Der Geruch des Todes. Cat Warren

Der Geruch des Todes - Cat Warren


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Gruften.

      Während Anubis das Thema zahlreicher Kunstwerke und Berichte ist, sind nur ein oder zwei Dokumente aus dem neunzehnten Jahrhundert erhalten, die davon erzählen, wie die alten Baktrer (im heutigen Afghanistan) und die Hyrkanier (damals Teil des persischen Reiches) mit jener Vorliebe der Caniden umgingen. In den Berichten lesen wir, dass die Baktrer Hunde einsetzten, die sie als canes sepulchrales bezeichneten. Sie hatten eine ganz bestimmte Aufgabe: die Toten zu fressen. Als Gegenleistung erhielten sie die beste Pflege und Aufmerksamkeit, „denn es schien nur angemessen, dass die Seelen der Verstorbenen in gesunden und starken Körpern wohnen sollten.“ Kein schlechter Deal für die Verstorbenen, die sich in einem mobilen, flauschigen Sarg aufhalten durften! Die wenigen geschichtlichen Informationen, die uns erhalten sind, schweigen sich darüber aus, was nach dem Tod des Hundes passierte.

      Auch für die Zarathustrier in Persien spielten Hunde eine zentrale und vielschichtige Rolle auf Begräbnisritualen. Wie die Ägypter und Baktrer hatten sie offenbar beschlossen, das Beste aus der hündischen Liebe zu stinkendem Protein zu machen. Hütehunde waren bereits ein zentraler Teil des nomadischen Erbes der Zarathustrier. Forscherkoryphäe Mary Boyce schreibt zum antiken Iran, dass „sterblichen Hunden“ in heiligen zarathustrischen Texten „auffällig große Bedeutung zukommt“. Die Hunde wurden mit Feuer verglichen − sowohl schützend als auch zerstörerisch. „Es ist wahrscheinlich, dass den Hunden diese Macht zugesprochen wurde, weil sie zugleich im Avesta immer wieder im Zusammenhang mit dem Verschlingen von Leichen auftauchen“, schreibt Boyce.

      Ein Hund, der dies tun konnte, ohne von Nasu, dem Dämon der Fäulnis, heimgesucht zu werden, musste unter dem Schutz der Götter stehen. Das Begräbnisritual im Zarathustrismus hieß sagdid, „vom Hund gesehen“. Diese Aufgabe musste von einem besonderen Hund erledigt werden. Ein Hund, der an einen Deutschen Schäfer erinnert. Der ideale sagdid-Hund war ein mindestens vier Monate alter Rüde. Er war „goldbraun“ mit „vier Augen“ − vielleicht ähnlich wie der rostrot-schwarze Solo mit zwei unruhigen schwarzen Flecken an jener Stelle, an der beim Menschen die Augenbrauen säßen. Einer der kleinen gusseisernen Gegenstände im Teheran-Museum sieht aus wie ein gedrungener Deutscher Schäferhund, obwohl die Rasse damals noch nicht existierte. Ein typischer damaliger Hund könnte weiß gewesen sein, mit gelbbraunen Augen − wahrscheinlich ähnlich dem israelischen Kanaan-Hund, einer alten Hütehundrasse, die es heute noch gibt, oder einer der Wachhunderassen aus derselben Gegend.

      Die Hunde, die zum sagdid ausgewählt wurden, wurden für ihre Arbeit bezahlt. Und die Zarathustrier wussten, wie man einen Hund trainiert: Drei Stück Brot wurden auf den Toten gelegt, um den Hund zu verleiten, sich zu nähern, den Blick auf der Leiche ruhen zu lassen und Nasu zu vertreiben. Genauso begann ich, Solo beizubringen, den Geruch des Todes zu erkennen und ihm nachzugehen − nur dass ich kein Brot, sondern Leberkekse und Spielzeug verwendete, um sein Interesse zu wecken.

      Die Arbeit der Hunde endete nicht mit dem sagdid. Nachdem der vieräugige Hund seine Arbeit beendet hatte, brachten Totenträger die Leiche fort, und die Dorfhunde und Geier folgten und feierten ein Festmahl.

      Zarathustrische Hunde − von den Schäfern über die Jäger bis zu den Hausund Dorfhunden − hatten ein gutes Leben: Sie wurden besonders reich gefüttert, wenn Menschen starben. Dabei bekamen sie nicht nur ein Stück Brot und halfen beim Vertilgen der Leiche, nein, sie erhielten auch ein ganzes Ei und Teile der Opfergaben für die Toten.

      Wenn zarathustrische Haushunde starben, wurden sie auf besondere Art verabschiedet. Boyce schreibt: „Bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde ein verstorbener Haushund in ein altes heiliges Hemd gewickelt, mit einem heiligen Gürtel verbunden und zu einen unwirtlichen Ort gebracht, wo kurze, feierliche Ritualen für seine Seele zelebriert wurde.“

      Mir gefielen alle Rituale, ganz besonders das für den Haushund. Es ging einen Schritt weiter als das, was wir nach Zevs Tod gemacht hatten: Der Tierarzt hatte uns seine Asche in einer Plastikdose mitgegeben. Die Dose befand sich in einem burgunderroten Seidenbeutel, der mit einer kleinen Regenbogenbrücke bestickt war. Die Dose steht immer noch am Eichenschreibtisch meines Urgroßvaters. Ich weiß nicht, worauf wir warten. Wir sollten seine Asche an einen unwirtlichen Ort bringen.

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      Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus, Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte, Und viel tapfere Seelen der Heldensöhne zum Aïs Sendete, aber sie selbst zum Raub darstellte den Hunden, Und dem Gevögel umher.

       - Homer, die Ilias -

      In der westlichen Welt wurden die Hunde nicht annähernd so gut behandelt wie bei den Zarathustriern – und das, obwohl wir der Wölfin, die Romulus und Remus fütterte und aufzog, zu tiefer Dankbarkeit verpflichtet wären. Wer hätte Rom und damit unsere Version der Zivilisation begründet, wäre sie nicht gewesen? Wir schrecken davor zurück, Hunde in unser religiöses Leben zu integrieren, und vor der Vorstellung, dass Hunde Menschen fressen könnten, graut uns. Homer machte sich die Anziehungskraft, die Leichen auf Hunde ausüben, in der Ilias zunutze und schuf damit die perfekten Rahmenbedingungen für Horror und Chaos.

      Der große, böse und zumeist dunkle Hund lauert am Rande der westlichen Zivilisation. Hekate, die hellenistische Göttin der Geister und der Zauberei, hatte eine schwarze Hündin als Schutzgeist an ihrer Seite. Die Griechen opferten Hekate schwarze Welpen; überhaupt stellten Hunde in vielen Religionen eine beliebte Opfergabe dar. Zerberus, der dreiköpfige Höllenhund, erlaubte neuen Seelen, das Totenreich zu betreten, doch ließ er niemanden wieder gehen. Gamr, ein blutbefleckter Wachhund der nordischen Mythologie, der stark an einen Deutschen Schäferhund erinnert, bewachte das Tor zur Unterwelt, in die Übeltäter verbannt wurden. Die Cŵn Annwn, Geisterhunde der walisischen Mythologie, sagten den Tod vorher.

      Zumindest erlaubten die polytheistischen Religionen den Hunden, eine Vielzahl von Rollen zu spielen. Vielleicht verschlangen sie Kadaver, doch waren sie auch Wächter und Führer. Homer eröffnete die Ilias zwar mit gierig schlingenden Hunden, doch in der Odyssee wird der sterbende Hund seines Helden zum Symbol für Treue: Einzig und allein Argos erkennt Odysseus, als dieser nach zwanzigjähriger Abwesenheit von seinen Reisen zurückkehrt. Die drei großen monotheistischen Religionen hingegen gestehen den Hunden traditionell keine Vielzahl an Rollen zu. Sophia Menache, Historikerin an der Universität von Haifa, postuliert, dass jüdische, christliche und muslimische Religionen sich von Hunden und deren vertrauter Beziehung zum Menschen bedroht fühlen: Im landwirtschaftlichen Leben spielten Hunde beim Hüten, Bewachen und Ziehen von Lasten eine zentrale Rolle. Sie erinnerten die monotheistische Würdenträger an die allgegenwärtige Konkurrenz der Sekten, welche häufig Tiere verehrten. Wenn wir uns also mit den organisierten Religionen der westlichen Welt auseinandersetzen und die Frage stellen, ob die Hunde einen Vorteil daraus zogen, muss die Antwort Nein lauten. Im neuen Testament werden Hunde zweiundvierzig Mal erwähnt − und zwar fast ausschließlich im negativen Sinne. Die Antipathien und Unsicherheiten der drei Religionen wurden im Laufe der Jahrhunderte milder. In vielen muslimischen Ländern wird allerdings noch immer kurzer Prozess mit Hunden gemacht, und so mancher Christ strebt bis heute nach alleiniger Herrschaft über die Natur.

      Bis in die Gegenwart sind wir in der westlichen Welt seltsam fasziniert von der Rolle, die Hunde beim Tod spielen. Scamp, ein Schnauzer in einem Seniorenheim in Ohio, machte 2007 Schlagzeilen, weil er dazu neigte, vor der Zimmertür jener Patienten, deren Tod kurz bevorstand, bellend auf- und abzulaufen. Über einen Zeitraum von drei Jahren hatte er „auf unheimliche Weise“ den Tod von vierzig Menschen vorhergesagt, erzählt Adeline Baker, die Leiterin des Heims in einem Interview mit Inside Edition. Die Patienten taten alles andere, als Scamp aus dem Weg zu gehen: „Wir sehen ihn nicht als den Sensenmann“, erklärt Adeline Baker. „Es ist schön, zu wissen, dass am Ende unseres Lebens jemand bei uns sein wird, selbst wenn wir keine Familie haben.“

      Vielleicht wurde Scamps Gegenwart als tröstend empfunden, weil er nicht groß und schwarz, sondern klein und grau war und lustige Augenbrauen hatte. So oder so hält das hartnäckige Gerücht, dass große, schwarze Hunde in US-amerikanischen Tierheimen häufiger eingeschläfert werden als andere, wissenschaftlichen Studien nicht stand.

      In


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