Der Geruch des Todes. Cat Warren

Der Geruch des Todes - Cat Warren


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war − Solo war nur ein Welpe. Ich sperrte ihn in seine Box und gab ihm einen Ziegenknochen zum Kauen. Der siebentägige Besuch neigte sich dem Ende zu. Papa und ich spazierten eine letzte langsame Runde durch den Garten, bevor er und Angie zurück an die Westküste fliegen würden. Wir begutachteten die neuen Heidelbeersträucher; eine Sorte, die speziell für die Temperaturen und Luftfeuchtigkeit North Carolinas gezüchtet worden war. Wir bewunderten die Kardinäle, die wie rote Explosionen mit ihren charakteristischen „Chew! Chew! Chew!“-Rufen aus den Weidenblättrigen Eichen zu Boden schossen. Wir sprachen darüber, wie gut die Zukunft für uns beide aussah. Papas nicht diagnostizierter Krebs war in diesem Juni wahrscheinlich gerade dabei, Metastasen zu bilden.

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      Meine einfachen Kommandos zum Sitzen, Bei-Fuß-Gehen oder „Sich-Entspannen“ interessierten Solo kein bisschen. Seine Tollheit und sein Tatendrang bestimmten, was Sache war: Er hielt nichts davon, sich im Vorraum niederzulegen und auf sein Abendessen zu warten − er startete wie eine Rakete, drehte und bog seinen Körper in der Luft, kam schlitternd vor der Tür zu stehen und versuchte sich an einem Salto, bevor er die geduckte Haltung eines grinsenden gotischen Wasserspeiers einnahm, um sein Dinner zu empfangen.

      Solo liebte David und mich, und sogar Megan. Anderen Hunden gegenüber war er ein unberechenbarer Soziopath. Er hielt seine Artgenossen, besonders Schäfer und andere Hunde mit Stehohren, für Feinde. Sein Ruf eilte ihm voraus: Sobald er einen fremden Hund roch, sträubte er knurrend die Nackenhaare. Tierarztbesuche waren eine Herausforderung. Eine Tierärztin schrieb in ihre Notizen, dass er sich zu einem boshaften Hund entwickle. Solo war zehn Wochen alt. Ich wechselte den Tierarzt. Eine andere Tierärztin empfahl teure Akupunkturbehandlungen und Homöopathie. Ich wechselte auch sie. Solo war kein guter Kandidat für Welpenkurse: Schon beim Betreten des Trainingsgebäudes sträubte er knurrend die Nackenhaare. Dieselben Trainer, die gelächelt hatten, wann immer Zev und ich auftauchten, brachten ihre Shelties und Schnauzer in Sicherheit, sobald sie Solo erblickten. Bekannte Unterordnungstrainer mit jahrzehntelanger Erfahrung und zahlreichen Begleithunde- und Obedience-Pokalen entwarfen Strategien für Solo: Vielleicht brauchte er eine neue Art Kopfhalfter, ein Halti, um seine eigensinnige Schnauze durch die Sturm- und Drangzeit zu führen. Eine Trainerin, mit der Zev und ich jahrelang gearbeitet hatten, riet mir, Solos für sein Verhalten hart zu strafen. Ich wechselte auch sie. Ich wurde richtig gut darin, Trainer und Tierärzte zu wechseln.

      Ich hatte noch nie einen Hund gehabt, der anderen Hunden gegenüber aggressiv reagierte. Es war wie ein scharlachroter Buchstabe auf der Stirn, der bestätigte, was viele bereits wussten: Deutsche Schäfer waren gefährlich. Ich recherchierte und recherchierte. Ich bestellte teure Videos und Bücher über Aggression beim Hund. Über die Leine übertrugen sich meine Nervosität und die Vorahnung, wie Solo reagieren würde, auf sein limbisches System und verstärkten sein reaktives Verhalten noch weiter. Meine Ausstrahlung bestätigte, was er bereits wusste: Fremde Hunde bedeuteten Ärger, und Solo bedeutete noch mehr Ärger für sie. Meine Beziehung zu anderen Hundehaltern begann darunter zu leiden.

      Ein Trainer, der es gewohnt war, mit fröhlichen Labradoren zu arbeiten, warf mir einen bestürzten Blick zu und schüttelte den Kopf, nachdem Solo knurrend einen kurzhaarigen Vorstehhund angesprungen hatte, der es gewagt hatte, ihn fröhlich zu begrüßen, während er im Gruppenkurs ein Platz/Bleib zu halten versuchte. „Herrgott noch mal“, knurrte ich, hauptsächlich zu mir selbst, „kontrollier doch deinen Hund und nimm ihn an die Leine!“ Ich war am Ende meiner eigenen Leine angekommen und begann, Aggressionen gegenüber Menschen zu entwickeln. Ich ging, bevor der Kurs zu Ende war, und mailte Joan. Sie schickte mir Unmengen von Ratschlägen. An diesem Abend heulte ich wieder in Davids Armen, wütend auf Solo, auf den dummen Vorstehhund-Besitzer und auf mich selbst.

      Diesmal war meine Verzweiflung schlimmer. Inzwischen war Solo mehr als der Welpe, den ich großzuziehen plante − ich liebte ihn. Er war mein Hund und meine Verantwortung, der die langen Nach-Hause-Fahrten nach missglückten Welpenkursen am Rücksitz verschlief. Ich ließ ihn im Stich und versagte, während ich mit Trainingsmethoden jonglierte und sämtliche Orte mied, an denen wir anderen Hunden hätten begegnen können.

      Bisher hatte kein Schäfer aus Joans Nachzucht Solos Verhalten im Umgang mit anderen Hunden gezeigt. Später erzählte sie mir, dass sie sich Sorgen gemacht hatte, als Solo zur Welt kam. Sie wusste, was es bedeutete, ein Einzelwelpe zu sein, und hatte erfolglos versucht, einen größeren Wurf zu finden, in dem sie „Seine königliche Hoheit“ unterbringen konnte. Kein Züchter in der näheren Umgebung hatte einen Wurf in einem ähnlichen Alter.

      “Ganz ehrlich“, schrieb Joan, „nach all diesen Jahren des Trainings und den Erfahrungen mit Solo denke ich, dass die Mehrheit der Welpen, die ohne Geschwister aufwachsen, die Nuancen der Hundesprache einfach nicht lernt. Sie lernen nicht, dass Kommunikation ein Geben und Nehmen ist.“

      Wer Solo knurren und in Angriffshaltung gehen sah, fragte mich: „Du hast ihn nach Han Solo benannt, nicht wahr?“ Nein. Ganz und gar nicht. Ich war kein Star Wars-Fan, und ich mochte den Charakter nicht, obwohl ihn Harrison Ford spielte. Und doch passte seine Beschreibung haargenau auf Solo: charismatisch. Egoistisch. Dreist. Ein talentierter, rücksichtsloser Außenseiter.

      Ein Einzelgänger.

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       Der Tod und der Hund

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       Obwohl sie für ihre guten Eigenschaften geschätzt werden − Jäger, Wächter, Hirte, Freund, Arbeiter − sind es doch dieselben Hunde, die Gräber verunstalten, Kadaver fressen und die Tore zur Hölle bewachen …

       - Paul Shepard, The Others: How Animals Made Us Human, 1997 -

      Zwei Monate nach Solos Ankunft fand ich mich in Nancy Hooks Garten in Zebulon wieder. Ich saß auf der Kante eines metallenen Klappstuhls. Nancy ließ sich im Liegestuhl nach hinten sinken und nahm einen Schluck aus ihrer in einen Bierkühler gewickelten Limonadenflasche. Sie war ein freundlicher, lockerer Mensch − abgesehen von der Warnung, die sie hin und wieder an die Hunde richtete, die in ihren Zwingern miteinander stritten. „Na wartet, gleich komm ich rüber ..!“ Sie verstummten. Es war Mitte Juli und sowieso zu warm zum Raufen. Japankäfer brummten vorbei. Ringelspinner-Raupen hatten einen großen Teil der Blätter des riesigen Pekannussbaums, unter dem wir saßen, eingesponnen und kahlgefressen.

      Ich kannte Nancy noch aus der Zeit, zu der ich mit Zev das Gruppentraining besuchte, das sie auf einem Parkplatz abhielt. Sie hatte uns beide herzlich und freundlich aufgenommen, wenn sie auch kein besonders großes Interesse an Zev hatte: Er war so sanftmütig und unauffällig, dass man ihn in einer Hundegruppe leicht übersah.

      Seither hatte ich Nancy kaum gesehen, doch ich begann, mich besser an sie zu erinnern, als ich in die Einfahrt bog und den schwarzen Hirschjagd-Aufkleber auf ihrem Pritschenwagen sah. Ihr Haar war immer noch kupferrot, ihre kastanienbraunen Augen von Lachfältchen umrandet. Sie trug Tarnhosen.

      Ich hatte Nancy eine verzweifelte E-Mail geschrieben, als ich mich erinnerte, wie praktisch sie dachte und humorvoll sie war. Ich hatte beide diese Eigenschaften dringend nötig. „Klar“, sagte sie, „komm zu mir ins Camp Hook, und bring deinen Hund mit!“ Sie war kompetent und entspannt. Ich war nervös und redete viel. Solo, der sich unmöglicher verhielt, als der schlimmste viermonatige Schäferhund sollte und jedwede Anmut vermissen ließ, hatte die Nackenhaare gesträubt, den Rücken gekrümmt und wilde Augen. Immer wieder preschte er auf die Zwingeranlage zu, halb Hengstfohlen, halb Tasmanischer Teufel. Er knurrte und stieß sich mit den Pfoten am Maschendrahtzaun ab. Ich sprang aus meinem Klappsessel hoch, fischte nach den Keksen in meiner Bauchtasche und versuchte, ihn abzulenken und das Verhalten, das Nancy zu sehen bekam,


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