H'mong. Gebhard Friebel

H'mong - Gebhard Friebel


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Landschaft, die um sie herum Konturen annahm.

      Vereinzelt tauchten verkrüppelte Bäume im gelblichen Nebel auf, in Bombenkratern in giftiger Erde gewachsen.

      ‚Gelber Regen’, yellow rain’, hatten sie es damals genannt. ‚Agent orange’, das Gift der Amerikaner.

      Gerhard unterdrückte aufkommende Panik. Eine Landschaft durch milchiges Glas betrachtet. Unwirklich! Gestern hatte er dieses Empfinden des Verlorenseins nicht so stark gespürt. Doch jetzt...

      Traurigkeit überfiel ihn. Trauer über diese geschundene Landschaft. Stärker noch: Trauer um diese Menschen. Und er spürte Zorn. Zorn auf die Franzosen, die Amerikaner, die Kommunisten!

      Irgendwo links tauchte schemenhaft der Umriss des Wagens auf. Erleichtert dachte er an eine warme Dusche, an ein westliches Frühstück, ein sauberes Bett. Und dann: schlafen, schlafen. Schlafen und vergessen.

      Als sie neben dem Wagen standen, schüttelten sie Ler die Hände. Die Stimme Gerhards klang rau, brüchig. „Wir kommen wieder. Übermorgen, gegen Mittag, hier? Wir bringen etwas zu Essen mit. Und ein paar Medikamente. OK?“

      Ler sah ihn mit großen Augen an. Er antwortete, zögernd, bestätigend. „Gegen Mittag, OK!“

      Als sie im Wagen saßen, fragte Chris: „Du willst wirklich hierher zurückkommen?“

      Gerhard antwortete nicht; er war in Gedanken versunken. Chris ließ den Wagen an, wendete, und fuhr los.

      Es ging zurück, zur Stadt. Zurück ins Hotel. Zurück. Weg. Weg aus dieser gespenstigen Gegend, wo vielfacher Tod lauerte. Weg, von dieser verfluchten Touristenattraktion. Weg von dieser ‚Ebene der Tonkrüge’. Weg!

      *****

      Während sie langsam zurückfuhren, fiel kein Wort. Jeder hing seinen Gedanken nach.

      Auch beim gemeinsamen Frühstück fiel kein Wort über das Erlebte. Sprachlosigkeit.

      Erst als Chris zum Erstaunen des Kellners zwei große Flaschen Bier bestellte, brach Gerd das Schweigen.

      „Man müsste diesen Leuten irgendwie helfen. Nur, wie?“

      Chris nickte mit dem Kopf. „Ausfliegen lassen in ein anderes Land, oder sonst was.“

      „Wie willst Du ein Flugzeug beschaffen? Wo soll es landen? Auf der buckeligen, gewundenen Schotterstraße vielleicht? Und alles ohne Erlaubnis.“

      „Dann halt ein Hubschrauber.“

      „Einen Hubschrauber haben die in wenigen Minuten abgeschossen. Du hast ja gesehen, die Flugzeuge des Militärs fliegen sogar nachts. Außerdem wäre so etwas viel zu teuer.“

      Chris schwieg.

      „Lass uns noch einen trinken, und ein paar Stunden schlafen. Vielleicht fällt uns inzwischen etwas Machbares ein“ sagte Gerhard.

      Chris nickte, und bestellte zwei weitere Bier.

      „Seltsam ist das. Bei uns zu Hause weiß keiner was von den Sachen, die hier passieren. Niemand hat den Namen ‚H’mong’ je gehört. Die zu Hause lesen nur in den schönen Reiseprospekten vom Land der ‚eine Million Affen.’“

      „Elefanten“ korrigierte Gerhard ihn.

      „Von mir aus auch Elefanten, von mir aus könnten es auch rosa Elefanten sein. Das ändert nichts daran, dass ich noch nie so viele Tote gesehen habe.“

      Chris sah Gerhard mit zornigem Gesichtsausdruck an.

      „Ich habe eine Tote auf meinen eigenen Schultern zum Grab unter Steinen getragen. Es ist derartig skurril! Niemand würde es glauben!“

      „Vor allem passt das so gut in unsere sogenannte ‚Moderne Zeit’. Man hält die hehren Werte der Menschlichkeit hoch. Zu Hause würde uns das tatsächlich keiner abnehmen, Du hast recht, niemand.“

      „Schlimm, schlimm, verdammt!“

      Chris stand auf. „Komm, lass uns ein paar Stunden schlafen gehen. Treffen wir uns gegen Mittag wieder. Hier, OK?“

      „OK“

      Chris ging.

      Gerhard sah ihm lange nach. Wieder und wieder schüttelte er verzweifelt den Kopf.

      *****

      Gegen Mittag war Chris im Restaurant und bestellte sich sofort ein Bier. Gerhard erschien wenig später und setzte sich zu ihm an den Tisch.

      „Na, gut geschlafen?“

      Chris grinste gequält. „Nur ganz wenig. Das war gestern zu viel auf einmal.“Ich konnte überhaupt nicht schlafen.“ Gerhards Stimme klang gereizt. „Ich war den ganzen Vormittag im Internet-Raum. Im Web findet man ungeheuer viel über diese H’mong. Alles, was dieser Mann erzählt hat, stimmt.“

      Er senkte seine Stimme. „Da geschehen ungeheuerliche Verbrechen, und die Öffentlichkeit schweigt dazu. Da werden die Reste eines ganzen Volkes endgültig ausgerottet! Alles nur wegen der verdammten Vergangenheit. Franzosen, Amerikaner und Kommunisten! Wenn ich das höre. Verdammtes Pack, verdammte Kriege!“

      Chris schenkte Bier nach. „Prost!“

      „Prost.“Gerhards Mine verfinsterte sich. „Alle diese Verbrechen sind bekannt. Anscheinend schon seit Jahren. Nur keiner nimmt es zur Kenntnis und tut etwas. Nicht so wie in Afrika, Chris. Erinnerst Du Dich noch, an die Gemetzel zwischen Hutu und Tutsis? Vor einigen Jahren, weißt Du noch?“ Es klang höhnisch.

      „Diese H’mong haben keine Lobby. Laos ist weit entfernt von Deutschland. Welches Schulkind weiß überhaupt, wo Laos liegt? Viele haben offenbar nie den Namen ‚Laos’ gehört. Afrika liegt näher. Es ist außerdem spektakulärer, über zwei Millionen tote Neger zu berichten, als über zweitausend tote Asiaten. Die Menge macht’s.“

      „Ja, davon waren die Zeitungen voll. Es wurden Sammlungen veranstaltet. Millionen Euro wurden nach Rwanda gepumpt. Von den Verbrechen hier redet keiner. Ich habe noch nie etwas im Fernsehen oder in den Zeitungen über H’mong gesehen oder gelesen. Anscheinend geht das den Journalisten bei uns am Arsch vorbei.“

      „Reg’ Dich nicht zu sehr auf, Onkel. Es sind die Quoten im Fernsehen. Bei den Zeitungen ist es die Auflage. Wenn Du als Chefredakteur die Wahl hättest, einen Reporter nach Nigeria zu schicken, oder einen nach Laos? Er soll einen Bildbericht machen. Nigeria winkt mit drei Millionen, Laos aber nur mit einigen Tausend Opfern. Was ist ertragreicher? Welches Magazin verkauft sich besser?“

      Gerhard ereiferte sich: „Du bist ein verdammter Zyniker.“ Hastig leerte er sein Bier. „ Aber irgendwie hast Du Recht. Und trotzdem, ich versteh’s nicht. Verrückterweise gibt es da in Deutschland die GfbV, die Gesellschaft für bedrohte Völker. Dann das UNHCR, das ist für Flüchtlinge zuständig. Und es gibt die ‚Médecins sans frontières’. Die wissen scheinbar von all diesen Verbrechen. Dein Chefredakteur brauchte keinen teuren Reporter nach Laos zu schicken. Er müsste nur seinen Reporter dazu bringen, im Internet nachzuschauen. Da steht alles schwarz auf weiss. Mit Bildern.“

      „Aktuelle Berichte verkaufen sich besser.“

      „Wenn es zu teuer ist? Das Fernsehen hätte es ebenfalls leicht. Ein Programmdirektor müsste lediglich etwas Sendeplatz bereitstellen. Ich habe einen Dokumentarfilm über die Leiden der H’mong bei YouTube gefunden. Eine Deutsche, Rebecca Sommer hat ihn in Laos unter Lebensgefahr gedreht. Der Film heißt: Hunted like animals. So etwas müsste mal im Fernsehen kommen.“

      „Die Zuschauer sehen sich lieber Seifenopern an oder ‚Dalli, Dalli’.“

      „Die Zuschauer sind doof. Man müsste irgendwie Öffentlichkeit herstellen, aufrütteln.“

      „Wer ist ‚man’? Was ist ‚irgendwie’? Willst Du in Deutschland Zeitungen anrufen? Aufmerksam machen?“

      „Warum nicht? Etwas in der Art spukt in meinem Kopf herum.“

      „Mit


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