Der Geruch des Todes. Cat Warren

Der Geruch des Todes - Cat Warren


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− worin genau sind sie besser? Im Erschnüffeln von Urinmarkierungen ihrer Artgenossen?

      Um Gerüchten auf den Grund zu gehen, gilt dieselbe Faustregel, die wir auch anwenden, um eine vermisste Person zu finden: Es ist am besten, an ihrem Ausgangspunkt zu beginnen. Eine wachsende Anzahl wissenschaftlicher Forschungsergebnisse deutet darauf hin, dass die Nase und ihre Rezeptoren seit mindestens hundert Millionen Jahren einen wichtigen Faktor im Überleben darstellen, und nicht nur das: Sie könnten auch einen wichtigen evolutionären Beitrag zum wachsenden Intellekt der Säugetiere geleistet haben.

      Im Jahr 2011 publizierten texanische Paläontologen ihre Analyse der Schädelknochen eines unserer säugetierartigen Vorfahren, des Hadrocodium wui − ein zänkisches kleines Wesen, dessen Kopf kleiner als eine Büroklammer ist. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Hadrocodium wui keine Möglichkeit hatte, einen Geruch in seiner Umgebung zu ignorieren. Zitternd wagte es sich aus seinem Versteck, um nach Larven und Insekten zu schnüffeln; vermutlich nachts, um nicht aus Versehen von tagaktiven Sauriern zertreten zu werden. Sein Fell, seine nervös vor- und zurückzuckenden Ohren und seine Augen waren wichtig, doch am beeindruckendsten, berichten Paläontologen im Science-Magazin, war das olfaktorische System im winzigen Kopf unserer Vorfahren. „Der Grad des HD-Geruchssinns unterschied sich sogar von seinen engsten ausgestorbenen Verwandten. Die unzähligen Informationen, die es aus der Umgebung gewinnen konnte, wurden in einem noch nie dagewesenen Ausmaß von Gerüchen und dem olfaktorischen Sinn dominiert.“ Die Wissenschaftler spekulieren, dass die Schädel zeigen, welch große Rolle das olfaktorische System in der Entwicklung des Säugetier-Gehirns spielte − bis an den Punkt, an dem wir Menschen − die höchstentwickelten aller Säugetiere − heute die Nase über alle rümpfen können, die zu viel über Gerüche nachdenken.

      Wir sollten dem kleinen Hadrocodium wui, das im versteinerten Zustand in China gefunden wurde, dankbar sein, dass es uns hilft, die Bedeutung des Geruchssinns zu verstehen. Und doch liegt im Zusammenhang mit diesem Sinn noch vieles im Dunklen. Erst kürzlich begannen Wissenschaftler zu enthüllen, wie unser Geruchssinn überhaupt funktioniert. Dank Linda Buck und Richard Axel, die im Jahr 2004 den Nobelpreis gewannen, wissen wir heute, dass sich flüchtige Aromamoleküle an Geruchsrezeptoren anlagern, wodurch ein Nervenimpuls ausgelöst wird. Bam! Das ist zwar nicht die einzige Theorie zum chemisch komplexesten unserer Sinne, jedoch die vorherrschende. Man würde annehmen, dass wir den Geruchssinn bereits wesentlich weiter entschlüsselt haben, doch weil dieser in der westlichen Welt nicht sonderlich ernst genommen wird und sowohl die Neuronenverbindungen, die dem Akt des Riechens zugrunde liegen, wie auch Aromen selbst enorme chemische Komplexität aufweisen, haben wir noch viel zu lernen.

      Und wie viel besser sind Hundenasen nun tatsächlich? Neurobiologen haben kein besonderes Interesse daran, olfaktorische Wettbewerbe zwischen unterschiedlichen Spezies abzuhalten. Es ist ihnen egal, wer „die beste Nase“ hat. Was würde das auch aussagen? Derartige Spekulationen werden der Sendung Creature Countdowns des Fernsehsenders Animal Planet überlassen, in dem bereits die „Top 10 der tierischen Stänkerer“ und die „10 talentiertesten Tiere“ vorgestellt wurden. Der Bluthund schaffte es auf Platz neun der letzteren Liste, da sein Geruchssinn, wenn es nach den Regisseuren geht, „bis zu einer Million mal empfindlicher als der des Menschen“ ist. Die Zahl stammt nicht aus meiner Feder − Animal Planet hat sie erfunden.

      Die Nasen mancher Tiere sind anderen aber tatsächlich überlegen − im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Ich wette, wenn wir Bären beibringen könnten, Fährten zu folgen, hätten sie allen Grund zum Angeben: Biologen gehen davon aus, dass Bären im Allgemeinen einen wesentlich feineren Geruchssinn haben als Hunde. Doch aus verständlichen Gründen machen die Nasen der Bären seltener Schlagzeilen als die unserer Vierbeiner. Sollten Sie je die Möglichkeit haben, einem Grizzlybären in die Nase zu schauen, könnten Sie sehen, um was für ein beeindruckendes Instrument es sich dabei handelt: am Rand nach oben gebogen, mit gigantischen, sich blähenden Nasenlöchern. Wenn man im exakt richtigen Winkel steht, kann man durch den Spalt in den Nasenlöchern den blauen Himmel dahinter sehen. Der Grizzlybär kann seine Nase ebenso geschickt manipulieren wie eine Flötistin ihre Finger. Könnte man einen Blick in die Nasenhöhle im Inneren des horribilis Totenschädels werfen, würde man delikate Strukturen erkennen, die an zwei riesige Morchelpilze oder nebeneinander liegende Bienenwaben erinnern. Ihre Aufgabe ist es, Geruch zu verarbeiten. Wie gut? Verdammt gut. Meilenweit, schätzen die Biologen.

      Aber vielleicht nicht für unzählige Meilen. Dennoch verwenden der TV-Sender Animal Planet, manche Bücher und einige Bären-Websites folgende Phrase: „Manche Wissenschaftler sagen, dass Bären Aas aus einer Entfernung von bis zu achtzehn Meilen (neunundzwanzig Kilometer) riechen können.“ Ich fand es ein wenig seltsam, dass „manche Wissenschaftler“ sich auf eine dermaßen exakte Distanz einigen konnten. Wie ich herausfand, war die Quelle der Meilenangabe eine auf einer Bärenkonferenz im Jahr 1976 vorgestellte Arbeit. Darin wird erwähnt, dass ein mit einem Sender versehener Bär sich relativ zügig neunundzwanzig Kilometer weit bewegte und auf einen Tierkadaver stieß. Der Ökologe Frank Craighead schreibt: „Es war nicht klar, wann und wie der Bär auf den Kadaver aufmerksam wurde.“

      Es mangle auch, sagt Larry Meyers vom Veterinärmedizinischen Institut an der Auburn University, an guten Vergleichsstudien, die sich mit den olfaktorischen Talenten verschiedener Tiere auseinandersetzen. Doch muss man Gerüchte nur oft genug wiederholen, und sie beginnen der Wahrheit zum Verwechseln ähnlich zu sehen. Den Bären ist das egal, und erfundene Geschichten bezüglich ihrer olfaktorischen Kapazitäten sind vermutlich wenig bedeutend, da Bärenführer weder Zeugenaussagen vor Gericht tätigen noch verirrte Kinder darauf vertrauen müssen, von deren Nasen lebendig gefunden zu werden.

      Es gibt heute auch keine großen Stipendien für Studien zur Nase des Bären zu gewinnen. Bei der menschlichen Nase sieht das anders aus. An uns selbst sind wir immer interessiert, und zudem ist es einfacher und weniger gefährlich, menschliche Nasen im Labor zu studieren. Obwohl wir dazu neigen, unseren Geruchssinn geringzuschätzen und die Nase zu verunglimpfen, erhält er langsam, aber sicher die Aufmerksamkeit, die er verdient. Menschen können Tausende unterschiedliche Gerüche wahrnehmen. Sogar Linda Buck, eine olfaktorische Biologin par excellence, druckst herum: „Wir schätzen beispielsweise, dass Menschen zwischen 10.000 und 100.000 verschiedene flüchtige Bestandteile wahrnehmen können.“ Der Unterschied liegt hier beim Faktor zehn − weniger, als mir in der Hundeliteratur untergekommen ist, aber doch wesentlich mehr als ein kleiner Rundungsfehler.

      Während es also durchaus Hoffnung für den Geruchssinn als wissenschaftliches Forschungsthema gibt, unterschätzen die meisten Bewohner der westlichen Welt die Nase im Vergleich zu den Augen ganz gewaltig. Das war nicht immer so; früher war der Geruch sogar ein wichtiges Werkzeug für Ärzte. Hunderte Jahre, bevor wir über die faszinierende Fähigkeit unserer Hunde staunten, Diabetes oder Lungenkrebs zu erschnüffeln, setzten Ärzte ihre eigenen Nasen zum selben Zweck ein: Die „Evaluation von Ausdünstungen“ galt als elementares Diagnoseinstrument. Der Schweiß eines Patienten, der an Röteln litt, roch nach „frisch gerupften Federn“, die lebensbedrohliche diabetische Ketoazidose führte zu Mundgeruch, der an „faule Äpfel“ erinnerte, und eine bestimmte Bakterieninfektion ließ die Haut nach „überreifem Camembert“ riechen. Heute überlassen wir diese Aufgabe Labortests und Lackmuspapier.

      In manchen Nischen des Westens überleben Überreste des menschlichen Geruchstalents bis heute. Zum Beispiel legt „Geruchsmigrations“-Experte Larry Sunshine den Kopf zur Seite, weitet die Nasenflügel und atmet tief ein, wenn er Fuß in eine neue Stadt setzt. Er identifiziert die fauligen Gerüche in U-Bahn-Waggons, den Schimmel und die Chemikalien, die von den Plastiksitzen aufsteigen. Luca Turin, Parfüm-Experte und Biophysiker, kann ein Parfüm in seine exakten Komponenten zerlegen und in Worten beschreiben, die den Leser zum Lachen und Weinen bringen und ihn das betreffende Patschuli sogar kaufen wollen lassen: „Der Geruch war zugleich betörend, bekömmlich und giftig und fühlte sich an wie ein Parfum, das für eine mit wilder Intelligenz gesegnete Bibliothekarin entworfen worden war.“

      Das Erforschen der olfaktorischen Welt des Menschen erfreut sich wachsender Beliebtheit − und schlägt überraschende Wendungen ein, die Gebrauchshundeführer gut nachvollziehen können: Der Duft von Schokolade verwandelt Menschen in Spürmaschinen, deren


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