin aus Westdeutschland, sah sich nicht in der Rolle seiner Mentorin. Ihre Vorstellung davon, Solo zu bemuttern, bestand darin, ihn fieberhaft zu stillen und dann davonzustürmen wie Karl der Kojote, der den Road Runner in einer Staubwolke hinter sich zurücklässt. Also nahm sich Solos Großtante Cora mit beigem Fellkleid und gutmütigem Gesichtsausdruck, schelmischem Sinn für Humor und Toleranz für ungewöhnliche Welpen (weil sie selbst ein solcher gewesen war) seiner Erziehung an. So läuft es immer in Großfamilien, und manch einer entwickelt sich gerade darum umso besser. Cora interessierte sich für und amüsierte sich über Solo. Sie brachte ihm ihre Liebe für Spielzeug und Spiele näher, und er konnte sich alles erlauben. Auf einem der Fotos spaziert Solo mit seiner Lieblings-Stoffente im Maul über Coras ausgestreckten Körper und hinterlässt Pfotenabdrücke in ihrem plüschigen Fell.

      Sie mögen mich, weil ich ein Schurke bin. Es gab leider nicht genug Schurken in Ihrem Leben.

       - Han Solo, Das Imperium schlägt zurück, 1980 -

      Solo war kein zerdrückter Maulwurf mehr; mittlerweile erkannte auch ich, dass er einen prächtigen Kopf bekommen würde. Ein bedeutender Teil dieses herrlichen Schädels diente seinem olfaktorischen System. Selbst aus vollem Lauf in Richtung Joan kam er mitunter schlitternd zum Stillstand und blähte die Nasenflügel, so weit er nur konnte, um einen eigensinnigen Geruch zu prüfen. „Die Nase regiert ihn“, sagte Joan. Das waren keine guten Neuigkeiten. Aufgrund ihres Jagdhund-Erbes erstarrte Megan bei Anblick eines Vogels, einer Katze oder eines Eichhörnchens zur Salzsäule; jede ihrer Synapsen auf die eine, einzige Aufgabe gerichtet. Ich hatte auf einen Hund gehofft, der sich einzig und allein auf mich konzentrieren würde! Ich wusste, dass es etwa ein Jahr dauern würde, um ihn auf Touren zu bringen, doch hatte ich jenen Hundeführern im Obediencetraining, die ihre hängebackigen Bassets und Beagles anflehen mussten, die am Boden schnorchelnden, vom Geruch hypnotisierten Nasen zu heben und ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, schon immer mit einem Anflug von Verachtung betrachtet.

      Mitte Mai 2004, es hatte bereits um die dreißig Grad in Ohio − Vorboten eines noch heißeren Sommers −, fuhren wir die siebenhundert Kilometer von North Carolina zu Joan, um Solo kennenzulernen und abzuholen. Als wir ankamen, entspannte er alleine in einer offenen Box im Vorgarten, ein Stillleben in Rot und Schwarz, eine Pfote unter die Brust gefaltet, und überblickte sein Reich. Er hatte die kurze Phase, in der Schäferwelpen süß aussehen − mit weichen Schlappohren und Nasen, die noch nicht an Haifischschnauzen erinnern − bereits hinter sich gelassen. Solo begrüßte uns kurz, beschnüffelte und ignorierte uns dann. Er rannte umher und rempelte die erwachsenen Schäferhunde mit Spielsachen an. Er hatte Nerven aus Stahl. Er wirkte eingebildet. Er machte mich leicht nervös. Joan hatte eine schöne Abschiedsfeier mit Hunden und Menschen organisiert, um uns auf die Reise zurück nach North Carolina zu schicken. Solo rannte, knurrte und sprang die ganze Feier über auf und ab. Er verabschiedete sich von seinem würdigen Vater, Quando, indem er sich in dessen goldener Nackenkrause verbiss und ließ erst los, als Quando ihn über die lange Höckernase hinweg anblickte und einen Schritt nach hinten machte.

      Wir sammelten Solo und seine kostbaren Spielsachen ein und fuhren die Landstraße entlang, zurück nach North Carolina. Auf dem Rücksitz, zu seiner eigenen und unserer Sicherheit in einer Reisebox verwahrt, lag unsere flauschige Zukunft. Das Einzige, was mir von der langen Fahrt noch in Erinnerung ist, sind die Hitze und die Tatsache, dass Solo ein perfekter, entspannter Beifahrer war, fröhlich aus dem Auto sprang, wann immer wir stehen blieben, wedelnd sein Geschäft verrichtete und dann zurück in seine Box kletterte wie ein erwachsener Schäferhund im Miniaturformat. Mittlerweile hatte ich ein besseres Gefühl bei der Sache.

      „Meine Güte“, staunte unsere Freundin Barbara Smalley, die am selben Abend vorbeikam, um den Neuankömmling zu begutachten. Der neun Wochen alte Solo sprang an Megan hoch, biss in ihre Ohren und ritt ihr auf. „Der hält euch auf Trab, was?“ David und ich waren am Ende unserer Kräfte, Solo hingegen zeigte keine Spur von Erschöpfung. Megan sabberte und hechelte in ihrer Not. Aufgrund meiner Versuche,


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