Der Geruch des Todes. Cat Warren

Der Geruch des Todes - Cat Warren


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gib ihm nicht so viele Kekse. Du machst ihn zu einer Memme.“ Meine Hand erstarrte mitten in der Luft. „Er ist einfach ein Macho“, sagte sie. „Ein kleines Arschloch. Was willst du mit ihm machen?“

      Und mit dieser einfachen Frage begann meine eigenartige Hundewelt, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. „Was willst du mit ihm machen?“ hieß nicht endlose Therapiesitzungen und Beruhigungsmittel, um Solo zu einem schläfrigen und unterwürfigen Hündchen zu machen, das hin und wieder ein warnendes Hundeflüsterer-“Tzzzzz!“ und einen drohenden Zeigefinger brauchte, um nicht aus der Reihe zu tanzen. Genauso wenig sollte es heißen, dass ich Solo mit Clicks und Keksen zum perfekten Unterordnungs-Turnierhund machen konnte. Das war nichts für Solo; außerdem langweilte auch ich mich bereits mit der Hundesportwelt. Nancy wollte damit auch nicht sagen, dass Solo der typische Hundezonen-Hund werden könne, der es mir erlaubte, bis zum Sonnenuntergang mit anderen entspannten Hundebesitzern auf einer Parkbank zu tratschen, während wir unseren Hunden beim Spielen und Bellen zusahen.

      Sie meinte: „Welchen Job soll dein Hund haben?“

      Ich hatte keine Ahnung. Ich wollte, dass er keine Zeit hatte, um das zu tun, was Nancy gerade zu sehen bekam. Ich wollte, dass er eine Aufgabe hatte. Keinen vorgeblichen Job, der nur dazu diente, sein kleines Herz der Finsternis auszulasten. Nach Möglichkeit auch keine Aufgabe als Therapiehund in einem Seniorenheim, nachdem er sich verhielt wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich wollte, dass seine Aufgabe einen Sinn hätte, weil ich den Sinn meiner eigenen Arbeit ständig hinterfragte.

      Nancy hörte sich meine Ängste und Zweifel nicht lange an. „Du denkst zu viel nach“, sagte sie. „Genau das ist dein Problem.“

      Sie befahl mir, Solo in Ruhe zu lassen. Ich zog meine Hände aus dem fettigen Keksbeutel und legte sie auf die Knie. Ich wandte meinen Blick von Solos Boshaftigkeit ab. Innerhalb weniger Minuten gesellte er sich zu uns und ließ sich mit einem Seufzer ins schattige Gras fallen. Schlimm zu sein macht keinen Spaß, wenn niemand darauf reagiert.

      Nancy und ich besprachen meine Optionen. Sie unterrichtete alles, von Stubenreinheit über Verhaltensmodifikation bis hin zu Unterordnung und Fährtenarbeit. Solo zum Rettungshund auszubilden war nicht ideal. Ich konnte meine Studierenden weder auf einen Vortrag zum feministischen Essentialismus warten lassen, während ich nach einer vermissten Dreijährigen suchte, die in Wahrheit bloß bei den Nachbarn mit Action-Figuren spielte, noch konnte ich mich darauf verlassen, dass mein Körper in der Lage wäre, einem Hund auf der Suche kilometerweit durchs Dickicht zu folgen; ich könnte Asthmaanfälle bekommen, mein Ischiasnerv sich entzünden; ich würde mit angelaufenen oder gesprungenen Brillengläsern durchs Gebüsch torkeln. Die Vermissten hatten eine bessere Chance verdient, als ich sie zu bieten hatte.

      Das sah Nancy ein. Außerdem war ihre Begeisterung für den sozialen Aspekt der Rettungshunde-Arbeit im Laufe der Jahre abgeflaut. Ihre Beschreibung der Intrigen der Rettungshundeteams erinnerte mich stark an das Anglistikinstitut meiner Fakultät, nur ohne dessen viktorianischen Charme. Weitere Probleme tauchten auf: Ich wollte keine Suchausrüstung tragen, die mich aussehen ließ wie eine Pfadfinderin. Und dann war da die Vorstellung eines Teams. Klar, ich konnte mit anderen zusammenarbeiten, aber mit dem fröhlichen Spruch „Einer für alle, alle für einen!“ konnte ich wenig anfangen. Zu Solo passte er auch nicht. Es war besser, wenn er sich nicht ständig in der turbulenten Welt sozialer Gepflogenheiten unter Caniden zurechtfinden musste. Ihn aussenden, um gemeinsam mit einer Reihe selbstbewusster Spürhunde zu suchen? Sie würden sich seine Garstigkeit nicht gefallen lassen, und das Einzige, was von ihm überbliebe, wären Büschel von schwarz-rotem Fell am Wegesrand. Es gab eine Lösung für all die Zeitprobleme, meine zweifelhafte Teamfähigkeit und Solos psychopathischen Welpencharakter. Nancy war sehr zufrieden mit sich selbst, als ihr diese einfiel: „Ein Leichenhund.“

      Ich wusste nicht genau, was Nancy meinte, doch hatte ich bereits eine Ahnung: „Toter Hund.“ Ich bin gut darin, Wörter aneinanderzureihen und zu wissen, was sie bedeuten. Das ist es schließlich, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene.

      „Es passt perfekt“, jubelte Nancy. Die Toten würden auf uns warten, und während sie warteten, verströmten sie Geruch. Mit der Ausnahme von steifgefrorenen Leichen wird der Geruch im Laufe der Zeit immer stärker. Leichenspürhunde und ihre Führer arbeiteten systematisch − und meistens alleine, nicht mit anderen Menschen und Hunden. Die Aufgabe des Hundes war sowohl einfach als auch komplex: jene Stelle zu finden, wo der Geruch am stärksten ist, und sie seinem Menschen zu zeigen. Irgendjemand muss diese Arbeit machen. Angehörige und die Exekutive wollen meistens − nicht immer, aber meistens −, dass die Leiche gefunden wird. „Außerdem“, sagte Nancy strahlend und die Lachfältchen um ihre Augen wurden deutlich sichtbar, „macht es wirklich Spaß. Du wirst es lieben!“

      Sie vermied es, zu erwähnen, dass meine lachsfarbenen Leinenhosen vermutlich nicht das ideale Outfit für die Suche wären.

      Am Ende unserer Trainingseinheit schickte sie Solo und mich auf den Heimweg. Ich war verschwitzt, roch nach Leberkeksen und der Gedanke an vermisste Personen erfüllte mich mit unerklärlicher Freude. Der erschöpfte Solo schlief friedlich auf der Rückbank; einzig seine riesigen Pfoten zuckten hin und wieder. Diesmal stießen sie in die klimatisierte Luft statt gegen den Maschendrahtzaun.

      Nancy, die mit meinen zwanghaften Gewohnheiten vertraut war, verbot mir explizit, über Leichenspürhundetraining zu lesen. Ich würde Solos Training vermasseln, wenn ich zu früh zu viele Theorien las. Sie erlaubte mir zwei Ausnahmen: Bill Syrotucks Scent and the Scenting Dog und Andy Rebmanns Cadaver Dog Handbook. Ich bestellte beide Bücher. Da Warten nicht zu meinen Stärken gehört, warf ich danach den Computer an und tippte „der Tod und der Hund“ in mein Suchfenster.

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      Im Jahr 2012 publizierten tschechische Archäologen ihren Fund dreier Totenschädel, die domestizierte Hunde vermuten ließen: Sie hatten kürzere Schnauzen und ein breiteres Neurocranium als bei ihren wölfischen Cousins üblich. Zwischen die Kieferknochen eines der 31.500 Jahre alten Totenschädel war ein flaches Knochenfragment − möglicherweise das eines Mammuts − geschoben worden. Der Mammutknochen wirkte so bewusst platziert und sinnträchtig, dass die Archäologen nicht anders konnten, als zu spekulieren: War der Knochen Teil eines Begräbnisrituals, der die Seele des Tieres beschwichtigen und es zum Zurückkommen einladen sollte? Sollte es durch die Gabe darin bestärkt werden, verstorbene Menschen zu begleiten?

      Kein Haus stünde für mich fest und sicher auf der von Ahura geschaffenen Erde, gäbe es nicht meinen Hütehund oder Haushund.

       - Ahura Mazda, zarathustrischer Gott -

      Die Spekulationen sind gar nicht so weit hergeholt. Hunde lauerten zwar für lange Zeit am Rande der Zivilisation, doch luden wir sie auch ein und ließen ihnen einen besonderen Status zukommen. Seit Tausenden Jahren und in zahlreichen Religionen verlassen sich die Lebenden darauf, dass Hunde ihre Toten geleiten − dass sie uns vom Diesseits ins Jenseits führen, wo auch immer das Jenseits liegt. Nur wenige Mythen sind ähnlich weit verbreitet. Die Versuchung, diese Aufgabe den Hunden zu übergeben, ist verständlich: Sie scheinen geradewegs dafür gemacht. Hunde heulen den Mond an und warnen uns, dass der Tod am Horizont lauert. Sie hören und riechen, knurren und sträuben die Nackenhaare und warnen uns vor Gespenstern, die unsere stumpfen Sinne übersehen.

      Sie fressen auch gerne − sogar uns, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Tote Menschen unterscheiden sich nur leicht von anderen Tierkadavern. Wir bestehen aus Protein. Tote beginnen, sofern das nicht bewusst verhindert wird, zu stinken und werden damit täglich attraktiver für Schmeißfliegen, aber auch weiter entwickelte Tiere wie Hunde.

      Teilweise kommt die religiöse Verbindung zweifellos von einem Ritualisieren der düsteren, aber durchaus nützlichen Tatsache, dass Hunde und andere Caniden wie Schakale Abfälle fressen. Der Mensch beobachtete dieses Verhalten − freudig und ohne böse Folgen für die Tiere − und kam zu dem Entschluss, dass Hunde und ihre nächsten Verwandten mächtig sein mussten, immun gegen die Dämonen des Todes, welche die Leichen umgeben. Der Nutzen der Caniden ging über das simple Beseitigen der Toten hinaus. So wurde im alten Ägypten in einem


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